„Die Politik hat viel versprochen, aber nichts gehalten“
Von Konz in die große weite Welt. Nach einem Studium in Berlin und Tokio und längeren Aufenthalten in den USA und Bolivien verschlug es den Journalisten Andreas Wunn nach Brasilien, wo er seit 2010 für das ZDF als Korrespondent arbeitet. 16 VOR sprach mit dem 39-Jährigen über seinen Weg dorthin, die Proteste gegen die FIFA und die Regierung und darüber, warum Brasilien Fußballweltmeister werden muss.
16 VOR: Sie wurden in der Pfalz geboren, sind aber in Konz aufgewachsen. Wie kam es dazu?
Andreas Wunn: Mein Vater hatte es beruflich nach Trier verschlagen, als ich zwei Jahre alt war. Meine Eltern wohnen noch in Konz und jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, fahre ich natürlich auch dorthin. Ich liebe die Strände in Rio, aber freue mich jedes Mal, wieder einen Weinberg an der Mosel zu sehen.
16 VOR: Seit 2010 leben Sie in Rio de Janeiro. Können Sie Samba tanzen?
Wunn: Damit sollte man es als Deutscher nicht übertreiben. Ich kann ein klein wenig mitschunkeln, ohne mich zu blamieren. Aber das Sambatanzen überlasse ich gerne den Brasilianern.
16 VOR: In Brasilien erleben Sie auf der einen Seite die Herzlichkeit und Lebensfreude der Menschen, die fantastische Natur, warmes Klima und schöne Frauen, auf der anderen Seite Armut, Gewalt und Kriminalität. Wie gehen Sie mit diesen Gegensätzen um?
Wunn: Die Gegensätze sind Realität und gehören einfach zu Brasilien. Das macht dieses Land auch so faszinierend. Am Anfang war ich in Rio de Janeiro sehr geblendet von der Sinnlichkeit und der Lebensfreude der Stadt. Die Strände, die Schönheit der Natur, der Rhythmus von Rio, das ist sehr faszinierend. Aber je länger ich hier lebe, desto mehr sehe ich auch die Schattenseiten. Gerade jetzt zur Fußball-WM werden Brasiliens Probleme offenbar: die krasse soziale Ungerechtigkeit, die Korruption, das Chaos in der Infrastruktur. Genau deshalb gehen die Menschen ja hier auch auf die Straße.
16 VOR: Woran arbeiten Sie momentan und in den kommenden Wochen?
Wunn: Ich bin als Korrespondent des ZDF in Rio de Janeiro für die aktuelle Berichterstattung zuständig. Mein Team und ich berichten über all das, was außerhalb der Stadien passiert: mögliche Proteste, Probleme mit der Infrastruktur, aber auch die Stimmung der brasilianischen oder deutschen Fußballfans.
16 VOR: Wie wurden Sie Brasilien-Korrespondent? War die Stelle gerade frei oder war das Ihr Wunsch?
Wunn: Das hat sich so ergeben und war für mich ein großes Glück. Ich hatte mich seit langem für Südamerika interessiert und habe auch nach dem Abitur eineinhalb Jahre in Bolivien gelebt. Jetzt als TV-Korrespondent diesen faszinierenden Kontinent zu bereisen und über ihn zu berichten ist ein großes Privileg und ein unglaublich spannender Job.
16 VOR: Wie gefragt ist der Posten in Rio? Beneiden Sie die Kollegen aus Nairobi oder Moskau darum?
Wunn: Das müssen Sie die Kollegen fragen, die ja auch aus tollen Gegenden berichten. Aber die schöneren Strände haben wir sicherlich hier in Rio.
16 VOR: Interessieren Sie sich für Fußball?
Wunn: Ja, natürlich. Aber ich bin kein glühender Anhänger eines bestimmten Vereins in Deutschland. Das ist manchen Brasilianern sehr schwer zu erklären. Ich interessiere mich vor allem für die Nationalmannschaft und bin sehr gespannt auf die WM.
16 VOR: Haben Sie selbst während Ihrer Zeit in Konz dort oder in Trier Fußball gespielt?
Wunn: Nein, aber ich habe in Konz Tennis gespielt, bin die typische Boris-Becker-Generation, den ich als Spieler sehr verehrt habe. Auch das können die meisten Brasilianer nicht verstehen. Mit Tennis können hier die wenigsten etwas anfangen.
