Der „Preiss“ ist heiß

Illustration: Teresa HabildEine der vielleicht merkwürdigsten Erfahrungen, die man als deutscher Grenzgänger in Luxemburg so macht, ist, dass man für einen Deutschen gehalten wird. Da achtet man jahrelang peinlich genau darauf, nie Socken in Sandalen zu tragen, hält höflich den Engländern am Pool den Liegestuhl frei, ist schon einmal (mit sehr schlechtem Gewissen!) bei rot über die Ampel gegangen und glaubt wegen seiner Vorliebe für gute Weine und schlechte Komödien ohnehin schon ein halber Franzose oder gar ein überzeugter Europäer zu sein; und dann ist man plötzlich doch wieder nur: ein Deutscher.

Oder schlimmer noch: ein „Preiss“. Denn so wie die Bayern jeden Deutschen jenseits des Weißwurstäquators als „Preiss“ (gerne auch „Saupreiss“) bezeichnen ist für viele Luxemburger der Nachbar auf der anderen Moselseite ebenfalls ein „Preiss“ – das gilt übrigens auch für den BMW-Fahrer mit Münchner Nummernschild, der freitags noch schnell ein Aktenköfferchen mit „Belegen“ auf den Kirchberg karrt. In Luxemburg wird in einem Akt höherer Gerechtigkeit also selbst der Bayer zum „Preiss“. Zu einem jener Preußen, die bekanntlich zwischen 1815 und 1867 aus Luxemburg eine Festung gemacht und sich dabei so gründlich danebenbenommen hatten, dass die meisten Luxemburger den Überfall des deutschen Heeres im August 1914 wohl mit „Nondikass1, de schonns nees!2“ kommentiert haben dürften. Und dass die Deutschen weitere 26 Jahre später schon wieder vor der Tür standen, hat zu ihrer Beliebtheit in Luxemburg – vorsichtig formuliert – nicht unbedingt beigetragen. Damals wurde das berühmte „Mir wölle bleiwe, wat mir sin“3 um ein klares „mir wölle jo keng Preise gin“4 ergänzt.

Weil aber heutzutage jeder deutsche Tanktourist mit kostenlosen Schoko-Muffins, Keksen, Eiskratzern und Piccolöchen bei Laune gehalten wird, schließt so mancher ebenso messerscharf wie falsch daraus, dass die Beziehung zwischen Deutschen und Luxemburgern wie ein Helene-Fischer-Song funktionieren könnte: „Vergeben, vergessen und wieder vertrauen“. So einfach ist`s dann aber nicht. Während die meisten Luxemburger ausgesprochen ausländerfreundlich sind, gelten für Deutsche gelegentlich noch eigene Regeln. Und spätestens, wenn man einen Luxemburger stöhnen hört „du mengs et wir nach wéi bei de Preisen!“5 weiß man, dass man sein Klischeesoll gerade vielleicht doch übererfüllt hat.

Dabei ist es gar nicht so einfach, als Pendler sein „Preissentum“ abzustellen, und viele versuchen es dann auch gar nicht erst. Etliche deutsche Grenzgänger nehmen Luxemburg ja als so etwas wie ein 17. Bundesland wahr, in dem eine drollige „Mundart“ gesprochen wird und wo aus irgendeinem merkwürdigen Grund alle Tankstellenanzeigen auf französisch angeschlagen sind. Morgens rauschen diese Pendler im schwarzen Audi auf den Kirchberg, frisieren ihre Excel-Tabellen, tanken und rauschen abends wieder auf die andere Seite der Mosel, nicht ohne ein gerüttelt Maß an gutgemeinten Ratschlägen bei ihren luxemburgischen Kollegen hinterlassen zu haben, wie man „hier mal alles ein bisschen auf Vordermann“ bringen könne. Luxemburg besteht für sie vor allem aus interessanten Steuervorteilen, günstigem Sprit und aus der kafkaesk organisierten Verwaltung der „Familienkasse“, in der die Zuständigkeiten für die „Grenzgänger-Dossiers“ offenbar beim Kanasterspielen wöchentlich neu ausgelost werden und in deren Fänge man sich als Pendler voller Wagemut begibt, um dann nach Jahren als gebrochener Mann wieder herauszukommen.

Vielleicht nicht unangenehmer, aber wahrscheinlich genauso nervig wie diese ignoranten Besserwisser-Preissen sind allerdings die überbemühten Camouflage-Preissen, die sich mit einigen Brocken selbsterfundenem Luxemburgisch an die (portugiesische) „Cactus“-Kassiererin ranschmeißen und bei jeder Gelegenheit betonen, dass sie Luxemburg-Stadt ja überhaupt nicht langweilig fänden. Im Kiosk lassen sie sich ihre FAZ dann in ein Exemplar von Luxemburg privat wickeln, nennen ihre neugeborenen Zwillinge „Fränck“6 und „Andy“ und setzen noch einen drauf, indem sie behaupten „Feierstengszalot“7 sei ihr Lieblingsgemüse und für einen schönen luxemburgischen Crémant könne man jeden „Schampes“ aus Frankreich stehenlassen.

Dabei ist das Image der „Preissen“ im Großherzogtum mittlerweile eigentlich so gut wie nie. Wenn nicht gerade ein deutscher Finanzminister die Kavallerie sattelt oder Luxemburg mit Ouagadougou gleichsetzt, hört man immer häufiger Positives über Deutschland und die Deutschen. Während der WM sollen sogar etliche Luxemburger – so berichtete es zumindest das Luxemburger Wort – der deutschen Mannschaft die Daumen gedrückt haben. Und eine Mannschaft, die von Spielern mit so urgermanischen Nachnamen wie Özil, Khedira, Podolski, Mustafi und Boateng geprägt wird, als „Preissen“ zu bezeichnen, wäre auch reichlich merkwürdig.

Und man selbst? Erinnert einfach jeden, der einen einen „Preiss“ nennt, an das pragmatische Motto aus dem „Renert“8 – dem luxemburgischen Nationalepos schlechthin. Der „Renert“ bringt das luxemburgische Geschick darin, das Beste aus Frankreich und „Preußen“ zu kombinieren und diese Melange dann „typisch luxemburgisch“ zu nennen, auf den Punkt: „Fransous och beim Champagner, beim Rhäiwäin si mer Preiss“. Franzosen beim Champagner, beim Rheinwein dann halt „Preußen“ – der luxemburgische „Renert“ ist ein alter Fuchs. Und der weiß, wie der Hase läuft!

Tom Lenz

1 Luxemburgisch für „Majusebetter“
2 „Die schon wieder!“
3 „Wir wollen bleiben, was wir sind“
4 „Wir wollen keine Preußen werden“
5 „Du glaubst wohl, hier wär`s immer noch
wie unter den Preußen!“
6 ja, doch: Fränck
7 kaltes Rindfleisch
8 in etwa: „Reineke Fuchs“

Hier geht es zum vorherigen Teil der Trier-Luxemburg-Kolumne “Pendler pauschal”: “Das neue ‚Drüben’”

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