Leben für den Widerstand

Im Mehrgenerationenhaus am Balduinsbrunnen herrscht heute buntes Treiben, haben so unterschiedliche Einrichtungen wie das Multikulturelle Zentrum oder der Verein Nestwärme eine Bleibe gefunden, residieren Staatsanwaltschaft und Palais e.V., um nur einige Mieter zu nennen. In den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur jedoch wütete in der ehemaligen Reichsbahndirektion die Gestapo, fungierte das Gebäude als Triers Haus des NS-Terrors. An dieses dunkle Kapitel erinnert die Historikerin Anna Ullrich, die in ihrem Aufsatz einen Einblick in den kommunistische Widerstand der 1930er Jahre in Trier gibt. Der Beitrag ist Teil einer Sonderausgabe der Zeitschrift Grenzwertig, die „Einblicke in die Trierer Gestapo“ bietet.

„Im ersten Stock befand sich die Gestapo. 1936 wurde ich dorthin gebracht und verhört. Als besondere Schikane nutzte die Gestapo einen kahlen Betonraum, ohne Fenster, von der Größe einer Besenkammer. Dieser Raum war völlig leer bis auf einen Telefonapparat, der an der Wand hing. Die Gestapo drohte ‚Wenn du was auszusagen hast, dann ruf an, vorher kommst du hier nicht raus!’ Es gab nichts zu essen. Man musste in diesem Raum stehen, denn der Boden war völlig verdreckt. Die Gefangenen wurden ja nicht einmal herausgelassen, um auf Toilette gehen zu können. Es stank wie die Pest. Ich wurde nachmittags dort eingesperrt und durfte erst am späten Abend wieder heraus. Dann brachten sie mich zurück ins Gefängnis in der Windstraße.“

Als Wilhelm (genannt Willi) Torgau 1936 unter diesen Bedingungen von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ‚verhört’ wird, ist er 25 Jahre alt. Erfahrungen mit der Brutalität der Nazis hat er zu diesem Zeitpunkt bereits zur Genüge gesammelt. 1926 ist er dem Kommunistischen Jugendverband Deutschland (KJVD) beigetreten und hat kurz darauf die Organisationsleitung für die Ortsgruppe in Trier übernommen. Seine gesamte Familie, allen voran sein Bruder Fritz, aber auch seine Schwester Aurelia (genannt Orli) sind überzeugte, engagierte und bekannte Kommunisten. Und so dauert es nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler nicht einmal einen Monat, bis Willi das erste Mal von zwei SA-Männern, die zu diesem Zeitpunkt als Hilfskräfte bei der Trierer Polizei Dienst tun, festgenommen wird. Was folgt, ist ein Akt der Entwürdigung und Einschüchterung: Grundlos muss sich Willi einer Leibesvisitation unterziehen und stundenlang warten, während sein Fahrrad in alle Einzelteile zerlegt wird.

Als Willi nur wenige Wochen darauf erneut ohne richterliche Anweisung festgenommen wird, bringt man ihn in das Polizeigefängnis in der Eurener Straße. Nach einem halben Jahr der Ungewissheit wird er im Oktober 1933 von einem Tag auf den anderen mit dem lapidaren Satz „Du gehst morgen mit auf Transport!“ darüber informiert, dass er in ein Konzentrationslager (KZ) deportiert werden soll. Mit 22 Jahren wird er in das Konzentrationslager Sonnenburg eingeliefert, wenige Monate später ins KZ nach Esterwegen verlegt. Während Willis Leben in diesen Monaten aus Strafexerzieren, Zwangsarbeit, mangelhafter Ernährung und entwürdigender Schikane durch die Aufseher besteht, setzen seine Geschwister und andere Mitglieder der seit Februar 1933 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ihre Arbeit gegen die nationalsozialistische Regierung im Untergrund fort – ständig begleitet von der Gefahr denunziert, verhaftet und deportiert zu werden. So wird Fritz Torgau im Mai 1933 zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil in einer von ihm angemieteten Wohnung alle Gerätschaften und Utensilien für die Anfertigung von Flugblättern gefunden werden.

