„Ein wenig Aufklärung betreiben“

Vor wenigen Tagen erschien der zweite Roman des Kriminalschriftstellers Emile Claassen alias Karl-Georg Schroll. „Schweigen – In Gottes Namen“ beschäftigt sich mit Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche und anderswo. War Claassens Erstling – „Gier – Die fünfte Macht“ – auf der Grundlage eigener Erfahrungen innerhalb der aktuellen Parteienlandschaft entstanden, schreibt er hier augenscheinlich aus der Sicht eines nicht unmittelbar Betroffenen. 16vor unterhielt sich mit dem Autor und stellt sein neustes Werk vor.

16vor: Wie kamen Sie auf das Thema?

Emile Claassen: Das Thema begleitet mich schon seit ein paar Jahren. Ausgangspunkt war der von Joni Mitchell interpretierte Song „Magdalene Laundries“. Er handelt von sogenannten gefallenen Mädchen in Irland. Sie wurden von Priestern und eigenen Vätern sexuell ausgebeutet. Dann kam 2009 das Thema Missbrauch – vor allem in der katholischen Kirche – in die Medien. Im Raum Trier wurde darüber explizit berichtet.

16vor: Fürchteten Sie nicht, man unterstellte Ihnen, auf einen Trend aufzuspringen? Immerhin ist das Thema in den Medien stellenweise überpräsent.

Claassen: Ich greife in meinen Romanen aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf. Die letzten Monate wurden Missbrauch, die Opfer, die Institution Kirche immer wieder thematisiert. Es ist ein Thema, das sehr emotional geführt wird. Wenn nichts passiert wäre, müsste man sich über die Präsenz keine Gedanken machen.

16vor: Mir fällt beim Lesen Ihres Romans die große Empathie auf, die Sie für diejenigen Mitglieder und kleinen Funktionäre entwickeln, die die Kirche, an der sie wirklich hängen, retten wollen. Spielt da indirekt eigene Erfahrung mit Verbänden, etwa innerhalb der Politik, eine Rolle?

Claassen: Die handelnden Personen in meinen Romanen sind häufig Täter wie Opfer gleichermaßen. Diese Widersprüche versuche ich darzustellen. Meine Empathie gilt allen, die sich für eine gute Sache einsetzen. Das gilt selbstverständlich auch für Mitglieder der katholischen Kirche.

16vor: Mir scheint, dass Sie bei Ihrem zweiten Buch mehr Gewicht auf die kriminalistische Täterfrage legen. In „Gier“ konnten typische Krimileser den Eindruck gewinnen, Ihr Hauptaugenmerk gelte den Machenschaften, die den politischen Alltag bestimmen und nicht immer die juristische Relevanzschwelle überschreiten. Die Suche nach dem Mörder, hatte man den Eindruck, war eher nebenrangig. Reagierten Sie auf Einwendungen oder ergibt sich die Akzentverschiebung in Ihrem neuen Buch zufällig?

Claassen: Jedes Thema und somit auch jeder Roman entwickeln sich anders. Mir ging es auch diesmal vorrangig um die Aufklärung von politischen Machenschaften. Dabei ergab sich unversehens eine Verliererseite, die in bestimmter Weise auf Verdachtsmomente reagiert. Zur Rettung des persönlichen Status muss so gehandelt werden, dass die Entdeckung unterbleibt. Um nur ein mögliches Handlungsmotiv zu nennen. Das hat für mich etwas hoch Politisches. Ich kann mir durchaus vorstellen, auch Kriminalliteratur ohne Mord und Totschlag zu verfassen.

16vor: Wie einige Erzählungen von Conan Doyle? Allerdings gestaltet der Brite nur in seinem ersten Sherlock-Holmes-Roman ein aktuell politisches Thema: die brutalen Folgen des Glaubensfanatismus in der Pionierzeit der Mormonen. Seine späteren Welterfolge punkten mit spitzfindiger Charakterisierung und subtiler Ironie. Warum haben Sie sich für das ernstere Genre des politischen beziehungsweise sozialkritischen Kriminalromans entschieden?

