Leibwächter wegen Leibwäsche?

Nach 16 Jahren wird sie ab Samstagnachmittag wieder öffentlich in Trier (Zupport, Brückenstraße 16) gezeigt: die heilige Unterhose von Karl Marx (lang, mit Bündchen und Knopfleiste). Auf einen Altar gehoben hat sie Helmut Schwickerath, der damit den „Rückgriff auf steinzeitliche Verehrungsartefakte“ bei der Heilig-Rock-Wallfahrt kritisiert, wie es in der gerade erschienenen Sonderausgabe der Katz heißt. Im folgenden Gastbeitrag nimmt er sich den Kritikern dieses „mäßigen Gags“ (Schwickerath) an.

TRIER. Nenne ich den Rock (angeblich von Christus) und die Unterhose (angeblich von Karl Marx) in einem Atemzug, mache ich mich der Blasphemie schuldig. Ich begehe eine Gotteslästerung beziehungsweise ein Sakrileg und muss auf die schlimmsten Strafen gefasst sein.

So jedenfalls ist der Tenor der Briefe, Anrufe und Stellungnahmen, die ich von gottesfürchtigen und gleichermaßen entrüsteten Katholiken erhalte. Ihre sogenannten religiösen Gefühle sind der Maßstab, nach denen ich mich zu richten habe. Tue ich das nicht, werden Drohungen ausgespuckt. Da beruft sich zum Beispiel eine sicherlich ganz lieb daherkommende ältere Dame auf die alttestamentarischen Psalmen um mir zu bescheinigen, ich sei „ein Wurm und kein Mensch“, und einen Wurm zertritt man am besten – meint sie wohl. Und schon kommt der Vergleich, der immer kommt: „In der muslimischen Welt“ würde ich mir das nicht erlauben!

Es scheint, als herrsche bei unseren von tiefen religiösen Gefühlen heimgesuchten, militanten Katholiken die Sehnsucht nach einem Mullah-Regime, das endlich die guten alten Zeiten wiederherstellen könne, eine Art Gottesstaat, in dem die Gesetze von Klerikern gemacht und durchgesetzt werden. Der Gedanke, dass sie mittlerweile nur eine kleine, radikale Minderheit sind, nach deren Pfeife wir tanzen (mit Ausnahme vom Karfreitag!) sollen, kommt ihnen garnicht. Warum auch, wird doch ihre dumme Arroganz, die sich auf nichts anderes stützt als auf die längst vergangene Vergangenheit, von einem Geflecht aus Honoratioren, Gesinnungstätern und reaktionärem Bildungsbürgertum gestützt. Und nicht zu vergessen durch eine Lokalzeitung, die ihre treuen Abonnenten in dieser Schicht findet.

Überzeugen kann man diese Gefühlstäter nicht, höchstens provozieren – gewollt oder ungewollt. Wenn das passiert, quillt aus ihren Tiefinneren ein Wust von vermoderten, wunderlichen Ansichten zu Geschmack, Kunst oder auch Religion, der – mich jedenfalls – verdutzt den Kopf schütteln lässt. Sie wissen ganz genau, wie Meinungsfreiheit definiert ist, und sie sind auch die einzigen, die dekretieren können, worüber man Witze machen darf und was überhaupt witzig ist.

Ich gebe zu, dass eine Unterhose für sich genommen nicht witzig ist, aber unter bestimmten Umständen witzig wirken kann. Die Behauptung, dies sei die Unterhose von Karl Marx, ist ein mäßiger Gag, über den man milde lächeln kann. Wird sie als Reliquie vorgestellt, runzeln Katholiken bereits die Stirn, denn der Begriff „Reliquie“ ist von ihnen usurpiert, wie anscheinend auch das Wort „Altar“ oder die Bezeichnung „heilig“.

