Grausam schön

Mit der Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten verließ man in Trier vertrautes Opernterrain. Rein äußerlich zeigte sich dies schon an den etlichen freien Sitzplätzen im nicht ausverkauften Großen Haus des Trierer Theaters. Musikalisch schien man auf der Bühne zunächst etwas planlos durch die tobende See zu schippern, kam aber nach entsprechender Akklimatisation schließlich doch noch auf Kurs. Am Ende konnte man einen souveränen Achtungserfolg einfahren, wobei vor allem die zum Teil beachtlichen Leistungen der Akteure vom Publikum mit rhythmischem Applaus und Standing Ovations überschwenglich quittiert wurden.

TRIER. Dass Oper etwas zutiefst Schreckliches sein kann, ist für den notorischen Opern-Verweigerer ein feststehendes Axiom. Zu lang, musikalisch schwülstig, inhaltlich wie dramaturgisch fragwürdig bis hohl – dies und mehr wird da ins Feld geführt, und niemand wird diese zumeist eher Vor- als empirisch gewonnenen Urteile wirklich überzeugend widerlegen können. Für den Opern-Liebhaber wird eine Aufführung hingegen dann zur grausamen Realität, wenn die Dissonanzen härter werden, die Inszenierung zur persönlichen Nabelschau gerät und die gesangstechnische Umsetzung gar körperliches Schmerzempfinden hervorruft.

Benjamin Brittens erstes durchkomponiertes Bühnenwerk „Peter Grimes“, entstanden zwischen Januar 1944 und Februar 1945, hinterlässt einen merkwürdig zwiespältigen Eindruck. Der Orchesterapparat ist reduziert und ausgedünnt, alles konzentriert sich auf den Gesang. Eine gnadenlos offene Partitur legt jede einzelne Stimme frei, das Orchester bleibt, bis auf die Zwischenspiele, weitgehend im Hintergrund. Kann man in der klassischen Oper vom Timbre her weniger schöne Stimmen noch mit entsprechendem Orchesterklang auffangen und einfärben, hier steht der Sänger/die Sängerin quasi nackt vor dem empfindsamen Ohr des Hörenden. Dieser wird in Trier denn auch nicht sonderlich verwöhnt. Pawel Czekalas (Swallow, Rechtsanwalt und Bürgermeister) Stimme bleibt ebenso wie die von László Lukács (Captain Balstrode) ohne innere Strahlkraft. Bei Letzterem kommt zu seiner holzschnitzartigen Körpersprache auch noch ein fürchterlich krudes Englisch hinzu, dass jegliche Lust am Zuhören verleidet – anscheinend war er, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen beim Textcoaching gerade mal nicht da.

Die Stimmen der beteiligten Damen sind durchweg mit angenehmerem Timbre ausgestattet. Jedoch grassiert in Trier wie nahezu überall auf den Opernbühnen rund um den Globus ein trotz modernster Medizin unausrottbares Virus, gemeinhin bekannt unter dem Namen „Vibrato“. Besonders ausgeprägt zunächst bei Susanne Schimmack, die als Gemeindelehrerin Ellen Orford die weibliche Protagonistin der Oper verkörpert. Erst nach der Pause klingt ihre Stimme entspannter und vor allem in den Höhen näher am Ton. In abgemilderter, dennoch deutlich zu vernehmender Form flattern die Höhen auch bei Joana Caspar (Niece 1), Evelyn Czesla (Niece 2) und Diane Pilcher (Wirtin). Während ihr die Sprache keine Schwierigkeiten bereiten, hat sie deutlich mit dem Tonumfang ihrer Partie zu kämpfen. Die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in den Höhen bewegt, findet keine adäquate Entsprechung in der Tiefe.

Ist Peter Grimes in der Dichtung von George Crabbe noch der bloße Gewaltmensch, so ist er bei Britten ein vielschichtiger, komplexer Charakter. Zwar wird die Handlung dominiert von der Gegenüberstellung Individuum versus Masse, doch die innere Unruhe, die Grimes zu einem Getriebenen macht, ist Ausdruck von Angstgefühlen und Zurückweisung. Gianluca Zampieri gelingt es, eine feinsinnig ausbalancierte Figur des Peter Grimes zu zeichnen. In einem Moment noch ein zu rauher Gewalttätigkeit neigender Täter, im nächsten das von der Menge zurückgewiesene, weil in seinem Anderssein unverstandene Opfer. Sängerisch ist die Partie eine wahre Herausforderung, die stimmlich eine erhebliche Kondition verlangt. Zampieri bleibt auch hier der Rolle nichts schuldig, bewegt sich sicher, obgleich ihm die relativ hoch angelegte Lage einiges an Kraft abverlangt.

Neben dem sicher agierenden Orchester unter GMD Victor Puhl bildet der Chor das Rückgrad der gesamten Oper. Als Widerpart zu Grimes verkörpern Chor und Extrachor die Menge, die die „Spielregeln“ der Gesellschaft bestimmen. Angela Händel hat den Chor zu einem homogenen Klangkörper geformt, der im zweiten Akt eben noch traditionelle englische Kirchenweisen in überzeugender Bigotterie darzustellen vermag, sodann aber wie die stürmisch hereinpeitschende Flut urplötzlich zum todbringenden Mob wird. Matthias Kaisers Inszenierung meidet dabei jedoch eine oberflächliche Schwarz-Weiß-Zeichnung. Mit einer auf das Wesentliche reduzierten Personenführung verleiht er Brittens Werk gleichsam eine innere Stetigkeit, die bewegende Momente von ergreifender Eindringlichkeit hervorruft. Die Grausamkeit der Natur und des menschlichen Handelns stehen so in erschreckender Schönheit neben den zarten Tönen verkannter Zwischenmenschlichkeit.

Wenn die Musik Brittens auch nicht in allen Facetten leicht zu verdauen ist, wer einmal Oper erleben möchte, die durch die Unmittelbarkeit ihres zeitlos aktuellen Inhalts anzusprechen und zu fesseln vermag, der sollte sich eine der kommenden Aufführungen nicht entgehen lassen.

Weitere Aufführungen im März: Dienstag, 27. März, 20 Uhr; Freitag, 30. März, 20 Uhr.

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