Orli, die in zahlreichen Reisen nach Luxemburg versucht, eine grenzübergreifende Widerstandsgruppe zu organisieren, wird 1934 verhaftet. Ihre vehemente Aussageverweigerung in den Verhören der Gestapo, die zu diesem Zeitpunkt noch in der Polizeihauptwache am Hauptmarkt stattfinden (heute befindet sich H&M in diesen Räumlichkeiten), führt letztlich zu einer Einstellung des Verfahrens. Auch Hans Eiden, ein Freund der Familie Torgau und ebenfalls überzeugter Kommunist, wird von März bis Mai 1933 in ‚Schutzhaft’ genommen – also ohne Haftbefehl oder richterliche Anordnung verhaftet und festgehalten. Als Willi nach seiner Entlassung aus dem KZ Eschewegen im März 1934 nach Trier zurückkehrt, sind seine Geschwister und zahlreiche seiner kommunistischen Weggefährten noch – oder besser: wieder – auf freien Fuß. Die meisten haben aber ebenfalls bereits Erfahrungen mit der Vehemenz der Verfolgung durch die Gestapo gesammelt. Und trotzdem zögert fast keiner von ihnen, sich an der Bildung einer neuen Widerstandsgruppe zu beteiligen.

So finden sich ab dem Frühsommer 1934 in ganz Trier verteilt Flugblätter, die die Bevölkerung über die Verbrechen der Nazis in den Konzentrationslagern aufklärt und zum Widerstand gegen die nationalsozialistische Regierung aufruft. Bis Anfang 1936 ist die Gruppe auf knapp 40 Personen angewachsen. Es sind vor allem ehemalige Mitglieder der KPD – Arbeiter, Mechaniker, Schuhmacher, oder Schlosser – aber auch vereinzelt parteilose Kaufleute, die alle der Wunsch eint, den Nationalsozialisten etwas entgegenzusetzen.

Das Regime reagierte auf derartige Widerstandshandlungen mit aller Härte. Mit Hilfe von Spitzeln und gezielten Hausdurchsuchungen werden schließlich Anfang 1936 in mehreren Trierer Wohnungen antifaschistische Schriften und Flugblätter von der Gestapo sichergestellt. Die im Zuge dieser Durchsuchungen Festgenommenen – insgesamt 36 Personen – werden im Gefängnis in der Windstraße (heute Bischöfliches Diözesanmuseum) festgehalten. Zu den Vernehmungen werden sie in die Gestapozentrale gebracht, die sich seit 1935 im Gebäude der Reichsbahndirektion in der Christophstraße (heute Mehrgenerationenhaus) befindet – weniger als 10 Gehminuten vom Gefängnis entfernt.

Neben den von Willi Torgau beschrieben Erpresser- und Foltermethoden, setzt die Gestapo in ihren Verhören auch auf andere Arten physische und psychische Gewalt. Orli berichtet nach dem Krieg von Faustschlägen und Ohrfeigen, stundenlangen Stehen und Schlafentzug. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Verhörmethoden der Gestapo-Beamten immer drastischere Ausmaße annehmen, je deutlicher wird, dass von den inhaftierten Widerständlern keine umfassenden Aussagen oder Denunziationen zu erwarten sind. Die Erbitterung darüber spiegelt sich teilweise auch in den Urteilsbegründungen wider. Am 21. Dezember 1936 werden alle Mitglieder der Gruppe wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu Haftstrafen zwischen zwei und fünfzehn Jahren sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Sechs der Angeklagten sollen auch, nachdem sie ihre Haftstrafe verbüßt haben, unter Polizeiaufsicht gestellt werden. In dem Urteil gegen Josef Eberhard, Automechaniker und bis zum Verbot Mitglied des KJVD, liest man als Begründung für die geringe Anrechnung von nur vier seiner fast zehn Monate Untersuchungshaft auf die Haftstrafe, er habe „mit frecher Stirn“ die ihm vorgeworfenen Taten abgestritten. Wie die Mehrheit der Verurteilten soll auch Josef seine Haftstrafe im Gefängnis Siegburg verbüßen. Hier wird er nur wenige Tage nach der Einlieferung, am 2. Januar 1937 erhängt aufgefunden. Willi Torgau, der in Siegburg ebenfalls einen Teil seiner siebenjährigen Strafe verbringen muss, bemerkt zu diesem vermeintlichen Freitod, dass bei Eberhard zu keinem Zeitpunkt der Inhaftierung Selbstmordabsichten erkennen ließ. (Der Stolperstein für Joseph Eberhard liegt in der Karl-Marx-Straße 2).