16 VOR: Wussten Sie, dass es schon seit Mitte/Ende der 80erJahre mit Samba Rio und den Freunden brasilianischen Fußballs zwei brasilienliebende Freizeitfußballmannschaften in Trier gibt?
Wunn: Nein, davon habe ich noch nie gehört. Das wäre auch mal ein lustiger Beitrag fürs ZDF.
16 VOR: Vor einem Jahr begannen in Brasilien die Proteste gegen die Fußball-WM beziehungsweise gegen die sozialen Folgen der Ausrichtung. Kurz vor der WM gab es immer noch Demonstrationen verschiedener Berufs- und Bevölkerungsgruppen. Hat sich in den vergangenen zwölf Monaten für die Menschen nichts gebessert?
Wunn: Die Politik hat viel versprochen, aber nichts gehalten. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist nach wie vor sehr groß. Doch Massenproteste, wie im vergangenen Jahr während des Confed-Cup, gibt es derzeit nicht in Brasilien. Es wird zwar regelmäßig demonstriert, aber das sind kleinere Proteste und Streiks, die aber trotzdem viel Unruhe ins Land bringen.
16 VOR: Wie schon vor vier Jahren in Südafrika hat es in Brasilien Zwangsumsiedlungen und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen gegeben, es wurden Stadien gebaut, für die es nach der WM kaum noch Verwendung gibt, Tickets können sich nur die Reichen leisten und auch die Immobilienpreise explodieren. Wirtschaftlich hatte die WM für Südafrika keinen Nutzen, vielerorts wurden die Lebensbedingungen dadurch sogar schlechter. Welche Folgen erwarten Sie für Brasilien?
Wunn: Es wird sicherlich einige Infrastrukturprojekte geben, die auch nach der Fußball-WM Bestand haben. Doch die Wut über die Milliarden-Ausgaben für die Stadien und die Steuerbefreiung der FIFA ist in der brasilianischen Bevölkerung sehr groß. Eben weil Viele das Gefühl haben, dass Vieles in Brasilien im Argen liegt und das Geld anderswo, etwa im Bildungs- und Gesundheitssystem, besser angelegt gewesen wäre. Was von der WM bleiben wird, hängt auch davon ab, ob Brasilien gewinnt oder nicht.
16 VOR: War die WM-Bewerbung Brasiliens ein Fehler?
Wunn: Es war ein Fehler, die Bevölkerung auf dieser WM-Reise nicht mitzunehmen. Und nicht zu erkennen, dass viele gesellschaftliche Bereiche brachliegen und da auch kein neues Stadion helfen kann.
16 VOR: Was empfehlen Sie ausländischen WM-Besuchern? Was sind die
wichtigsten Tipps und Warnungen?
Wunn: Kriminalität ist natürlich immer ein Thema in Brasilien. Man muss keine Angst auf der Straße in Rio haben, aber immer wachsam sein. Nicht zu Fuß durch einen Tunnel gehen, keine protzige Uhr oder Schmuck dabei haben. Außerdem muss man sich an das langsamere Tempo in Brasilien gewöhnen. Hier dauert alles länger. Wer da nicht gelassen bleibt, wird unglücklich.
16 VOR: Haben sich während der WM Kumpels oder Verwandte bei Ihnen einquartiert?
Wunn: Ja, klar. Es kommen Freunde aus Deutschland, Chile und Bolivien. An manchen Tagen werde ich bis zu acht Personen bei mir in der Wohnung haben. Das wird ein großes Matratzenlager, ich habe letztens gerade sechs Kopfkissen gekauft.
16VOR: Werden Sie sich WM-Spiele anschauen? Wenn ja, wo?
Wunn: Sicherlich ab und zu auch im Stadion, aber das kommt ganz drauf an, was während der WM in Brasilien passiert. Ich werde viel unterwegs sein, um zu berichten und gar keine Zeit haben, viele Spiele zu sehen. Doch beim Finale bin ich wahrscheinlich dabei.
16 VOR: Wer wird Ihrer Meinung nach Weltmeister werden?
Wunn: Das Schlimmste für die Brasilianer wäre natürlich, wenn Argentinien Weltmeister würde. Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Ich denke aber, dass auch die Brasilianer dem unglaublichen Erwartungsdruck nicht standhalten. Ich wünsche mir Deutschland.