Hochfinanz statt Hochadel

"Macbeth" in der Version von Trier English DramaShakespeare-Dramen zu modernisieren ist nicht nur seit Jahren beliebter Regie-Trend, es ist auch fast die einzige Möglichkeit, die teils zeitlosen Stoffe aus ihrer antiquierten Schale zu befreien und einem heutigen Publikum begreiflich zu machen. Trier English Drama verlagert in seiner aktuellen Produktion „Macbeth“, das Drama um Intrige, Machtbesessenheit und Gewissenlosigkeit in die Vorstandsetage einer „Bad Bank“ im 21. Jahrhundert. Die Idee ist reizvoll und funktioniert über weite Strecken. Doch das „Scottish Play“, dessen Name nach altem Schauspieleraberglauben nie ausgesprochen werden darf, bringt auch der sonst souveränen Trierer Truppe um Elke und Christoph Nonn kein Glück: „Macbeth“ vermag am Ende trotz teilweise guter Einzelleistungen nicht zu überzeugen.

TRIER. Außergewöhnliche Wendungen sind Sache von Trier English Drama (TED). Das Loslösen von klassischen Stoffen aus ihrer ursprünglichen Form, das Spielen mit Anachronismen und (meistens guten) Gags hat in den Produktionen der ambitionierten studentischen Theatergruppe schon öfters funktioniert – zum Beispiel in Jane Austen’s „Northanger Abbey“, das mit charmanten Stilbrüchen glänzte.

Mit Shakespeare’s „Macbeth“ hat die Gruppe sich schwere Kost vorgenommen – und grundlegend auf links gedreht. Die klassische Tragödie vom tödlichen menschlichen Ehrgeiz, im Original im schottischen Hochadel angesiedelt, spielt bei TED in der Vorstandsetage der „Royal Caledonian Bank“. Die Idee wirkt zunächst aufgesetzt, funktioniert dann aber überraschend gut. Auch dass Macbeth in der Trierer Version eine Frau ist, wirkt sinniger als man beim Lesen des Programmhefts annimmt. Hier spielt der Gruppe das Zeitgeschehen in die Karten; erst Tage vor der Premiere wurde im Bundestag die Frauenquote in Firmenvorständen diskutiert, nur Wochen zuvor war die „Iron Lady“ Margaret Thatcher gestorben.

Die Rivalitäten und Erbstreitigkeiten, von denen jedes Shakespearesche Historiendrama lebt, sind hier die feindlichen Übernahmen; der „enemy at the gates“ ist die Bankenkonkurrenz aus dem Ausland. Nach einigen Startschwierigkeiten macht diese Transformation von den Highlands in die Hochfinanz also Spaß: Dass Vorstandsmitglieder einer Bank ihren Chef wahlweise mit „Your Highness“ oder „My Chief“ anreden, könnte angesichts des Größenwahns mancher Banker sogar stimmen; sagte man nicht, noch aktueller, über Uli Hoeneß, dass manche Leute nicht wüssten, ob er jetzt Präsident von Deutschland oder Präsident eines Fußballvereins ist? Und was ist der Mittelpunkt seiner momentanen, dreckigen Story? Ein Nummernkonto von Shakespearscher Tragik.

Im Stück wird es schnell ernst: Für den „Chief Executive Officer“ der Royal Caledonian, Duncan (Maximilian Eisl), ist es an der Zeit, zu handeln. Macduff (Adam Pardoe, der einzige Muttersprachler der Gruppe) und Ross (Vanessa Klein), zwei Mitglieder des Vorstandes, erstatten positiven Bericht – der „unfriendly takeover“ einer norwegischen Bank wurde abgewendet, die Aktionäre sind beruhigt. Zu verdanken ist das einer gewissen Ella Macbeth (Anna Weinand), ebenfalls Vorstand. Sie soll, so MacDowell, bei nächster Gelegenheit mit dem CEO-Titel belohnt werden.

Macbeth erfährt von dieser Ehre, weil drei Reinigungskräfte das Gespräch belauschten und sie orakelhaft darüber in Kenntnis setzen. Als Duncan dann doch seinen Sohn Malcolm (Mathias Zimmer) zum CEO macht, ist sie enttäuscht. Ihr Mann Andrew (André Manchen) schlägt ihr vor, Duncan umzubringen, um an den Titel zu kommen. Nach anfänglichen Zweifeln schreitet Macbeth zur Tat, ersticht Duncan und schiebt die Schuld auf seine beiden ebenfalls toten Leibwächter. Macduff findet die Leichen, Duncans Sohn Malcolm flieht nach England (um dort, konsequenterweise, einen Posten bei der „Bank of England“ anzunehmen), Ella wird tatsächlich CEO – mit reichlich Blut an den Händen. Um diesen Posten auch zu behalten, deutet sie in den Fernsehnachrichten an, Malcolm sei hochverdächtig, weil flüchtig.

Bis hierhin war das ein hartes Brot – der Plot ist schwer durchschaubar. Namensschilder am Nadelstreifen-Revers helfen, die Bänker auseinanderzuhalten, das Programmheft hilft, der Handlung zu folgen, so man es vorher gelesen hat. Doch gegen Ende des ersten Teils nimmt die Inszenierung Fahrt auf, steigern die Darsteller ihre Intensität, artikulieren jetzt die schwierigen Shakespeare-Passagen deutlicher. Dennoch sind nicht alle verständlich. Wer in der Mitte des nicht ganz vollen großen TUFA-Saals sitzt, hat Mühe, dranzubleiben, da einige Schauspieler leider gar nicht zu verstehen sind. Was ankommt ist, dass der Text mit viel Liebe zum Detail aktualisiert wurde – und dass die schön inszenierten Fernseheinspieler wunderbar als moderne Variante des griechischen Chors funktionieren.

