„Niemand würde denken, dass ich schwul bin“

In vielen Fußballmannschaften dürfte es schwule Spieler geben. Aus Angst vor Beleidigungen oder Angriffen halten sich diese dort meist mit einem Outing zurück. Foto: Christian JörickeJason Collins, Robbie Rogers, Dominik Koll – immer häufiger bekennen sich männliche Profisportler öffentlich zu ihrer Homosexualität. Ein aktiver Bundesliga-Fußballer war bislang noch nicht darunter, denn Regenbogenflagge und rundes Leder scheinen nicht sonderlich gut zu harmonieren. Auch im Amateurbereich sucht man vergeblich nach Spielern, die offen zu ihrer Neigung stehen. Johannes aus Trier (Name von der Redaktion geändert) könnte einer der ersten Kicker sein, die ein Outing wagen, doch die Angst vor den Konsequenzen hält ihn bisher davon ab. 

TRIER. „Fußball ist eine wichtige Stütze in meinem Leben. Der Sport macht unglaublich viel Spaß und bringt mich an meine Grenzen. Es ist toll, im Team Ziele zu erreichen.“ Johannes gerät ins Schwärmen, wenn es um den liebsten Sport der Deutschen geht. Der 21-Jährige aus der Moselregion, den es für sein Wirtschaftsstudium nach Trier verschlagen hat, ist Fußballer mit Leib und Seele. An sich nichts Ungewöhnliches, wäre da nicht seine Sexualität: Johannes ist bisexuell, hatte in den letzten Jahren überwiegend Interesse an Männern und bezeichnet sich selbst als „deutlich mehr schwul als hetero“. Seit seinem 15. Lebensjahr ist er sich dessen bewusst.

Obwohl Johannes erst seit zwei Jahren im Verein aktiv ist, bedeutet ihm sein Hobby, das er ausschließlich in seiner Heimat ausübt, sehr viel: „Mittlerweile ist Fußball für mich im Leben so wichtig wie Musik.“ Sein Team kämpft in der untersten Kreisklasse um Punkte. Großes Talent für den Ballsport spricht er sich ab, die fehlende Technik ersetze er durch Ehrgeiz und Kampfgeist. Auf dem Platz den harten Kerl zu markieren, ist nicht sein Ding. „Ich bin nicht kantig und draufgängerisch“, erklärt Johannes. Nicht den gängigen Klischees zu entsprechen, scheint ihm dennoch besonders wichtig: „Niemand würde von mir denken, dass ich schwul bin. Meine engen Freunde, die es wissen, waren mehr als überrascht.“

Einen homosexuellen Amateurfußballer ausfindig zu machen, der einem Journalisten Einblicke in sein Leben gewährt, war äußerst schwierig. Ein öffentlicher Aufruf schien wenig sinnvoll, denn die Antwort eines Spielers käme einem Outing gleich. Einfacher war es, anonym im Internet Ausschau zu halten. Als bestens dazu geeignet zeigte sich die international erfolgreiche, von mehr als 1,5 Millionen Männern genutzte Datingplattform Gayromeo, die scherzhaft auch als „schwules Einwohnermeldeamt“ bezeichnet wird. Obwohl hier nackte Haut den Ton angibt und die Anbahnung sexueller Kontakte im Vordergrund steht, nutzen einige User die Seite, um Freundschaften zu pflegen oder aufzubauen.

Nach mehrwöchiger Suche fanden sich zwei Fußballer: Lediglich Johannes zeigte Interesse an einem Gespräch, anonym und risikofrei. Ein anderer User, der in seinem Profil einen Ausschnitt eines Mannschaftsfotos mit seinem Konterfei präsentierte und damit seine Vorliebe für Fußball offenbarte, wollte nur wenige Informationen über seine persönliche Situation preisgeben. Seine aktive Laufbahn im Amateurbereich habe er nach vielen Jahren unfreiwillig beenden müssen. Seine Homosexualität sei einer der Gründe für diesen Schritt gewesen. Ob Anfeindungen innerhalb der Mannschaft oder von außen dafür verantwortlich waren, wollte er nicht bestätigen.

Die Angst vor Angriffen oder Beleidigungen ist sicherlich einer der Gründe, warum homosexuelle Fußballer auf ein Outing verzichten. In den hohen Ligen stehen Fangesänge unter der Gürtellinie an der Tagesordnung. Homophobie ist dabei ein großes Thema, auch bei Teilen der Fans des Regionalligisten Eintracht Trier. In den unteren Klassen geht es auch auf dem Spielfeld wenig friedvoll zu. Übergriffe auf Schiedsrichter werden bundesweit vermeldet, Tätlichkeiten gegenüber Spielern nehmen zu. Ein Zwischenfall aus Trier beschäftigte sogar die überregionale Presse. Welche Reaktionen zu erwarten wären, wenn ein Spieler – egal ob Bundesliga- oder Kreisklassen-Kicker – durch sein Outing auch nur die geringste Angriffsfläche bieten würde? Die Frage bleibt unbeantwortet, da bisher nur Profis im Ausland den Schritt in die Öffentlichkeit wagten.