Orli wird nach der Urteilsverkündung im Zuchthaus Ziegenhain bei Kassel inhaftiert. Hier verbringt sie die viereinhalb Jahre, zu denen sie verurteilt worden war, in Einzelhaft. Die Gnadengesuche ihrer Mutter, die von der Strafanstalt selbst befürwortet werden, verweigert die Trierer Gestapo mit der Begründung, dass die gesamte Familie Torgau für die kommunistische Bewegung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung spiele. Nach ihrer Entlassung aus Ziegenhain 1940 wird Orli ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und zwei Jahre später nach Auschwitz verlegt, wo sie im Krankenrevier des Frauenlagers arbeiten muss. Kurz vor der Befreiung von Auschwitz wird sie auf einen Transport in ein Außenlager von Ravensbrück geschickt. Im April 1945 gelingt ihr von dort die Flucht. Die Jahre in Gefängnissen, Arbeits- und Vernichtungslagern haben Orli gezeichnet – physisch wie psychisch. Ihre letzten Lebensjahre sind geprägt von Lungenerkrankungen, schweren Depressionen, Angstzuständen und zwei Suizidversuchen. Am 1. Januar stirbt sie in einer Nervenklinik in der Nähe von Hannover – mit 48 Jahren. (Der Stolperstein für Orli Torgau-Wald liegt in der Brentanostraße 20.)

Orlis Bruder Willi wird 1943 nach Verbüßen seiner siebenjährigen Haftstrafe sofort von der Gestapo zu Zwangsarbeit herangezogen. Er arbeitet in einer Kohlenhandlung und muss bei dem Bau von Festungsanlagen zur Abwehr der herannahenden Alliierten mithelfen. In den letzten Wochen des Dritten Reiches wird er in den ‚Volkssturm’ – das letzte Aufgebot von bisher als nicht wehrfähig eingeschätzten alten Männern und Jugendlichen – gezwungen und erlebt so das Ende des Krieges. Bald darauf ist er wieder politisch aktiv, zunächst in der KPD und nach deren Verbot in der Trierer Ortsgruppe der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Er stirbt 1999 im Alter von 83 Jahren.

Fritz Torgau setzt sich nach seiner Entlassung aus Siegburg 1944 nach Thüringen ab, wo er nach dem Krieg in der SED aktiv ist und das Bürgermeisteramt in Auma – einer Kleinstadt in der Nähe von Gera – bekleidet. Er stirbt 1975. Hans Eiden wird nach Verbüßen seiner Haftstrafe 1939 in das KZ Buchenwald deportiert. Hier beteiligt er sich an der illegalen Lagerorganisation und wird Ende 1944 Lagerälteste. In dieser Funktion ist er in den Tagen unmittelbar vor der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen maßgeblich daran beteiligt, Evakuierungsmärsche und Massenexekutionen der Häftlinge durch das organisierte Untertauchen im Lager zu verhindern. Nach dem Krieg ist Eiden wieder in der KPD aktiv, vertritt die Partei 1947 als Abgeordneter im rheinland-pfälzischen Landtag. Er stirbt 1950 mit 49 Jahren an den Folgen der KZ-Haft. Eine Gedenktafel für Hans Eiden befindet sich in der Engelsstraße 20, wo sein Geburtshaus stand.

Die Autorin Anna Ullrich studierte bis Januar diesen Jahres in Trier Geschichte, Politik- und Medienwissenschaft. Seit Juni arbeitet sie am renommierten Institut für Zeitgeschichte in München an ihrer Dissertation. Anna Ullrich arbeitete im Arbeitskreis „Trier im Nationalsozialismus“ der Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) mit und engagierte sich während ihrer Trierer Zeit im „Bündnis gegen Rechts“.

Das Grenzwertig-Sonderheft soll bald in gedruckter Form vorliegen und kann zu einem Preis von 3,50 Euro bei den Magazinmachern bezogen werden. Weitere Informationen finden Sie auf folgender Homepage.

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