„Der erste Trierer war kein Iraker“

Würde jemand heutzutage behaupten, dass es einst ein babylonischer Fürstensohn war, der sich ob der malerischen Schönheit der Landschaft an der Mosel niederließ und die Stadt Trier gründete – Spott und Unverständnis seiner Zuhörer wären ihm sicher. Ganz anders bei den Führungen von Professor Frank G. Hirschmann durch das Stadtmuseum Simeonstift. Der Experte für Stadtgeschichte weiß die kuriose, oft erfolgreiche und bisweilen auch tragische Migrationsgeschichte Triers mit viel Witz und wissenschaftlicher Akkuratesse zu erzählen. Im Gespräch mit 16vor zeichnet Hirschmann zahlreiche Spuren nach, die Einwanderer in ihrer Wahlheimat hinterlassen haben – von einem gewissen Trebeta über einen Italiener, der dem „Haus Venedig“ seinen Namen gab, bis hin zu dem Brüsseler Joseph Roballet, der Triers erster Taxiunternehmer wurde.

16vor: Herr Professor Hirschmann, Sie sagten einmal, dass die Migranten die Wurzeln der Stadt seien. Was genau meinten Sie damit?

Frank G. Hirschmann: Damit wollte ich verdeutlichen, dass Trier von Migranten – den Römern – gegründet wurde, und zwar nicht vom Militär, sondern von Beamten, Kaufleuten und Händlern. Wenn Sie so wollen, sind alle Römerbauten, die man heutzutage in Weltkulturerbstätten antrifft, von Migranten errichtet worden.

16vor: Heutzutage zweifelt niemand daran, dass die Stadt Trier von den Römern erbaut wurde. Im 11. Jahrhundert hingegen ersann man einen recht abstrusen Gründungsmythos…

Hirschmann: Zwischen Köln, Trier und Mainz herrschte im 11. Jahrhundert ein Wettstreit um die Frage, welche Stadt denn nun die altehrwürdigste, heiligste und goldenste sei. Zu jener Zeit haben die Mattheiser Mönche eine Legende erfunden, der zufolge Trier bereits 2000 vor Christus gegründet worden sei. Trebeta – ein babylonischer Königssohn – sei vom Euphrat an die Mosel geflohen, und weil es hier so schön war, habe er die Stadt Trier gegründet. Angeblich liegt er auf dem Petrisberg begraben. In der Legende ist auch davon die Rede, dass die umliegenden Städte – von Köln bis Basel – den Trierern damals tributpflichtig gewesen seien. Doch in der Legende steckt kein Fünkchen Wahrheit. Der erste Trierer war also kein Iraker.

16vor: Wie kam es dazu, dass man diesem Ammenmärchen Glauben schenkte?

Hirschmann: Das Spannende daran ist, dass ausgerechnet die Kölner, gegen die die Legende ja teilweise gerichtet war, ihr auf den Leim gegangen sind und die Geschichte 400 Jahre später in ihrer großen Weltchronik verwurstet haben.

16vor. Finden sich in Trier irgendwelche Zeugnisse der Legende?

Hirschmann: Auf einer Inschrift am roten Haus auf dem Hauptmarkt ist davon die Rede, dass Trier 1300 Jahre älter sei als Rom.

16vor: Auf einer Führung durch das Stadtmuseum haben sie einmal behauptet, dass wir die Porta Nigra einem Griechen und einem Franzosen zu verdanken haben. Wie kommen Sie auf diese Idee?

Hirschmann: Vielleicht nicht die Existenz des Bauwerks, aber doch sein Überleben. Während man die großen römischen Stadttore im Mittelalter allerorts abgerissen hat, um aus den Steinen Stadtmauern, Kirchen und so weiter zu bauen, hat die Porta als einziges Exemplar seiner Art überlebt. Dies liegt daran, dass sich Simeon von Syrakus – ein unter muslimischer Herrschaft aufgewachsener sizilianischer Grieche – um 1030 nach Christus als Einsiedler im Ostturm der Porta niederließ. Er starb dort 1035 und wurde im selben Jahr vom Papst heiliggesprochen. Die Porta Nigra wurde zur Grabeskirche und entging somit als heiliger Ort der Vernichtung. 1804 kommt Kaiser Napoleon nach Trier und ordnet den Rückbau der Porta in ein römisches Stadttor an. Simeon aus Sizilien und Napoleon aus Korsika verdanken wir also die Porta.

