Die ausführliche Touristin

Ein Jahr lang reist die Autorin Meike Winnemuth durch Deutschland, um je einen Monat in einer Stadt oder auf einer Insel zu leben. Den Anfang machte sie in Trier. Foto: Gianna NiewelEinen Monat war die Journalistin Meike Winnemuth nun in Trier, sie hat mit Guildo Horns Mutter telefoniert, ist am „Policeburger“ in der Kantine des Polizeipräsidiums gescheitert und stundenlang durch die Wälder um Trier flaniert. Am Ende ihrer Zeit stehen viele Eindrücke, neue Bekanntschaften, ein erweitertes Vokabular. Der Januar an der Mosel war die erste Etappe auf ihrer Deutschlandtour, in den nächsten elf Monaten will die 53-Jährige elf weitere deutsche Städte bereisen, um über die Erfahrungen ein Buch zu schreiben. Von Trier hat sie für ihre weitere Reise gelernt, an der Umsetzung hapert es noch. Am Ende ihrer Tour kommt sie für zwei Wochen wieder.

TRIER. Auf der Klingel steht kein Name und außerdem funktioniert sie nicht. Immerhin schummert Licht durch das milchige Glas der Haustür, drinnen wufft ein Hund. Es scheint also jemand da zu sein. Auf der Stufe zur Tür liegt außerdem Post, krakelige Großbuchstaben auf ockergelbem Umschlag verraten, dass sie wohl hier wohnt. Ein zweiter, dritter Versuch an der Klingel, manchmal muss man nur fester drücken. Oder länger. Vergebens. Vielleicht einmal Klopfen? Wobei, die Nummer im Handy, sie muss doch da sein. „W“ wie… Einen Anruf später öffnet sie schließlich die Tür: Meike Winnemuth, Journalistin, Buchautorin, eigentlich aus Hamburg, im Januar Triererin auf Zeit.

Vom Tor zur Welt an die Porta Nigra hat es die 53-Jährige Anfang des Monats verschlagen, hier hat sie ihre Deutschlandtour begonnen. 2010 hat sie bei Günther Jauch in der Quizshow „Wer wird Millionär?“ 500.000 Euro gewonnen, von der halben Million ist sie 2011 ein Jahr lang um die Welt gereist, verbrachte je einen Monat in einer Stadt. Sydney, Buenos Aires, Kopenhagen sind Orte, an denen sie schon war. Über ihre Erfahrungen hat sie im Anschluss ein Buch geschrieben – „Das große Los“ hat sich über 130.000 Mal verkauft.

Ausgezogen, um fremde Kulturen zu erkunden, habe sie gemerkt, wie wenig sie über ihr Heimatland wisse. Deshalb nun das bewährte Muster, nur in kleinerem Rahmen: Ein Jahr lang gondelt Winnemuth durch die Republik, um je einen Monat in einer Stadt oder auf einer Insel zu leben. Stralsund, Bamberg, Konstanz sind Orte, an denen sie noch sein wird. Bei der Auswahl der Orte habe sie darauf geachtet, möglichst viele Bundesländer abzudecken. Trier macht den Anfang, weil es die älteste der Städte ist, die sie besucht. Auch am Ende dieser zwölf Etappen wird ein Buch stehen, einen Vorgeschmack ihrer Eindrücke hält sie in ihrem Blog fest.

Winnemuth nippt an ihrer Tasse, auf einem Stövchen auf dem Schreibtisch zieht schwarzer Tee. Es ist schon dunkel draußen, der Winter schmuddelt sich durch die Straßen in Pallien. Vor Januar sei sie erst einmal in Trier gewesen, bei einer Weinversteigerung. Rein in die Europahalle, Weinversteigerung, raus aus der Europahalle, Heimfahrt. „Kreuzworträtseltauglich“ nennt sie deshalb die Bruchstücke an Halbwissen, die sie über die Stadt hatte, als sie ankam. Vorbereitet habe sie sich kaum. Was ihr im Vorfeld zugetragen wurde, war, dass die Trierer „speziell“ seien. Muffig manchmal. Eigenbrötler eben. Dieses Vorurteil könne sie nicht bestätigen, sagt sie. Vollends entkräften aber auch nicht. Die meisten Menschen, die sie in der Fußgängerzone getroffen habe oder die sie bei einem Kaffee angesprochen hätten – je länger sie da war, desto häufiger sei sie erkannt worden –, seien nämlich keine Urtrierer gewesen, sondern Zugereiste.