Claassen: Ich maße mir an, ein wenig Aufklärung zu betreiben. Wenn ich diese blutigen Krimis betrachte, wo Wert darauf gelegt wird, die schwarzen Seiten eines Individuums zum Klingen zu bringen, dann habe ich den Eindruck, es soll da bloß vom alltäglichen Einerlei abgelenkt werden. Ich versuche, Engagement zu wecken.

16vor: Ihre Bücher sind handwerklich solide gearbeitet und thematisch brillant. Eigentlich Grund, sie herauszustellen und bevorzugt anzubieten. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Verkauf Ihres ersten Buches?

Claassen: Ich danke für das Lob. Leider ist der Absatz meines ersten Buches nicht besonders gut gelaufen. Obwohl das Thema „Korruption und Lobbyismus“, gerade in Zusammenhang mit der Raffgier von Politikern, absolut aktuell ist. In „Gier – Die fünfte Macht“ wurde das eingehend abgehandelt. An den Rezensenten der verschiedenen Zeitungen in Rheinland-Pfalz lag es nicht. Ich bin der Auffassung, dass es öffentlich nicht in den Mittelpunkt gestellt und beworben wurde wie Krimis, die von bereits bekannten Autoren geschrieben wurden.

16vor: Sie promovierten und arbeiteten als Verkehrswissenschaftler mehrere Jahre in Trier, dann einige Zeit für die LINKE-Fraktion im Bundestag und kehrten anschließend ganz nach Trier zurück. Man könnte Sie mit gutem Fug inzwischen als einen „Wahltrierer“ bezeichnen. Haben Sie eine mitteilensfähige Einschätzung darüber, wie man als Intellektueller mit künstlerischen Talenten in Trier aufgehoben ist?

Claassen: Verkehrswissenschaftler ist eigentlich mein Zweitberuf. Ich habe Sozialwissenschaften studiert und bin mit dieser Ausbildung gut elf Jahre im Kultur- und Kunstbereich in verschiedenen Administrationen tätig gewesen. In Trier hat mich das Thema Kunst noch nicht wirklich berührt. Eine Talentförderung ist mir hier nicht bekannt. Als ehemaliger „Folkie“ beobachtete ich eine Weile die Szene. Aber es tut sich nicht viel. Keine richtigen Treffpunkte – alles ist eher vom Geld abhängig.

Souveräner Umgang mit einem heiklen Thema

Missbrauch in der katholischen Kirche – ein heikles Thema. Heikel in doppelter Hinsicht. Einmal führt es an den untersten Bodensatz menschlichen Zusammenlebens und rührt an die Grundfesten der altehrwürdigen Institution Kirche. Zum andern ist es in den Medien dermaßen präsent, dass es eines gehörigen Fingerspitzengefühls bedarf, um Facetten hinzuzufügen und Klischees zu entgehen.

Dem in Trier lebenden Emile Claassen ist der Drahtseilakt trefflich gelungen. In seinem zweiten Krimi verbindet er Missbrauchsereignisse in Irland und Bayern zu einem Geflecht menschlicher Schicksale, Motivationen und Folgemotivationen, ohne den Eindruck zu hinterlassen, hier werde in bekannte Kerben geschlagen.

Ausgangspunkt der Handlung ist der Freitod eines 14-jährigen bayrischen Messdieners in den 1950er Jahren, der, Opfer einer Gruppe pädophiler Priester, sich selber der Unmoral bezichtigt und unter der Last zerbricht. Sein älterer Bruder, ein junger Kleriker, der die Zusammenhänge sofort durchschaut, gibt daraufhin die eigene Priesterlaufbahn auf und gründet, als die lange vertuschten Vorkommnisse endlich an die Öffentlichkeit drängen, einen Verein zum Opferschutz.