16vor: Am Anfang der Brückenstraße, unweit des Karl-Marx-Hauses, steht ein Haus, das heute als Verkaufsraum einer Apotheke dient. Die Rede ist vom „Haus Venedig“. Woher rührt diese Bezeichnung?

Hirschmann: Von dem Italiener Ambrosius Carové, der ein florierendes Tuchgewerbe in Trier aufgebaut und damit große Karriere gemacht hat. Seine Familie war schließlich eine der reichsten in Trier. Die haben das Bürgerhaus errichtet und nach ihrer Heimat benannt.

16vor: Wie konnte er so erfolgreich werden?

Hirschmann: Er besaß das nötige Know-how und hatte Verwandte im Tuchgewerbe. Daneben kam er zu einer Zeit hierher, als es kein Tuchgewerbe mehr gab, weil die Tuchmacher zu denen gehörten, die im Zuge der Reformationsbemühungen des Caspar Olevian evangelisch geworden waren und die Stadt deshalb verlassen mussten. In diese Lücke stieß dann der Italiener.

16vor: Die Einwanderer aus Brüssel scheinen allesamt eine bestimmte Leidenschaft geteilt zu haben. Was können Sie über ihr Händchen für den öffentlichen Personennahverkehr erzählen?

Hirschmann: Es war der Brüsseler Joseph Roballet, der im 18. Jahrhundert das erste Taxiunternehmen in Trier betrieben und dafür auch ein kurfürstliches Monopol erhalten hatte. Bei den „Taxen“ handelte es sich um Tragsänften, die vorne und hinten getragen wurden. 1890 kam dann Charles de Féral – ebenfalls ein Brüsseler – mit der Idee nach Trier, eine elektrische Tram einzuführen. Dieser Vorschlag fand jedoch kein Gehör, stattdessen erhielt er die Erlaubnis zur Gründung einer Pferdebahn. Der nächste im Bunde, Arnold Steingröver, kam ebenfalls aus Brüssel, und auch er betrieb eine Pferdebahn. Er ließ den Porta-Nigra-Platz zwischen den Hotels „Zum Christophel“ und „Römischer Kaiser“ umgestalten und ist dadurch auch noch im heutigen Stadtbild gut sichtbar.

16vor: Gab es denn auch in der jüngeren Vergangenheit Wahltrierer, die in der Stadt Bedeutendes geleistet haben?

Hirschmann: Da gibt es welche, die von Trier aus ein weltweit agierendes, florierendes Unternehmen aufgebaut haben, etwas die Schmuckdesignerin Miranda Konstantinidou, die in Thessaloniki geboren wurde und in Trier und Bologna Schmuckdesign studiert hat. Zu Beginn ihrer Karriere gründete sie in der Neustraße einen kleinen Laden namens „Konplott“. Mittlerweile gibt es Filialen in aller Welt, darunter in Peking, Moskau oder Ulan Bator.

16vor: Das klingt so, als hätten alle Zugewanderten immer erreicht was sie wollten. Gibt es auch dunkle Flecken auf der Politur der Erfolgsgeschichten?

Hirschmann: Für Neuerungen war man in Trier keineswegs immer zu haben. Im 17. Jahrhundert kam die englische Ordensschwester Mary Ward nach Trier und wollte hier eine Mädchenschule gründen. Die durfte das nicht. 20 Jahre später musste man deshalb die Nonnen aus der Wallonie hierherholen. Es gab auch Unternehmen, die einen guten Start hingelegt haben, später dann aber gescheitert sind. So zum Beispiel die von dem aus Paris zugezogenen Christian Deuster im Martinskloster eingerichtete Porzellanmanufaktur, die nur zwölf Jahre lang produzierte und dann an den Gesetzen des Marktes scheiterte. Das handbemalte und hochwertige Porzellan hatte keine Chance gegen die Keramikfabrik, die 40 Kilometer saaraufwärts in Mettlach eröffnete.

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