„Es war auch etwas faul im Grünflächenamt“

TDas Amtsgericht Trier hat einen 53-Jährigen Mitarbeiter des Grünflächenamts zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Mann durch sein grob fahrlässiges Verhalten den Tod einer Frau beziehungsweise die schweren Körperverletzungen eines Mannes verursacht hat. Der Sachbearbeiter hätte, so das Gericht, die erheblichen Schäden der Kastanie erkennen und die sofortige Fällung veranlassen müssen. Der Baum kippte am 22. November 2012 im Trierer Rautenstrauchpark um und begrub zwei Menschen unter sich. Richter Wolf-Dietrich Strick gab allerdings der Stadtverwaltung eine Mitschuld: „Der Unfall ist nicht allein durch das individuelle Verschulden des Gärtnermeisters verursacht worden, sondern auch durch eklatante organisatorische Mängel im Grünflächenamt.“

TRIER. „Ich spreche Sie schuldig der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung.“ Richter Wolf-Dietrich Strick verurteilt den Angeklagten, einen 53-jährigen Sachbearbeiter des städtischen Grünflächenamts, am dritten Verhandlungstag im Prozess um das tödliche Baumunglück in der Trierer Altstadt zu 120 Tagessätzen à 40 Euro. Der Gärtnermeister soll am 23. Juli 2012 eine etwa 90 Jahre alte und mehr als 15 Meter hohe Kastanie im Rautenstrauchpark in Augenschein genommen haben. Jedoch habe er es grob fahrlässig unterlassen, sie eingehend zu kontrollieren, wie es seine Aufgabe gewesen wäre, sagt Strick. Dieser Baum ist an einem windstillen Mittag umgestürzt und hat zwei Menschen unter sich begraben: Eine 70-jährige Triererin war sofort tot, ein 59-Jähriger leidet noch heute unter seinen schweren Verletzungen. Wie bereits am Eröffnungstag zieht der Prozess die Medien an: Am Entscheidungstag sind erneut mehrere Kamerateams und ein knappes Dutzend Hörfunk- und Zeitungsreporter sowie rund 50 Zuhörer im Gerichtssaal 54.

Der Angeklagte wirkt beim Schuldspruch wie versteinert. Sein Verteidiger Roderich Schmitz plädierte zuvor für einen Freispruch. Entlastend wirke, dass es keine Richtlinie und keine Dienstvorschrift gebe, wann eine eingehende Baumkontrolle zu erfolgen habe. Zudem unterliege jeder Baum einer Sorgfaltspflicht, und der Angeklagte habe im Herbst 2012 nach eigenen Aussagen als alleiniger Zweitkontrolleur mit weiteren Aufgaben 100 solcher Fälle zu bearbeiten gehabt. Daraus folge: „Es kann kein Unrecht sein, etwas zu unterlassen, was keiner leisten kann“, argumentiert Schmitt. „Man muss das tun können, was man als Untätigkeit vorgeworfen bekommt.“ Das sei beim damaligen Personalschlüssel im Grünflächenamt nicht möglich. Zudem sei die Vorhersehbarkeit zu prüfen. Die sei nicht gegeben, da laut Amtsleiter Franz Kalck dies der einzige Fall innerhalb der letzten 40 Jahre war. „Beurteilen Sie die Situation, wie sie vor dem Unglücksfall war“, appelliert er an den Richter.

Dieser geht mit seinem Urteil jedoch weit über das Strafmaß hinaus, das Staatsanwalt Arnold Schomer gefordert hat: 60 Tagessätze je 30 Euro, also 1800 Euro. In seinem Strafbefehl, den das Amtsgericht im Juli abgelehnt hatte, hatte die Staatsanwaltschaft noch 90 Tagessätze gefordert. „Ich meine jetzt, das ist etwas zu hoch.“ Die Palette reiche sehr weit, von fünf bis 360 Tagessätzen. „Ich habe alle Kriterien genannt, für und wider. Das Gericht hat die Faktoren anders gewertet.“
Pro wertet Schomer, dass der Angeklagte den äußeren Sachverhalt einräume und das er ein gewissenhafter Arbeiter sei. Zudem sei dies ein Unterlassungsdelikt: „Der Angeklagte ist nicht tätig geworden.“ Er habe bei einer Untersuchung am 23. Juli den entscheidenden Hinweis bekommen und sei entgegen seinen Aussagen vor Ort gewesen. „Es hätte genügt, wenn er sorgfältig geschaut hätte. Da wären ihm die Indikatoren der mangelnden Standfestigkeit des Baumes aufgefallen.“ Die da waren der hohle Stamm, eingefaulte Schnittwunden, Pilzbefall, Wuchsanomalien, lichte Belaubung. Zudem hätte er in den vier Monaten bis zum Sturz der Kastanie die Möglichkeit gehabt, sie zu untersuchen. „Das grenzt direkt an ein Vorsatzdelikt.“ Allerdings: „Ich sehe eine Mitursache durch Arbeitsüberlastung“, was der Amtsleiter in seiner Aussage am zweiten Verhandlungstag bestätigt habe. Neben der Zweitkontrolle hatte er Aufgaben wie Naturdenkmäler und Materialbeschaffung. Aber: „An einem Schuldspruch führt kein Weg vorbei“, ist sich Schomer sicher.

