„Hallo, wir sind Ethnologen“
Unter dem Motto „Von der Ferne in die Nähe“ findet am kommenden Wochenende im „Broadway“ in der Paulinstraße das ethnographische Filmfestival Trier statt. Gezeigt wird eine Auswahl preisgekrönter Filme, die bereits auf dem International Ethnographic Film Festival in Göttingen debütierten. Warum das Studienfach Ethnologie gefragter denn je ist, ob Filme wie „Freck langsam“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“ ethnologisch wertvoll sind, und warum es keinen deutschen Pierre Bourdieu gibt, erklärt Alannah Wörle, Pressesprecherin und Mitorganisatiorin des Trierer Projektes, im Gespräch mit 16vor-Mitarbeiter Johann Zajaczkowski.
16vor: Die Ethnologie wurde lange Zeit als Orchideenfach angesehen, welches sich unschlüssige Magisterstudierende als zweites Nebenfach zulegten. Hat sich das mittlerweile geändert?
Alannah Wörle: Auf jeden Fall! Zwar gibt es die Ethnologie in Trier – im Gegensatz zu anderen Universitäten – noch nicht als selbständigen Studiengang, aber das Fach ist fest in das Studium der Sozialwissenschaften eingebunden. Auch hat sich eine Professur in dem Fach gebildet, was auch auf ein gesteigertes Interesse hinweist.
16vor: Worin liegt dieses neue Interesse begründet?
Wörle: Zunächst muss man darauf hinweisen, dass das klischeehafte Bild vom tief im Urwald forschenden Abenteurer nicht mehr viel mit der zeitgemäßen Ethnologie zu tun hat. Es gibt kaum noch weiße Flecken auf dem Globus – oder Völker, die es zu entdecken gilt. Deshalb beschäftigen sich Ethnologen heutzutage hauptsächlich mit der Kultur und Kommunikation zwischen den Völkern. Die Fähigkeiten, die dies möglich machen, sind sehr gefragt. Auch interessant ist die Untersuchung moderner Phänomene wie der Internetkultur oder Glokalisierungsprozessen…
16vor: …das heißt?
Wörle: …damit sind die Auswirkungen der Globalisierung auf einen lokalen Ort, also beispielsweise Trier gemeint.
16vor: Wie wäre es damit, das Traditionelle mit dem Modernen zu versöhnen und das Verhalten von Backpackern, also Rucksacktouristen zu untersuchen?
Wörle: Das wäre auf jeden Fall interessant. Ich wüsste auch nicht, dass es dazu bereits Studien gibt.
16vor: Man hat das Gefühl, dass kaum etwas von der Arbeit der deutschen Ethnologen an die Öffentlichkeit dringt – beispielsweise in Form von Populärliteratur. Interessieren sich die Deutschen nicht dafür?
Wörle: Ich glaube auch, dass unsere Arbeit nicht so leicht bis zur Öffentlichkeit vordringt. Wir schreiben uns schließlich nicht „Hallo, wir sind Ethnologen“ auf die Stirn. Ethnologen arbeiten beispielsweise oft an Studien des Bundestags oder bei den Vereinten Nationen mit. Dort zeigt sich dann auch die Relevanz ihrer Forschungsergebnisse. Daneben publizieren viele in verschiedenen Kulturmagazinen.
16vor: Werden ethnologische Arbeiten auch dadurch publikumswirksamer, indem sie sich den Film als Medium aussuchen?
Wörle: Nur wenn es sich um seriöse Reportagen handelt. Der ethnologische Film und die Reportage unterscheiden sich vor allem bei der Herangehensweise. Erstere werden eher von Menschen gedreht, die die eigene Sichtweise auf ihre Kultur darstellen, uns also gewissermaßen eine Einschätzung der eigenen Kultur liefern. Bei letzteren wird das Material oftmals selektiver ausgesucht.
16vor: Dann müsste man doch eigentlich Filme wie „Freck langsam“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“ mit dem Prädikat ‚ethnologisch wertvoll‘ auszeichnen.
Wörle: Die hab ich leider nicht gesehen. Als Beispiele fallen mir aber „Gran Torino“ oder „Avatar“ ein.
16vor: Wie sieht die Arbeit eines praktizierenden Ethnologen denn konkret aus?
Wörle: Die Arbeit basiert hauptsächlich auf der Feldforschung. Man partizipiert als teilnehmender Beobachter über einen längeren Zeitraum hinweg am Leben der zu erforschenden Kultur – idealerweise für ein Jahr, weil man dann alle wichtigen Festlichkeiten einmal miterlebt hat. Der Forscher muss immer versuchen, die Perspektive der erforschten Kultur zu übernehmen. Da ist es schwer, trotzdem wertfrei und neutral zu bleiben, ständig besteht die Gefahr des „going native“. Ein wichtiges Arbeitsutensil ist nach wie vor das Feldtagebuch.
16vor: Kommen wir zu unerfreulichen Themen. Kaum eine andere Disziplin steht so stark im Ruf, die pseudowissenschaftliche Legitimierung der Rassentheorien der Nationalsozialisten geleistet zu haben. Belastet das Erbe die heutige Ethnologie?
Wörle: Dazu hat Pierre Bourdieu vor 30 Jahren etwas Passendes gesagt: „Manche, die sich heute gern zu Richtern aufwerfen und sich darin gefallen, Lob und Tadel an die Ethnologen und Soziologen der kolonialen Vergangenheit auszuteilen, könnten Nützlicheres leisten, wenn sie sich bemühten zu verstehen, woran es gelegen hat, dass auch die Klarsichtigsten und Wohlmeinendsten unter ihren Angeklagten manches nicht verstehen konnten, was heute auch für die weniger Klarsichtigen und bisweilen sogar für die Böswilligsten evident ist“. Ich denke, dass vor allem die Ethnologie heutzutage bemüht ist, zum Kulturverständnis beizutragen und sie Toleranz gegenüber anderen Kulturen lehrt. Ethnologen tragen viel dazu bei, dass solche Dinge nie wieder passieren.
16vor: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie als Ethnologin ein Museum für Völkerkunde besuchen? Immerhin wurden viele der Exponate während der Kolonialzeit entwendet und bleiben bis heute ihren rechtmäßigen Besitzern vorenthalten.
Wörle: Museen sind interkulturelle Begegnungsstätten. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit fremden Kulturen anregen, im besten Falle lernt der geneigte Besucher etwas dazu. Dies geschieht über die Leihgaben. Bis auf einige spektakuläre Ausnahmen ist die Rückgabe von „geraubten“ Kulturgütern weitgehend geklärt. Diese Frage wird kaum noch diskutiert, es geht eher darum, wie und wo diese gelagert werden sollen, damit sie erhalten bleiben. Bei vielen Kulturgütern kann auch nur noch schwerlich geklärt werden, wer einen Anspruch darauf hat.
Informationen über das Filmfestival finden Sie unter http://filmfestivaltrier.jimdo.com/ und auf Facebook http://www.facebook.com/events/356672601058676/