„Ich bin nicht im falschen Körper geboren!“

Perfekter Lidstrich, rote Lippen, ebenmäßige Haut. Gut kaschierte männliche Gesichtszüge werden umschmeichelt von einer schulterlangen kupferroten Perücke. Die glitzernden High Heels lassen Wanimas Beine endlos wirken und verschaffen ihr eine Größe von über zwei Metern. Ein gepflegtes Riesenmädchen in schwarzem Kleid und einem silbernen Gürtel, der sich figurbetont um die Taille schmiegt. Der darauf abgestimmte Schmuck wurde mit Liebe zum Detail ausgewählt. Mit Bewegungen von nuancierter Eleganz erreicht sie nahezu den Charme eines stolzen Mannequins. „Endlich ich!“, seufzt Wanima zufrieden. Die männliche Stimme irritiert.

TRIER. Transvestitismus bedeutet nicht bloß aufgedrehte, laute Dragqueens oder schillernde Travestiekünstler mit Federboa, übertriebener Schminke und tuntigem Gehabe. So häufig die erste Assoziation. Es steckt weitaus mehr dahinter. Transvestitismus bezeichnet das Bedürfnis, die Identität des jeweils anderen Geschlechts anzunehmen. Es äußert sich zum Beispiel häufig in Form von Kleidung, Verhalten oder Styling – was keinesfalls mit der sexuellen Orientierung einhergeht. Es gibt sowohl Homo- als auch Heterosexuelle, die eine solche Neigung ausleben, sei es im Geheimen oder öffentlich. Auch in Trier.

Eine beachtliche Sammlung von ungefähr 1500 Büchern, darunter etliche Klassiker und Philosophen, zieren akkurat sortiert die Regale der Wohnung. Davor ordentlich gekämmte Perücken in den verschiedensten Ausführungen. Modische Accessoires und eine große Auswahl an Kosmetika dekorieren einen Beistelltisch vor dem beleuchteten Spiegel. Auf der Spüle benutztes Geschirr, auf dem Fußboden fünf Paare Damenschuhe wild verteilt. Und die große blaue Couch lädt zum Faulenzen ein. Der gut organisierte Arbeitsplatz mit PC ist vor der großen Fensterfront ideal arrangiert. Hintergründig ist leise klassische Musik und der Duft von edlem Damenparfüm zu vernehmen. Wir sind in der Maisonettewohnung einer Transvestitin, in der von Wanima.

Wanima aus Trier bezeichnet sich selbst als „Transe“ oder kurz „TV“, was längst nicht mehr abwertenden Charakter besitzt. Der selbst gewählte Name wurde angeregt von dem lateinischen Wort „anima“, welches neben weiteren Übersetzungen auch „Seele“ bedeutet. C. G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, definierte später den weiblichen Teil der Seele eines Mannes als die Anima. Für Wanima naheliegend, aufgrund ihres geisteswissenschaftlichen Abschlusses an der Universität Trier. Sie setzte einfach den Anfangsbuchstaben ihres bürgerlichen Namens vor die weibliche Seele und fertig vereint war ihr kreativer, tiefgründiger Name.

Da sie sich als Mann verkleidet und im Inneren als Frau fühlt, wird sie im Text auch als weibliche Person behandelt. Eine operative Geschlechtsumwandlung oder Hormonbehandlung, wie es ausschließlich bei der Minderheit der Transsexuellen der Fall ist, kommt für die Transvestitin jedoch nicht in Frage. Sie plädiert für eine explizite Trennung des physischen vom psychischen Geschlechts: „Es gibt auch etwas dazwischen, schließlich sind wir alle anfangs noch androgyne Wesen“, sagt sie und verweist weiter auf antike Völker sowie auf die Rollenverteilungen in anderen Kulturen. Auch ein Leben ausschließlich als sogenannte „DWT“ (Szenebegriff für Damenwäscheträger) ist für sie heutzutage wenig erfüllend. Wanima ist mittlerweile eine Transe, durch und durch. Nur ihrer Familie gegenüber hält sie sich rücksichtsvoll bedeckt: „Meine Eltern würden diese Tatsache nicht mehr verkraften, geschweige denn verstehen.“ Sie kann sich als selbstständige Freiberuflerin und Singledame durchaus den Luxus des freien Lebens als TV erlauben. Meist stehen partnerschaftliche, familiäre Konflikte oder berufliche Aspekte dem ungenierten Ausleben im Wege. Begleitet von der Angst des Andersseins.

