„Facebook ist ein Ventil für ungehörte Bürger“

Eine Woche nach der Grundsatzentscheidung des Stadtrats, den Pachtvertrag für die Tankstelle in der Ostallee verlängern zu wollen, hält die Diskussion über das Thema an. Vor allem die Frage, welchen Einfluss die Facebook-Community auf die Entscheidung ausübte, sorgt weiter für Auseinandersetzungen. Thomas J. Brück, einer der maßgeblichen Initiatoren des Online-Protestes gegen die Schließung der Tankstelle, und 16vor-Redaktionsleiter Marcus Stölb trafen am Mittwoch in einer Art „Streitchat“ auf Facebook aufeinander und diskutierten Chancen und Gefahren gesteuerter Wutwellen. „Viele Menschen haben zuvor kein Gehör gefunden“, verteidigt Brück die Internet-Kampagne. „Mich stört diese Die-da-oben-wir-da-unten-Denke“, kontert Stölb.

Thomas Brück: Das Thema Tankstelle Ostallee hat uns gezeigt, Bürgerprotest auf Facebook bringt kommunale Politiker zum Umdenken!

Marcus Stölb: Da kann ich nicht widersprechen. Aber die Frage ist für mich, ob hier wirklich viel umgedacht wurde, oder ob es am Ende der Druck der Facebook-Aktivisten war, der jetzt die Entscheidung im Stadtrat brachte.

Brück: Nun, 2009 haben, so hört man, beinahe alle Fraktionen das Ende der Tankstelle für 2012 besiegelt, jetzt werden mehrere tausend Menschen auf Facebook aktiv und eine getroffene Entscheidung wird revidiert.

Stölb: Aber ist das jetzt ein gutes Zeichen? Ich behaupte mal, dass alle Argumente, die jetzt eine Rolle spielten, schon 2009 bekannt waren. Was hinzu kam war die Wahrnehmung, dass viele Menschen gegen die damalige Entscheidung waren. Es wurde auf Facebook richtig Druck gemacht.

Brück: Richtig! Ich finde es sogar ein sehr gutes Zeichen, scheinbar gab es damals schon eine Menge Menschen, die gegen die Entscheidung waren, aber kein Gehör gefunden haben. Facebook ist damit zum Ventil für viele ungehörte Bürger geworden, die damals einfach übergangen wurden.

Stölb: Mich stört diese „Die-da-oben-wir-da-unten-Denke“, wenn hier von „ungehörten Bürgern“ die Rede ist. Das mag für die Bundes- und Landesebene gelten, aber im kommunalen Bereich gab es nie zuvor mehr Möglichkeiten, mitzureden und sich einzubringen. Auch damals gab es ja eine Bürgerbeteiligung, über die der TV seinerzeit berichtete – 16vor gab‘s noch nicht.

Brück: Die Menschen erleben mit Facebook eine ganz neue Freiheit, sich selbst einzubringen und andere Leute mitzureißen. Es gibt auch Menschen, die können in Bürgerversammlungen nicht einfach aufstehen und ihr Statement abgeben, weil sie beispielsweise Angst haben. Diesen Menschen bietet das anonymere Internet eine Chance, wobei anonym hier auch falsch ist, denn die Menschen schreiben in aller Regel mit ihrem eigenen Namen ein Statement. Ich glaube, auch die Kommunalpolitiker unterliegen der Illusion, mit Bürgerforen, Gesprächen usw. wirklich den „Otto-Normal-Verbraucher“ noch ansprechen zu können.

Stölb: Mit Sicherheit bietet Facebook auch die Chance, dass Leute sich einbringen, die nicht zu einem Bürgerworkshop gehen. Da hat die Stadt bislang grandios versagt, das stärker zu nutzen – und sei es, um ein Gefühl für die Stimmung im Volk zu bekommen. Aber auch bei Facebook sollte es ein gewisses Niveau der Auseinandersetzung geben, und bei vielen Beteiligten – nicht allen – hatte ich das Gefühl, dass es in den Debatten vor allem um Politiker- und Stadtplaner-Bashing ging, die wenigsten sich aber mit den Hintergründen beschäftigen wollten. Da ist es dann echt nicht mehr weit zum Stammtisch!

