„Kein Mensch ist ohne Tattoo“

In einem studentischen Theater-Projekt mit hoher Fluktuation ist er eine der wenigen Konstanten. Michael Gubenko hat bereits in den unterschiedlichsten Rollen und Funktionen bei der Gruppe von „bühne 1“ mitgewirkt, die ab dem 16. Mai (20 Uhr) unter seiner Regie im Studio des Theaters Trier mit Igor Bauersimas „Tattoo“ bereits ihre vierte Produktion darbietet. Mit 16vor sprach der 27-jährige Lehramtsstudent über seine Inszenierung, den Wert der Kunst und die Probleme der freien Kulturszene in Trier.

16vor: Herr Gubenko, durch die Feuilletons des Landes fegt derzeit eine Debatte über Sinn und vor allem Unsinn staatlich finanzierter Kultur. Ist ein von der Gesellschaft subventioniertes Theater gerade in einer chronisch klammen Stadt wie Trier nicht tatsächlich eine pure Geldverbrennungsmaschine und damit reiner Luxus?

Michael Gubenko: Ganz und gar nicht! Abgesehen davon, dass durchaus Geld für Kultur da ist, es aber falsch verteilt wird, erfüllt das Theater wichtige gesellschaftliche Funktionen. Dazu gehört Entertainment, aber eben auch ein Bildungsauftrag. Ich finde, dem Theater Trier gelingt die Balance zwischen beidem im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten richtig gut. Für das jüngere, anspruchsvolle Publikum steht in der nächsten Spielzeit zum Beispiel Elfriede Jelineks „Winterreise“ auf dem Programm, traditionellere Zeitgenossen wurden im vergangenen Jahr mit einer herausragenden Inszenierung von Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ bedient, und klassische Popcorn-Kinofans konnten bis vor kurzem „Keinohrhasen“ sehen. Wer solche Vielfalt bietet, braucht sich zumindest wegen der Spielplangestaltung nicht zu rechtfertigen. Im rein ökonomischen Sinne sind Theater sicher Luxus, weil die wenigsten von ihnen profitabel arbeiten. Aber sie alle sind ein Luxus, den sich unsere Gesellschaft leisten kann und muss.

16vor: Tatsache ist aber auch, dass Theater früher Unterhaltung für alle Bevölkerungsteile bot, nicht nur für dieses bürgerliche Akademikertum gesetzten Alters, das heute die Publikumsreihen in den Spielhäusern der Republik dominiert. An der Vertreibung anderer Gruppen kann doch nicht nur die Verflachung durch Fernsehen und Kino schuld sein. Und „Keinohrhasen“ finden bei weitem nicht nur Menschen mit Abitur grässlich.

Gubenko: Ich denke schon, dass es zuerst eine neue Entwicklung der Sozialstruktur des Publikums gab, auf die die Theater dann reagiert und ihre Spielpläne tendenziell immer mehr auf Ü50-Zuschauer ausgerichtet haben. Aber das ist wie mit der Frage nach dem Huhn und dem Ei. Viel wichtiger ist doch, dass die Angebotsseite zumindest in Trier wirklich gut ist, auch wenn Auswahl und Dramatisierung von Filmstoffen sicher nicht in jedem einzelnen Fall glücken und solche Maßnahmen allein nicht alle verloren gegangenen Zuschauergruppen wieder ins Theater locken werden.

16vor: Inwiefern könnte das Stück „Tattoo“, das Sie mit „bühne 1“ ab dem 16. Mai im Studio des Theaters Trier inszenieren, ein Statement in dieser Hinsicht sein?

Gubenko: Es ist eine Satire auf den Kunstbetrieb. Fred und Lea sind idealistische Künstler, die materielle Entbehrungen in Kauf nehmen, um unkorrumpierbar zu bleiben. Eines Tages taucht Leas alter Freund Tiger auf – ein erfolgreicher, durch und durch marktkonformer Künstler und am ganzen Körper mit Tattoos geschmückt. Lea verspricht ihm im Überschwang, im Fall seines Ablebens seinen mumifizierten Körper zu hegen und zu pflegen. Es kommt, wie es kommen muss: Tiger stirbt und das Drama nimmt seinen Lauf. Angesichts der drohenden Kürzungen am Theater Trier und der dadurch aufgeworfenen Frage, ob man an der Kunst sparen sollte oder nicht, können wir mit dem Stück die Gegenfrage stellen: Kann man Kunst überhaupt monetär messen?

16vor: Wie lässt sich eine Kunstbetriebssatire einem Publikum nahebringen, das nicht täglich bei einem Glas Wein den Musil zur Seite legt, um über Monet zu diskutieren, während im Hintergrund Mahler aus der Musikanlage kommt?

Gubenko: Wer unsere Inszenierung sieht, wird es schnell erkennen. Wir wollen zeigen: Kunst fungiert als Metapher. Das Tattoo ist ein starkes Bild für das, was sich jeder von uns selbst als Maske auferlegt und damit seine eigene Identität konstruiert. Insofern kann man sagen: Kein Mensch ist ohne Tattoo. Lea/Fred und Tiger firmieren zwar als Vertreter verschiedener Haltungen zur Kunst, sie stehen aber auch stellvertretend für zwei völlig entgegengesetzte Lebenskonzepte.

16vor: Ist dieser Antagonismus von gutem Idealismus und bösem Profitstreben nicht moralinsauer und platt?