Ein betroffener Exmessdiener, traumatisiert und verhaltensauffällig, gerät in Verdacht, einen der Täter eben ermordet zu haben. Stärkere Aufmerksamkeit gewinnt jedoch eine geheimnisvolle 60-jährige, die in einem irischen Heim für „gefallene“ oder „gefährdete“ Mädchen als kostenlose Arbeitskraft ihre Gesundheit ruinieren musste und nur aus zufälligen Gründen dem auch sexuellen Missbrauch entging. Den organisierten Missbrauchsopfern gesellen sich prominente Trittbrettfahrer bei, die den Verein ihrerseits missbrauchen. Wie und wozu, soll hier nicht verraten werden.

In „Schweigen – In Gottes Namen“ werden Fäden geknüpft und in bewährter realistischer Manier schrittweise entwickelt, die für kriminalistische Spannung sorgen, vor allem aber, wie schon in Claassens erstem Roman, Raum schaffen für subtile Situationen, Haupt- und Nebenfiguren. Dabei kann der Autor erneut mit Ortskenntnissen punkten. Besonders die Szenen in Wasserburg, Freising und Umgebung, die den Löwenanteil des Buches bilden, atmen fein dosiertes Lokalkolorit.

Wie gewiss in vielen Werken des Genres darf man nicht jeden Einfall auf die Goldwaage legen. Eine Unterabteilung im Freisinger Generalvikariat wendet wohl etwas locker geradezu mafiose Methoden an. Ob das in Deutschland so lange gutginge? Und Wahlberg, der Journalist, der eine ganze in Planung befindliche Romanserie tragen soll, kommt zuweilen etwas leicht an aktuelle polizeiliche Ermittlungsergebnisse heran. Nicht restlos gelungen erscheint auch die Hereinnahme der Julia-Affäre aus dem ersten Roman. Bücher dieses Umfangs gelingen halt selten von A bis Z perfekt. Aber diese kleinen Schatten mindern nicht die Empfehlung, und vielleicht lässt der SWB-Verlag Claassen für seinen nächsten Roman etwas länger Zeit.

Ohne dem Schluss vorzugreifen, was man bei Krimis ja nicht soll: Die Fälle (es sind mehrere) sind geschickt und differenziert gelöst, die Geschichte legt auf den letzten zwanzig Seiten noch einmal zu, und in Erinnerung bleibt eine Fülle von Wendungen, die man gemeinsam mit dem Autor plastisch vor sich sieht und verfolgt. Die Personen berühren. Etwa die tragisch kämpfende Frau auf dem Schiff, der schwule, aber nicht pädophile alte Pfarrer, der immer noch an einem faszinierenden, aber leider verwerflichen Vorkommnis aus der Studentenzeit vor fünfzig Jahren laboriert, der erfreulich aufrechte Bischof, die Vereinsmitarbeiterin, der es um den Erhalt „ihrer“ Kirche geht, die sie auf Abwegen sieht und doch so innig liebt, schließlich die örtliche Kripo. Hier werden deren Vertreter und Vertreterinnen einmal als tüchtige Beamte vorgestellt, weg von diversen Klischees, wie sie die Fernsehserien würzen, sei es als Wundermänner oder als Witzfiguren. Der Autor Claassen liebt die Verhältnismäßigkeit. Sie ist für ihn identisch mit Gerechtigkeit. Aufklärung über die verwickelten Verhältnisse unserer Realität bleibt ihm dringendes Anliegen.

Das Buch ist keine Anklageschrift aus der Sicht eines Betroffenen, aber auch kein gewöhnlicher Krimi. Dafür bezieht es zu sehr allgemeine Aspekte unserer Gesellschaft mit ein. Es ist ein hoch engagierter Beitrag zu einem, wie gesagt, heiklen Thema. In dieser Ausgewogenheit macht das so schnell keiner dem Autor nach.

Claassen, Emile: Schweigen – In Gottes Namen. Stuttgart, Südwestbuch (SWB-Verlag). 2012. € 12,50

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