Mindestens zwei Tage pro Woche schreibt die Journalistin von zuhause aus, ihr weißes MacBook steht noch aufgeklappt auf dem Schreibtisch. In ihrer wöchentlichen Kolumne im Magazin stern klagte sie vor kurzem darüber, mit welcher unaufgeregten Selbstverständlichkeit das Wort „ficken“ in all seinen Spielarten Einzug in den deutschen Sprachschatz gehalten hat. In ihrer aktuellen Kolumne „Vor uns die Welt“ im Hundemagazin dogs haben sie und ihr Foxterrier Fiete Hündisch gelernt. Die restlichen fünf Tage blieben, um die jeweilige Stadt zu erkunden.

„Die Wege sind kurz“

Ihr Fazit nach einem Monat an der Mosel? Sie, die Großstädterin, sagt nicht etwa, dass Trier ein bezauberndes, aber doch verschlafenes Nest ist. Sie sagt: „Die Wege sind kurz“ und ergänzt „zumindest in der Innenstadt“. Fernab von Hauptmarkt, Kornmarkt und Domfreihof sei ein schnelles Vorankommen schon schwieriger, auch, weil man nicht immer gleich um die Ecke bekomme, was man braucht. Sie erzählt, dass sie ihre Sonntagszeitung immer an einer Tankstelle gekauft habe, zweieinhalb Kilometer hin, zweieinhalb Kilometer zurück, und dass das für ihren Foxterrier ein prima Auslauf sei. Und weil sowohl Fiete als auch sein Frauchen gerne zu Fuß unterwegs sind, sei es auch kein Problem, dass die Busse nach 19 Uhr nur unregelmäßig getaktet fahren. Auch daran, dass die meisten Läden um 20 Uhr schließen, gewöhne man sich.

Meike Winnemuths Lieblingsfoto aus Trier: "Mosel am Morgen".Winnemuth macht keinen Hehl daraus, dass man die Fahrten mit der Regionalbahn Richtung Koblenz vermutlich nicht wildromantisch, sondern zeitraubend und dröge findet, wenn man sie regelmäßig macht. Sie nennt sich selbst eine „ausführliche Touristin“, die, eben weil sie ungetrübt vom Alltag auf die Stadt blicken kann, viel leichter deren Charme erkennen könne.

Beeindruckt sei sie gewesen von der kulturellen Vielfalt: Eine Stadt dieser Größe hat ein Drei-Sparten-Theater, eine aktive Skateszene, es gibt die Tufa mit einem Angebot von Pilates bis „Tatort“-Gucken. Mit einer Bekannten ist sie nach Luxemburg gefahren, um abends in ihrem Blog auf die Macarons aus der Patisserie „Oberweis“ zu schwören. Eine Begleitung für den Premierenbesuch der Oper „The Fly“ hat sie via Facebook gesucht und gefunden. Sie hat zusammen mit dem Dompropst versucht, dem „Heiligen Rock“ auch außerhalb der Ausstellungszeit so nahe wie möglich zu kommen, sie hat am Telefon mit der Mutter von Guildo Horn über Rezepte für Nussecken gefachsimpelt und sie hat zum ersten Mal das Wort „Stubbi“ gehört und das Bier probiert, um dann Riesling zu bevorzugen. Zusammen mit Fiete ist sie stundenlang an der Mosel und durch die Wälder im Trierer Umland gewandert und hat sich mit dem „Policeburger“ in der Kantine des Polizeipräsidiums gestärkt. Ihre Zwei-Euro-Stücke sammelt sie seit kurzem in einer weißen Spardose, eine Büste von Karl Marx, auf dem Sockel steht „Das Kapital“.

„Noch nicht alles gesehen“

Doch trotz all der großen und kleinen Streifzüge habe sie das Gefühl, nicht wirklich alles gesehen zu haben. „Zu trödelig“ sei sie gestartet, auf ihrem Blog beklagt sie „zu viel Pflicht, zu wenig Kür“. Was sie meint: Zu häufig habe sie sich verpflichten lassen, habe Termine angenommen, statt zu schlendern und zu stolpern über zufällige Besonderheiten, habe oft mit Trierern gemailt statt noch öfter mit ihnen zu reden. „Ich habe das Gefühl, meine Hausaufgaben nicht richtig gemacht zu haben“, sagt Winnemuth. Und deshalb wird sie am Ende des Jahres einen halben Monat an die Deutschlandtour hängen, aus einem Jahr Reise werden 54 Wochen. Was für die Zeit des „Nachsitzens“ geplant ist? Das römische Erbe, etwa ein Besuch der Barbarathermen, Kirchengeschichte, noch mehr Gespräche mit noch mehr Trierern.

Was sie, einmal abgesehen von der Karl-Marx-Spardose, einer Bronzespange aus einem Antiquitätenlädchen, neuen Bekanntschaften und vielen Erfahrungen mitnehmen wird, ist die Erkenntnis, dass die nächsten Etappen ein Minimum an Planung bedürfen. Auf den Februar auf der Nordseeinsel Spiekerooge jedenfalls fühlt sie sich immerhin „einigermaßen“ vorbereitet.

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