Diese musste auch Wanima erfahren, obwohl sie hinsichtlich ihrer Lage begünstigt war. Ihre damalige Partnerin zeigte sich äußerst tolerant. Sie unterstützte die Transvestitin bei ihrem Coming-out und gab zudem noch Styling- und Schminktipps. „Von Frau zu Frau sozusagen“, scherzt Wanima heute. Das war allerdings nicht der Trennungsgrund. Ebenso erwiesen sich spezifische Foren im Internet als große Hilfe bei ihrer Verwandlung zu sich selbst. Dennoch – die latente Angst vor dem noch Unerfahrenen war präsent.

Seit der „Efrauzipation“ überglücklich

Zunächst drehte sie als adrette Lady in der Dunkelheit schüchterne Runden um den Block im Trierer Norden und trat mit Perücke und in Damenbekleidung nur fernab von Trier auf, wo sie unerkannt blieb. Es waren nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Widerstände, die es zu überwinden galt. Gedanken wie „Ich bin anders als die Norm“ mussten erst einmal von Wanima selbst zugelassen werden. Ein langer Weg.

Als sie dann im Jahr 2007 erstmals ein Korsett trug und sich fraulich geformt im Spiegel sah, war der Rubikon endgültig überschritten. Es gab kein Zurück mehr, das Eis war gebrochen und die Heimlichkeiten passé. Die TV wagt seit diesem Zeitpunkt selbstbewusste Auftritte in der Öffentlichkeit. Sie ist überglücklich und nennt es belustigt ihre „Efrauzipation“. Anfangs zeigte sie sich in einem Szenelokal in Trier-Nord. Sie wurde akzeptiert und herzlich empfangen als die, die sie wirklich ist. Später ging es sogar unter anderem in die von ihr heißgeliebte Oper oder ins Theater, wo sie durch überwiegend positives Feedback bestärkt wurde. Dieses kam meist von Frauen. Was das auch immer bedeuten mag.

„Ich bin nicht im falschen Körper geboren, sondern höchstens in der falschen Gesellschaft“, betont Wanima. Sie möchte der Gesellschaft die Chance zur Toleranz geben und mit Vorurteilen aufräumen. Stereotypes Denken liegt nun einmal in der Natur des Menschen. Dinge und Gegebenheiten zu kategorisieren, in Schubladen zu stecken vereinfacht das Leben ungemein. Macht es vielleicht zu einfach. Solches lernen wir von Kindesbeinen an, da pauschales Denken auch einen gewissen Schutz bieten kann. Die TV fühlt sich jedenfalls in Trier als Frau richtig wohl und angenommen.

Fotoshooting in Brautkleidern

Das beweist auch das Fotoshooting bei strahlendem Sonnenschein am Kurfürstlichen Palais und im Palastgarten. Zu diesem Termin kam eine befreundete Transvestitin aus der Nähe von Dortmund angereist. Die beiden posierten, hübsch zurechtgemacht, ziemlich professionell vor der Kamera – in Brautkleidern. Bis ins kleinste Detail hergerichtet, selbst das Strumpfband fehlte nicht. Ab und zu blitzte es sogar, je nach Pose, kokett unter dem Traum in Weiß hervor. Neugierige Passanten blieben stehen und zückten ebenfalls ihre Kameras für diesen außergewöhnlichen Auftritt zweier eleganter Riesenbräute. Natürlich kreuzten auch kichernde Jugendliche und unbefangene Kinder auf. Selbst die ernsthafte Nachfrage „Habt ihr wirklich richtig geheiratet?“ blieb nicht aus. Mit dieser Aktion haben sich die beiden Transvestitinnen einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Sich vor einer grandiosen Kulisse in Brautkleidern ablichten lassen, einen Tag im Mittelpunkt stehen. Für die zwei ein ganz großes Highlight. Die Freundin besucht regelmäßig und gerne Wanima in Trier. Anders als in ihrem kleinen Heimatort und vor ihren Kindern, muss sie sich hier nicht verstecken. Die manchmal auch verachtenden Blicke und verletzenden Kommentare sind für sie in Begleitung einer selbstsicheren Gleichgesinnten leichter zu ertragen.

Nicht nur für dieses einmalige Erlebnis – es ist für Wanima jedes Mal etwas Besonderes, sich als Frau zurechtzumachen. Sie genießt diese Zeremonie regelrecht. Für ihre ganz persönliche Verwandlung der äußeren Erscheinung nimmt sie sich viel Zeit und Muße, verbringt mindestens zwei Stunden im Bad und vor dem Schminktisch. So präsentiert sie sich gerne und auch souverän, von ihrer ehrlichsten Seite. Zudem liebt die TV es, nach attraktiver Kleidung, Schmuckstücken oder schicken Schuhen Ausschau zu halten, was bei Schuhgröße 42 häufig viel Geduld erfordert.

Rebekka Pick

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