Hamlet für zwei

Peter Singer in seiner letzten Hauptrolle am Trierer Theater. Foto: Marco PiecuchAm vergangenen Donnerstag feierte „Der letzte Vorhang“ der niederländischen Drehbuchautorin Maria Goos am Theater Trier Premiere, ein tragisch-komisches Stück über den Nachklang der eigenen Vergangenheit und die vermeintliche Unvereinbarkeit zweier Welten – brillant verkörpert und gespielt von Sabine Brandauer und Peter Singer, der hier in seiner letzten Hauptrolle in Trier zu sehen ist. Im Sommer geht er in den Ruhestand.

TRIER. Das Bühnenbild der kompakten Studiobühne: symbolhaft reduziert auf ein Sofa und eine Bar, im Hintergrund eine dezent eingesetzte Leinwand. Ein Mann kommt hereingetorkelt, ein alter, wahnhafter Säufer in ausrangierter Kleidung und blaugeäderter Nase, dessen unverständliches Gebrumme von den Speichelbläschen vor seinem Mund aufgefangen wird. Es zieht ihn im Zickzackkurs auf ein Gläschen an die Theke.

Auf dem Sofa, mit selbstgestrickten Socken, in tiefer Joga-Haltung in sich ruhend, eine Frau, die so sehr das Klischee bürgerlich-esoterischer Weltanschauung ausstrahlt, dass man die tiefe Kluft zum Trinker förmlich spüren kann. Nicht umsonst wurden solcherlei Sitzgelegenheiten wie das Sofa (besser: das Fauteuil) während der Moderne als Sinnbild bürgerlicher Degeneration angesehen, worin sich, träge fläzend, Bürgertöchterchen und -bürschlein bis weit in die Mittagszeit hinein kakaotrinkend die „Morgenstunden“ versüßten.

Es entspannt sich ein wortreicher und absurder Dialog zwischen den beiden. Absurd, weil es sich offensichtlich um ein Ehepaar handelt und man ihnen die innere Verbundenheit nicht abzunehmen vermag. Plötzlich wird klar: Die beiden proben ein Stück, welches an Edward-Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ gemahnen soll, doch bringen sie sehr unterschiedliche Rollenvorstellungen mit. Daraufhin begegnet er ihrem vermeintlichen schauspielerischen Unvermögen mit zynischer Verachtung, sie verzweifelt an seiner Kälte und wird allmählich hysterisch. Schon folgt die nächste Überraschung – auch das wieder nur gespielt.

In Wirklichkeit ist das Hippiemädchen nicht Jojanneke. Diese sollte nämlich zusammen mit Richard (Peter Singer) in einer neuen Produktion auftreten, doch lange hielt sie es mit dem großmannssüchtigen Alkoholiker nicht aus. In Wirklichkeit ist das Hippiemädchen Lies (Sabine Brandauer), seine Schauspielpartnerin aus alten Tagen, die letzte Hoffnung, die eigens aus Frankreich eingereist ist, um die Produktion zu retten, und nun in niederträchtiger Manier Jojanneke persifliert.

Es ist vor allem dieses Zwiebelprinzip, welches das Stück so sehenswert – und zu einer dankbaren Metabühne für schauspielerische Fähigkeiten – macht. Wenn „Jojanneke als Ehefrau im Stück“ fließend zu „Jojanneke während der Probe“ und dann zu Lies wechselt, diese Metamorphose wie selbstverständlich durch einen beiläufigen Kleiderwechsel hin zum sexy Vamp unterstreicht, nur um dann Augenblicke später in die Rolle der übermütigen und lebensbejahenden „Lies in jungen Jahren“ zu verfallen, die bisweilen zur Melancholie neigt, und schließlich – kaum dass die Tränen getrocknet sind – noch nebenbei die Perspektive des Erzählers einnimmt, dann ist das ganz große Schauspielkunst. Da passt der kleine Seitenhieb auf Shakespeares Hamlet, denn reduziert man das Stück auf die Vielfalt der schauspielerischen Darstellungsebenen, dann kann man es ruhigen Gewissens als „Hamlet für zwei“ bezeichnen.