Brück: Facebook kann auch als Stammtisch gesehen werden. Man hat sehr schnell einen Kommentar gepostet, der ohne wirklichen Hintergrund ein plattes Statement enthält. Mir scheint es aber in der Politik immer so zu sein, dass viel zu sehr auf Details Rücksicht genommen wird. Ich stelle einmal provokant die These, dass sich ein Bürger nur dann politisch interessiert, wenn er persönlich betroffen ist oder eine Ungerechtigkeit entdeckt, die Geld kostet, oder in diesem Fall, Einnahmen verringert. Nur dann lässt sich eine Protestwelle über Facebook auch wirklich erzeugen.

Stölb: Aber hier liegt doch das grundsätzliche Problem: Wenn persönliche Betroffenheit nun Wutwellen provoziert und Entscheidungen daraufhin kassiert werden, dann wird es kaum mehr Stadtentwicklung geben. Ich behaupte mal, dass sich gegen die Umwandlung von Domfreihof und Kornmarkt auch massive Wutwellen hätten lostreten lassen, wenn es denn Facebook gegeben hätte. Beim Domfreihof gab es ja aus anderen Gründen richtig Streit. Oder beim Thema Parkgebühren, oder als es jetzt ums Parken am Moselstadion ging. Die Frage ist doch, wann darf Facebook entscheidend werden?

Brück: Ist es denn ausreichend, wenn in einer Demokratie alle fünf Jahre Politiker/ Themen gewählt werden und danach der Bürger stumm bleiben soll?

Stölb: Nein, keineswegs. Aber wie schon gesagt: Auf Stadtebene gibt es ja viele Möglichkeiten, sich einzubringen, und auch Facebook hat für mich seine Berechtigung und sollte von den Verantwortlichen aufmerksam genutzt werden. Aber im Gegenzug erwarte ich von den Facebook-Usern, dass sie sich auf die Debatte auch wirklich einlassen und nicht nur schnell klicken. Mal eine andere Frage: Was hättet ihr gemacht, wenn die Entscheidung im Stadtrat jetzt gegen die Tanke ausgefallen wäre?

Brück: Zum Glück stellt sich die Frage nicht. Ich denke aber, dass sich der Protest in eine Richtung bewegt hätte, die nicht unbedingt sachlich geblieben wäre. Andererseits bin ich Realist genug, um eine solche Entscheidung zu akzeptieren. Der Protest wäre wohl kreativer ausgefallen.

Stölb: Aber der Protest wäre weitergegangen. Ich habe gelesen, dass die Leute auf Facebook nun Vorschläge für die Vertragsverhandlungen machen sollen.

Brück: Ich zähle zu den Menschen, die eine solche Entscheidung dann akzeptiert, aber nicht nachvollziehen hätten können. Nach dem Protest gilt es nun, sich für eine Lösung aller Beteiligten einzusetzen. Dazu zählen die ursprünglichen Probleme, Lärm, Dreck, usw. Auch hier ist die Protestgemeinde gefragt. „Nein“ sagen kann man schnell, konstruktiv an einer Lösung mitarbeiten ist dann der nächste Schritt.

Stölb: Das stimmt, aber die ersten Reaktionen sind ja wenig viel versprechend. Die Kommentare reichen von „Hauptsache, die bleibt da“ bis „24 Stunden Alk-Verkauf, und nicht nur an Reisende“.

Brück: Ich hätte auch mit mehr konstruktiven Vorschlägen gerechnet, das gebe ich offen zu. Aber wir befinden uns für Trier jetzt in einer Pilotphase. Die Tankstelle dürfte wohl das erste Projekt gewesen sein, was über Facebook größer aufgezogen wurde.

Stölb: Gibt es denn schon weitere Ideen? Ich meine außer Parken am Moselstadion.

Brück: Aktuell nicht. Da sind wir natürlich auch auf die Medien, wie 16vor, angewiesen, wegen der Recherche zu brisanten Themen.

Stölb: Wir werden sehen, was wir tun können.

Thomas Brück ist selbständiger Strategie-Berater für Social-Media-Marketing und kommunalpolitisch in seiner Heimatverbandsgemeinde aktiv. Auf Facebook hat er die Seite „Tanke Ostallee Trier muss bleiben“ ins Leben gerufen und über eine Online-Petition rund 500 Unterschriften zum Fortbestand der Tankstelle gesammelt.

Marcus Stölb ist freiberuflicher Journalist und Redaktionsleiter von 16vor. Mit einiger Regelmäßigkeit ist er auch Kunde des Tankstellenshops in der Ostallee. Nach anfänglicher Sympathie für das Anliegen, den Pachtvertrag zu verlängern, hat ihn der Verlauf der Diskussion umgestimmt.

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