Wenn aber die Unterhose von Karl Marx in Beziehung gebracht wird zum Rock Christi, hört der Spaß auf. Nicht etwa bei den Jüngern von Marx, wie die Berichte und Kommentare zum Beispiel im Neuen Deutschland oder in der Jungen Welt bezeugen. Auch nicht bei evangelischen Kommentatoren, die diese unerwartete Kombination in der gewohnten großen Ernsthaftigkeit erörtern. Nur bei den Katholiken mit den religiösen Gefühlen brennen die Sicherungen durch.

In den oberen Rängen wird mit zusammengebissenen Zähnen milde gelächelt und kopfschüttelnd angemahnt, es ginge garnicht um den Rock und schon garnicht um seine Echtheit, sondern um Christus und die Einheit der Kirche – das kann wider besseres Wissen glauben, wer will.

Ob der Marx-Altar Kunst ist oder nicht, ist mir egal. Ich habe mich nie als Künstler bezeichnet – da ist man zu schnell in schlechter Gesellschaft. Tatsache ist, dass ich mit künstlerisch-handwerklichen Mitteln arbeite – mehr oder weniger gelungen. Die Darstellungsmittel entnehme ich der abendländischen Kunstgeschichte, ebenso die Bedeutung von Figuren, Attributen, Farben und Komposition. Allerdings werden die verehrten Heiligen durch ganz unheilige, zumindest noch nicht heilig gesprochenen Personen ersetzt: Der Verkündigungsengel durch die Haushälterin der Familie Marx, Lenchen Demuth; die Jungfrau Maria durch die linke Politikerin und Autorin Sahra Wagenknecht.

Die Lilie als Zeichen der Jungfräulichkeit wird Sahra genommen und Lenchen zugesellt, von der man weiß, dass sie Mutter eines Sohnes von Karl Marx war. Sahra wird zur Evangelistin erhoben, indem sie den Adler mit dem Buch erhält, der eigentlich ein Symbol des Evangelisten Johannes ist. Über allem schwebt Karl Marx als Gottvater, aus dessen Handflächen je ein roter Stern herausleuchtet, der an die Wundmale Christi erinnert.

Paradoxerweise erschließt sich dieses Spiel mit heilig gesprochenen Symbolen am ehesten den Menschen, die von klein an im konservativ-katholischen Milieu groß und dumm geworden sind. Das sind auch die mit den „religiösen Gefühlen“, die sich bei Licht betrachtet als ein erstarrter dogmatischer Schutzpanzer gegen die Anfeindungen der Realität und einer für sie unerträglichen Rationalität entpuppen.

Andere Dummbeutel, die darüber quängeln, dass die Unterhose schon wieder gezeigt wird, obschon sie doch schon 1996 präsentiert wurde, darf ich daran erinnern, dass der Rock schon zum wer weiß wievielten Mal zur öffentlichen Anbetung beziehungsweise Verehrung ausgestellt wird, mal hängend, mal flach liegend. Aber in der Verpackung ist nicht das drin, was drauf steht. Eigentlich ein Fall für Verbraucherschützer.

Ganz neu zur Marxschen Herrenreliquie hinzugekommen ist eine Handreliquie ungeklärter Provenienz, vermutlich aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie zeigt eine geballte Faust, die sich aus einem Knäuel von katholischen Devotionalien und Mohnkapseln nach oben reckt und daran erinnert, dass einer der bekanntesten Sätze von Karl Marx lautet: „Religion ist das Opium des Volkes.“

Bleibt nur noch zu entschlüsseln: Was sollen eigentlich die Bienen, die um die künstlichen Blumen auf Lenchens Hut herumsummen, anstatt sich an der Lilie zu laben? Um Vorschläge wird gebeten.

Helmut Schwickerath

Weitere Informationen wie die vollständige Geschichte über die Entdeckung und Wirkungsgeschichte der Marx’schen Unterhose nebst Beiträgen von und zu Sahra Wagenknecht, Wolfram Kastner, Jörg Baltes und MS Salomon gibt es in der Katz-Sonderausgabe, die im Trierer Buchhandel erhältlich ist, und unter www.marx-altar.de.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.