Gubenko: Ohne zu viel zu verraten: Der anfangs aufgebaute Gegensatz verschwimmt später. Denn das Stück will nicht oberlehrerhaft mitteilen, wie die gute Kunst oder das gute Leben aussehen müssen. Das wollen auch wir rüberbringen und in unserer Aufführung neben dem erwähnten Punkt, ob Kunst überhaupt in Geld zu messen ist, auch fragen: Ist es wirklich so einfach, in dieser Debatte einen bloßen Gegensatz Markt gegen Staat aufzubauen? Zwar möchten wir auch Antworten geben, deren Interpretation aber offen lassen. Wie in dem berühmten Satz: „Wir essen jetzt, Opa“, der durch das Weglassen des Kommas einen völlig anderen Sinn erhält. Wir servieren den Zuschauern den Satz, sie sollten aber dann selbst entscheiden, ob und wo sie Satzzeichen setzen.

16vor: Nachdem „bühne 1“ in den vergangenen drei Spielzeiten mit Moritz Rinkes „Republik Vineta“, Roland Schimmelpfennigs „Auf der Greifswalder Straße“ und „Genannt Gospodin“ von Philipp Löhle vor allem großräumige Gesellschaftskritik auf der Agenda hatte, wird es diesmal differenzierter?

Gubenko: Ja, das wollen wir auch in der Inszenierung klar machen. Gewohnte formale Strukturen sollen überwunden werden. Sobald die Zuschauer eine Regel oder eine Feststellung als solche erkannt haben, wollen wir sie durchbrechen. Wenn nachher in Kritiken steht, es habe kein klares Konzept gegeben, dann haben wir unser Ziel also erreicht (lacht). Natürlich muss es uns trotzdem gelingen, das Agieren jeder Figur nachvollziehbar zu machen. Das geht bei Bauersima nicht so tiefgehend wie bei Dostojewski oder Tschechow, weil der Text wenig Anknüpfung bietet, um die Biographie der Figuren zu entfalten. Die Zuschauer sollen am Ende sagen können: Tiger, dieser Widerling, ist doch nicht so ein großes Arschloch, und Lea und Fred sind nicht nur die von Grund auf guten Menschen, als die sie zu Beginn erscheinen.

16vor: Ist dem weitgehend unerfahrenen Ensemble eine solche Leistung zuzutrauen?

Gubenko: In den Proben habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich jeder intensiv mit seiner Rolle auseinandersetzt und die Herausforderung in jedem Fall meistern wird. Mit Ansgar Depping als Tiger haben wir einen versierten Mann im Team. Er ist sozusagen unser Bastian Schweinsteiger, der durch seine Erfahrung und Begeisterung andere mitreißen und auch mal anecken kann, ohne überheblich zu sein. Kim Henningsen, die die Lea spielt, und Christoph Übelacker, der die Rolle des Fred übernommen hat, fühlen sich auf der Bühne trotz ihrer geringeren Erfahrung sichtlich wohl und zeigen sich enorm lernfähig. Sie sind für „bühne 1“ eine große Bereicherung, ebenso wie Stefanie Blasi. Sie wird die Rolle der Naomi mimen und gibt damit ihr Schauspieldebut bei uns, nachdem sie im vergangenen Jahr als Regisseurin tolle Arbeit geleistet hat.

16vor: Ansprechendes studentisches Theater droht in Trier nach dem vorläufigen Ende von „Karussell e.V.“ und „TheaterUmriss“ zu verschwinden, auch „bühne 1“ hatte einen personellen Substanzverlust zu verkraften. Warum gibt es hier mittlerweile eine so kleine studentische Kulturszene?

Gubenko: Das liegt wohl erstens daran, dass diejenigen, die die studentische Kultur in den vergangenen Jahren geprägt haben, mit ihrem Studium fertig sind und weiterziehen. Und die Nachwuchsprobleme erklären sich vor allem durch die Umstellung auf Bachelor und Master. Die verschulten Studiengänge erlauben ein umfassendes soziales oder kulturelles Engagement immer weniger.

16vor: Ist Trier nicht insgesamt als Standort für freie Kunst ein verdammt schweres Pflaster, wie zuletzt die vonseiten der politisch besetzten Kulturstiftung verweigerte und nur mühevoll zustande gekommene Finanzierung der Gegenveranstaltung zu „Heilig Rock“ gezeigt hat?

Gubenko: Ich habe zwar noch nie in Siegen oder Cottbus gelebt und kann daher keinen Vergleich mit ähnlich großen Städten ziehen, aber die permanente Klage über zu wenig Kulturangebote in Trier geht mit wirklich auf den Sack. Wer mondäne Ambitionen hat, sollte nach Berlin oder Hamburg verschwinden und Trier nicht mit solchen Millionenstädten vergleichen. Und vor allem sollten diese Leute mal in den „Kulturbeutel“ oder den Eventkalender von „hunderttausend.de“ schauen. Klar hätte auch ich gerne jedes Wochenende die Wahl zwischen einer Kabarett-Veranstaltung à la Hagen Rether und einem Konzert vom Kaliber der „White Stripes“, aber was in Trier und Umgebung angesichts der Bedingungen kulturell angeboten wird, kann sich mehr als sehen lassen.

Aufführungstermine: 16., 18., 22., 23., 30. Mai; 6., 15., 21. Juni; jeweils 20 Uhr im Studio des Theaters Trier. Weitere Informationen: http://buehne1-trier.de/ und http://vimeo.com/40515511.

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