Kunst, die viel vom Betrachter verlangt

Darzi Salim: "They never stop work.", 2010.Um sich einen Eindruck von aktuellen Arbeiten bildender Künstler aus Trier und der Region zu verschaffen, bietet sich hervorragend die Jahresausstellung der Kulturwerkstatt an. Seit vergangenem Freitag kann man sich im zweiten Obergeschoss in der Tuchfabrik bei der inzwischen 31. Auflage Werke von über 30 Künstlern anschauen. Mehr als einen Jahresrückblick zeigt die Sonderschau von Laas Koehler, dessen mehr als 400 Polaroids man ein bisschen genauer betrachten sollte.

TRIER. Mit einem Glas Wein in der Hand und den Klängen des kolumbianischen Künstlers Edgar Plata im Ohr erkundeten die Besucher bei der Vernissage am vergangenem Freitag die unterschiedlichsten Kunstwerke – von Zeichnungen über konsumkritische Collagen zu Landschaftsbildern und Schwarz-Weiß-Fotografien. Dabei stößt der Betrachter auf Gegensätze, die nicht nur in den einzelnen Werken vorhanden sind, sondern auch die gesamte Ausstellung durchziehen.

So auch bei den vielgestaltigen Arbeiten des malaysischen Künstlers Darzi Salim, der von der Natur inspiriert mit verschiedenen Materialien und Formen arbeitet. In dem Werk „They never stop work“ richtet sich der Blick auf einen goldenen Punkt in der Mitte, auf den zahlreiche Ameisen zuströmen. Für Salim allegorisieren diese Tiere die Bedeutung kleiner Dinge, und mit diesem Einblick werden dem Besucher viele Gedanken und Motive bewusst, die vorher eher belanglos zu sein schienen.

Auch werden neue Perspektiven aufgezeigt und den Gästen originelle An- und Einsichten von Trier offenbart. In dem Werk „The Palace“ von Dirk Mentrop treffen Architektur des 4. Jahrhunderts auf eine Schlossanlage im Rokokostil – die Konstantin-Basilika und das Kurfürstliche Palais. Für den Fotografen bestimmt der Moment das Bild, und das spürt man auch auf dem Weg zur angrenzenden Sonderschau im Galerie-Bereich der Tufa, in dem sich der Konzeptkünstler Laas Koehler scheinbar seine eigene Retrospektive aufgebaut hat. Doch bei genauerer Betrachtung des Titels wird deutlich, dass es sich um eine „Retroperspektive“ handelt, mit der sich Koehler nach 40 Lebens- und 20 Schaffensjahren eine eigene Ausstellung geschenkt hat. In dieser stellt er einen Arbeits- und Wohnbezug her und spielt gleichzeitig mit Erinnerungen, Reaktionen und vor allem mit Gegensätzen.

Eine Jahrzehnte alte Aufnahme von der Mariensäule aus auf die Stadt - oder nicht? Foto: Laas KoehlerDie Idee, dass Kunst wandert, kann Koehler durch seinen persönlichen Bezug zu den Städten Trier, Berlin, London, Leer herstellen, in denen die Polaroids entstanden sind. Der Idee, dass Kunst wandert, steht die Gegenüberstellung von Metropole und ostfriesischer Provinz gut zur Seite wobei die Reise der Fotos vor allem historischer Natur ist. Durch den Einsatz einer Polaroid-Kamera, die jedem Besucher am Eingang überreicht wurde, greift der Künstler auf ein Relikt einer vergangenen Zeit zurück. Eine Filmkassette bestand aus zehn Fotos und zwang die Person hinter der Kamera, sich genau zu überlegen, was er oder sie für die Ewigkeit festhalten wollte.

Anspielend auf eine Zeit, in der Dinge noch bewusster wahrgenommen und sich mehr Zeit für die kleinen Momente im Leben genommen wurden, benutzte Koehler abgelaufene Polaroid-Filme, wodurch jedes Bild eine Sepiatönung aufweist und damit Bilder schafft, die schon vor langer Zeit hätten entstehen können. Warum hält sich etwa der Mann auf dem vermeintlich alten Foto die Hand ans Ohr – hat er Ohrenschmerzen oder sind wir tatsächlich schon im Zeitalter des Handys angekommen? Durch diese Irritation schafft es der Künstler, die Polaroids vom Herstellungsdatum loszulösen und sie somit zeit- als auch ortslos werden zu lassen. Man wird aufgefordert, genauer hinzusehen und unabhängig von der Zeit und der Stadt seine Umgebung genauer zu beobachten. Denn wie Koehler selbst sagt, verlangt die Kunst viel vom Betrachter.

Die Haptik und der Sound einer Polaroid-Kamera veranlasste ihn zu einer Ausstellung, die Brücken baut – indem er eine Fototechnik aus den 60ern im Heute verortet – und für manchen eventuell mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Mit seiner Aufforderung „Guck mal näher hin im Leben“ verabschiedete er die Verfasserin dieses Beitrags und rüttelt gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen vielleicht noch den ein oder anderen Besucher wach.

Die Ausstellung in der Tufa ist bis zum 22. Dezember zu sehen.

Anja Piotrowicz

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