Die Angst spielt mit

Ähnliche Gedankenspiele beschäftigen auch Johannes, in dessen Mannschaft drei Mitspieler, die er zu seinen Freunden zählt, von seiner Vorliebe für das männliche Geschlecht wissen. In die herrschende Angst vor einem Outing mischt sich auch die Hoffnung auf ein freieres Leben. „Eigentlich wäre ich froh darum“, gibt er offen zu. Die Konsequenzen fürchtet er jedoch, angefangen bei der Reaktion der eigenen Equipe. „Einer sagte zu mir: Wenn du dich in der Mannschaft outest, kannst du wahrscheinlich gehen.“ Wie die Zeit danach aussehen würde? „Ich wüsste nicht einmal, ob ich dann noch mit den anderen trainieren könnte. Ich würde wohl erst einmal pausieren.“

Ein schwuler Bundesliga-Profi – diese Vorstellung lässt Hoffnung in Johannes aufkeimen: „Das würde alles auf den Kopf stellen.“ Das Outing hätte womöglich positive Effekte auf die Situation in den unteren Kreisklassen. „Die Bundesliga-Geschehnisse sind das große Stammtischthema. Von daher wäre es auch wichtig für den Amateurbereich.“ Ein Mann könnte alles verändern: „Es wird nie ohne eine Galionsfigur funktionieren, deswegen muss ein Profi als gutes Beispiel vorangehen und uns allen als Vorbild dienen.“

Als positives Beispiel nennt er das nur wenige Monate zurückliegende Outing des ehemaligen US-amerikanischen Nationalspielers Robbie Rogers. Er verabschiedete sich zunächst vom Spielbetrieb, gab aber kurze Zeit später sein Comeback bekannt und steht derzeit für Los Angeles Galaxy in der höchsten US-Liga auf dem Platz. „Viele Spieler haben sich mit ihm solidarisiert und ihm ihre Unterstützung zugesagt. Als er zum ersten Mal nach seinem Outing wieder auflief, wurde er gefeiert“, freut sich Johannes.

Ähnliche Erfahrungen machte auch Anton Hysén, der derzeit in Schwedens dritter Liga kickt. Er bekannte sich 2011 zu seiner Homosexualität und wurde weltweit für diesen Schritt bejubelt, machte in der Folgezeit jedoch vor allem durch gesellschaftliche Auftritte auf sich aufmerksam. Offen leben auch viele lesbische Sportlerinnen, darunter eine Vielzahl von Fußballerinnen aus Deutschland und Nordeuropa. Bei allen Sportarten haben Männer das Nachsehen: Unter den 23 offen homosexuellen Teilnehmern der Olympischen Spiele in London befanden sich lediglich drei Männer, zwei Reiter und ein Turmspringer – keine Mannschaftssportler.

„Ich will nicht weglaufen, ich möchte kämpfen.“

Hobbykicker Johannes fühlt sich in seiner derzeitigen Situation überraschenderweise nicht vollkommen unwohl. Am Wochenende reist er meist in seine Heimat, um dort etwas mit Freunden zu unternehmen, in der restlichen Zeit hält er sich in Trier auf und steht dort nicht unter ständiger Beobachtung der Dorfgemeinschaft. Nach dem Studium verschlägt es ihn womöglich wieder aufs Land. Und das aus einem einfachen Grund: „Ich will nicht weglaufen, ich möchte kämpfen. Nicht nur, was das Bild vom Schwulsein angeht.“ Beruflich und privat will er sein Glück in der Heimat finden – eine eher außergewöhnliche Einstellung, denn gerade Schwule und Lesben zieht es nach dem Studium in Großstädte, nicht selten nach Köln oder Berlin.

„In fünf Jahren spiele ich hoffentlich immer noch Fußball – und bin auch bei meiner Mannschaft geoutet. Ob es jedoch dieselbe wie jetzt sein wird, weiß ich nicht“, sagt Johannes. Zunächst steht jedoch erst einmal der Sommer an. Er plant, sich mit Laufeinheiten fit zu halten, „damit der Wiedereinstieg nach der Sommerpause nicht zu schwer fällt“. Auf Partys oder großen Events der LGBT-Community, wie dem Christopher Street Day, sucht man ihn wohl vergebens. „Randgruppensachen“ seien nicht sein Ding.

Dass Johannes nicht der einzige Kicker im Profi- und Amateurbereich ist, der ein Doppelleben führt, ist anzunehmen. Rolf Töpperwien, ehemaliger ZDF-Sportreporter, sprach im Fernsehen bereits offen über homosexuelle Profis und deren Versteckspiel, nannte jedoch keine Namen. Auch im Internet werden Gerüchte über bekannte Fußballer gestreut, deren Wahrheitsgehalt jedoch meist gegen Null tendiert. Johannes hat keinen Kontakt zu anderen schwulen Spielern. Lediglich ein homosexueller Schiedsrichter ist ihm bekannt: „Aber darüber rede ich nicht.“

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