Das sieht auch der Richter so: „Ich bin der Überzeugung, dass Sie Schuld haben und Sie für diese Schuld strafrechtlich verantwortlich sind“, sagt Strick zum Angeklagten. Denn er sei, anders als von ihm behauptet, am 23. Juli vor Ort gewesen. „Der Baum hat mit Ihnen gesprochen: ‚Nimm mich weg, ich kann nicht mehr.‘ Sie konnten es nur nicht verstehen“, sagt er in Anlehnung an einen Spruch des Angeklagten bei dessen Aussage. „Sie konnten, Sie mussten es sehen und mussten tätig werden.“ Dass er dies nicht gemacht habe „ist schlampig und verantwortungslos. Sie haben alles unterlassen, was richtig und wichtig ist.“ Es wäre seine Pflicht gewesen, den Baum zeitnah zum Schutz der Bevölkerung fällen zu lassen. „Das haben Sie nicht getan, und das mache ich Ihnen zum Vorwurf.“ So aber sei der Zettel über diese Kastanie in der Mappe mit weiteren 100 verschwunden und schlichtweg vergessen worden.

„Aber sie sind nicht der Alleinverantwortliche“, sagt der Richter. Ursprünglich sei der zuständige Baumkontrolleur mitschuldig gewesen. Ihn habe die Staatsanwaltschaft im Juli 2013 aus dem Gefecht genommen. Der 60-Jährige hat nach eigenen Aussagen die Kastanie Ende September/Anfang Oktober 2012 untersucht und den brisanten Zustand des Baums nicht dem Angeklagten gemeldet, weil der Baum bereits für die Zweikontrolle vermerkt war und „weil es nicht meine Aufgabe ist“. Die Staatsanwaltschaft werde gut daran tun, sagt Strick, ihre Einstellung zur Einstellung des Verfahrens zu überdenken. „Meiner Überzeugung nach her er hat er so viel Verantwortung zu tragen, wie der Angeklagte.“

Auch der Stadt Trier gibt Strick eine Mitschuld. Sie hätten über Jahre versucht, die Verkehrssicherheitspflicht mit einem Minimum an Personal und Kostenaufwand zu leisten. Der Unfall sei nicht allein durch das individuelle Verschulden des Gärtnermeisters verursacht worden, „sondern durch eklatante organisatorische Mängel: Stichwort: unkontrollierte und unregelmäßige Kontrolle. Es war nicht nur etwas faul im Baum, sondern auch im Grünflächenamt.“ Es sei daher richtig und wichtig für den Angeklagten gewesen, diese Mängel in einer Verhandlung öffentlich zu machen und nicht in einem Strafverfahren zu deckeln, sagt Strick. Dass es in der Verwaltung auch anders gehe, zeige die heutige Praxis. Für diese Erkenntnis hätte ein Mensch sterben und ein andere schwerwiegende Verletzungen erleiden müssen. „Es wäre aus meiner Sicht wünschenswert, wenn die Stadt und deren Führungseben ihre offenkundige Einsicht in eine zügige und unkomplizierte Schadensregelung gegenüber den Nebenklägern ausdrückt und so nachträglich Opferschutz leistet.“

Auch Staatsanwalt Schomer sagt: „Ich habe gesehen, dass eine Mitverursachung vorliegt wegen Arbeitsüberlastung und weil die Kontrollpflicht versagt hat.“ Er werde nach der Vorlage des schriftlichen Urteils sorgfältig prüfen, ob weitere Personen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können. Ebenso werde er sich das im Juli eingestellte Verfahren noch einmal näher ansehen. Gegen das Urteil können Staatsanwaltschaft und Verteidigung Rechtmittel der Berufung oder der Revision einlegen.

Mechthild Schneiders

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