Bis zur jetzt folgenden Pause verzeiht man dem Stück also auch diverse darstellerische Schwächen – wie zum Beispiel die, dass die drei Hexen bzw. Putzfrauen, gespielt von Adelina Arnold, Alissa Horsch und dem ewig überdrehten Christian Lühr (der in bisherigen Produktionen immer noch irgendwie die Kurve kriegte, was ihm in Macbeth einfach nicht gelingen will), völlig untergehen. Es wird aus verschiedenen Gründen nicht klar, was diese drei im Original so wichtigen Figuren eigentlich sollen oder wollen. Wohltuend stechen dagegen Anna Weinand als Ella Macbeth und André Manchen als ihr Mann Andrew heraus – die beiden tragen textlich die Hauptlast, sowohl sprachlich als auch schauspielerisch kann man ihnen folgen. Auch die zunehmenden Gewissensbisse, die schließlich im Selbstmord enden (Andrew) und die sich entwickelnde Killermentalität, das Für-den-Job-über-Leichen-gehen (Ella), kauft man ihnen ab.

Leider startet die zweite Hälfte mit einem katastrophalen Regie-Einfall, der einigen, bisher zusammengekommenen Bonus wieder verspielt: Macbeth trifft die drei Putzhexen auf einem Punkkonzert und bekommt von diesen bis zur Bewusstlosigkeit Spirituosen eingeflößt. Der Beginn der Szene, in der die Reinigungskräfte Punkrocker sein sollen, ist als schlechte Playbackshow so nachhaltig peinlich inszeniert, dass daran noch nicht einmal unfreiwillige Komik zu erkennen ist. So nachvollziehbar die Intention ist – die laute Punkmusik als sinnenverwirrender Hexenkessel, die Schnapsflaschen als böse Geister, die Mischung aus beidem als Verbindungsweg zum Übersinnlichen, das hat immerhin auch schon mal genau so in Ken Russell’s „Tommy“ funktioniert, mit Eric Clapton als Wunderheiler und Alkoholausschenker und „The Who“ als Ministranten. Doch Christian Lühr mag vieles sein – Clapton ist er nicht. Es gilt die goldene Regel: Leute, die in ihrem Leben noch nie eine Gitarre in der Hand hatten oder hinter einem Drumset gesessen haben, gehören mit diesen Instrumenten weder auf die Bühne, noch auf Werbeplakate.

Schlimmer noch: Der Punk-Gesang der drei Hexen ist vollkommen unverständlich. Gerade hatte man sich in die nicht ganz einfache Shakespeare-Sprache hineingehört, schon versteht man leider wieder gar nicht, worum es geht. Dabei ist das nicht unwichtig: Macbeth hat Visionen, hört Stimmen, die ihr sagen, sie sei unbesiegbar, solange Großbritannien nicht der Eurozone beitritt (eine nette Abwandlung des Shakespearschen „Waldes von Birnam“). Außerdem könne ihr nicht gefährlich werden, wer von einer Frau geboren sei, also quasi niemand – eine Voraussetzung für die zunehmende Macbethsche Hybris, die sie kurz vor der Pause noch dazu gebracht hat, ihre Kollegin Banquo von den drei Hexen umbringen zu lassen.

Die Dinge spitzen sich zu. Macbeths Vorstand ist zu Malcolm nach England geflohen; Macduff erfährt aus den Fernsehnachrichten, dass seine komplette Familie umgebracht wurde. Macbeth wiegelt vor der Kamera ab, verneint Zusammenhänge zu bankinternen Streitigkeiten. Ihr Mann Andrew, von seinem Gewissen schwer geplagt, beginnt zu schlafwandeln (die stärkste Sequenz für André Manchen, der hier endlich in seine Rolle gefunden hat) und bringt sich schließlich um. Nun will die „Bank of England“ die „Royal Caledonian“ übernehmen – für Macbeth kein Grund zur Sorge, Großbritannien ist weit von der Eurozone entfernt.

Doch wieder bringen die Nachrichten die Handlung ein gewaltiges Stück voran: es erscheint – clever montiert – der britische Premier David Cameron auf der Leinwand, spricht von Annäherung an Europa, und der Lauftext schreibt: Großbritannien bekommt den Euro, und die Aktien der „Caledonian“ fallen. Die „Bank of England“ (Malcolm, Macduff, Ross, Banquos Tochter Florence) erscheint im Konferenzraum, um die Übernahme zu vollziehen. Und auch die Weissagung, dass niemand Macbeth töten könne, der von einer Frau geboren sei, ist nichts mehr wert: Macduff kam per Kaiserschnitt auf die Welt, ist damit also der einzige Kandidat für einen Königsmord, den er auf dem Konferenztisch mit einem Messer auch vollzieht. Wieder ist Anna Weinand als Macbeth blutüberströmt, doch diesmal ist es ihr eigenes. Malcolm beerbt über Umwege doch noch seinen Vater Duncan, allerdings bleibt offen, ob die britische Finanzwelt nach diesen zahlreichen Morden wieder in ruhige Fahrwasser kommen wird.

Was steht unterm Strich? Trier English Drama ist es mit „Macbeth“, anders als beispielsweise in den leichtfüßigen Austen-Inszenierungen, nicht gelungen, den englischen Klassiker schlüssig auf die Bühne zu bringen – schade, möchte man sagen, denn die Truppe ist nach wie vor ideenreich und hochengagiert. Jedoch, frei nach Shakespeare bzw. in diesem Fall Andrew Macbeth: „What’s done is done“.

Weitere Aufführungen im Großen Saal der Tufa: Heute, 23. April, Freitag, 3. Mai, und Sonntag, 5. Mai, jeweils um 20 Uhr.

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