Dasselbe gilt für Richard, der nicht nur überragend den Alkoholiker mimt, dem der Schweiß von der Stirn tropft, sondern auch eine wunderbare Karikatur des schnöseligen und affektierten Kunstsammlers und Ehemanns von Lies, Walter, abliefert; so realitätsgetreu, dass ihr Angst und Bange wird: „Menschen verwandeln sich in deiner Anwesenheit“, sagt sie – und zielt damit nicht nur auf Richards manipulatives Wesen ab, das ihren Mann bis zum Erbrechen zum Trunk verführt hat. „Durch meine Anwesenheit siehst du ihn erst richtig“, so Richards vieldeutige Antwort.

Dem Betrachter wird mithilfe der Probe zu dem Stück mit aller Macht vor Augen geführt, was gewesen wäre, wenn Lies (Sabine Brandauer) beim Theater – und damit bei Richard (Peter Singer) – geblieben wäre. Foto: Marco PiecuchSeine Abneigung gegenüber Walter liegt nicht nur darin begründet, dass er mit Lies verheiratet ist, der Frau, mit der er 20 Jahre lang auf Theaterbühnen gestanden, die er wohl geliebt und mit der er doch nur eine kurze Affäre gehabt hat. Seine Abneigung reicht tiefer und entzündet sich im Kern an seiner Verachtung für alles Bürgerliche. „Wir sind die emotionale Elite“, verkündet er großspurig – und stellt so nicht nur den größtmöglichen Gegensatz zwischen Gefühl und Verstand her, sondern nimmt auch die bisweilen befremdliche Überheblichkeit und Affektiertheit einer selbstreferenziellen Künstlerelite aufs Korn, die doch nur den begrenzten Einfluss des Theaters verabsolutiert.

Lies, die es sich einstweilen in dieser Bürgerlichkeit (bezeichnenderweise wohnt sie mit Walter in Frankreich, dem Ursprungsland der bürgerlichen Revolution) bequem gemacht hat, ist hin- und hergerissen, denn sie hat die schönen Momente im Leben einer Schauspielerin nicht vergessen und durchlebt sie durch die Nähe Richards erneut. Er ist daran nicht ganz unschuldig und konfrontiert sie bewusst mit positiven Versatzstücken aus dieser Vergangenheit.

Gleichzeitig wird dem Betrachter mithilfe der Probe zu dem Stück mit aller Macht vor Augen geführt, was gewesen wäre, wenn sie sich nicht für dieses Leben entschieden und beim Theater – und damit bei Richard – geblieben wäre.

Diese Szene gehört zweifelsohne zur besten des Stückes, auch weil es sich um eine Wiederholung der ersten Szene handelt, die mit Esoterik-Jojanneke so offensichtlich nicht funktioniert hat und jetzt – als ernsthafte Probe mit Lies – zum Vergleich anregt. Die beiden als betrunkenes Ehepaar zu erleben, die an ihrer gegenseitigen Verbitterung zugrunde gehen und gerade noch die Kraft aufbringen, sich die tiefzynische Verachtung ins Gesicht zu schleudern, ist erschreckend und urkomisch zugleich.

Diese Gegenüberstellung zwischen Wirklichkeit und einer hoffnungslosen Parallelwelt verdeutlicht die Tragik zweier Liebender, die überhaupt nicht mehr zu wissen scheinen, ob sie noch mehr als reine Gewohnheit und reiner Alkohol verbindet und die sich deshalb voreinander ekeln. Es ist gerade dieses Wissen, welches beim Betrachter mitschwingt, den gefühlvollen und melancholischen Passagen des Stückes seine ahnungsvolle Tragik verleiht – und selbst vor den zurückhaltend eingesetzten Slapstickeinlagen nicht haltmacht.

Die nächsten Aufführungen von „Der letzte Vorhang“ finden am 1., 5., 16., 21., und 27. März um jeweils 20 Uhr statt.

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