„Das Warten macht uns mürbe“

Mehr als 300 Wald- und Naturkindergärten gibt es bereits in Deutschland, doch nur zehn liegen in Rheinland-Pfalz. Trotz der waldreichen Umgebung gibt es auch in Trier bislang kein naturpädagogisches Angebot. Der Verein Waldpänz e.V. versucht seit einem Jahr, hier Abhilfe zu schaffen. Für Initiatorin Katja Siebert-Schmitt wäre der Waldkindergarten, in dem sich die Kinder bei fast jedem Wind und Wetter unter freiem Himmel aufhalten sollen, ein Standortvorteil für die Stadt Trier. Doch die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam, weshalb völlig ungewiss ist, ob die private Initiative Erfolg haben wird. Kritiker warnen: Waldkindergärten bereiteten nicht ausreichend auf den Übergang in die Grundschule vor, zudem lauerten viele Gefahren.

TRIER. Auf Bäume klettern, im Matsch spielen, die Natur im Wandel der Jahreszeiten erleben, nach Herzenlust und ohne Grenzen toben – was für viele der heutigen Erwachsenen zum Standard-Repertoire ihrer Kindheit gehörte, wird für ihre Kinder, vor allem in den Städten, zunehmend zum Exotikum. Der Anteil der Freizeit, die Kinder in geschlossenen Räumen, vor Bildschirmen, Fernsehern und Konsolen verbringen, ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Bei manchen Eltern verstärkt sich das Gefühl, dass hier etwas verschwinden könnte, was für die Entwicklung ihrer Nachkommen wichtig ist: „Kinder brauchen es, sich in der freien Natur aufzuhalten. Und sie lieben es, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt“, sagt Katja Siebert-Schmitt. Im Frühjahr letzten Jahres hat die mehrfache Mutter gemeinsam mit anderen Eltern die Initiative Waldpänz e.V. gegründet, um die Einrichtung eines Waldkindergartens in Trier voranzutreiben.

Die Ansicht, dass Kindheit und Natur zusammengehören, ist kein neues Phänomen. Der erste Waldkindergarten wurde schon 1950 in Dänemark gegründet, Deutschland zog 1968 mit Wiesbaden nach, heute sind bundesweit mehr als 300 Einrichtungen gelistet. Statt in den vier Wänden eines Gebäudes betreut zu werden, bewegen sich die Waldkinder fast ganztägig im Freien, und zwar bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Ein beheizbarer Schutzraum als Basislager ist zwar vorgeschrieben, wird aber nur in Ausnahmesituationen genutzt, beispielsweise bei schweren Unwettern oder extremer Kälte.

Für die Verfechter dieses Konzepts birgt die Einrichtung viele Vorteile gegenüber konventionellen Kindergärten: „In Motorik und Sprachvermögen sind unsere Waldkinder ihren Altersgenossen im Regelkindergarten meist überlegen“, erklärt Annette Esselborn, Vorsitzende des Landesverbands der Wald- und Naturkindergärten Rheinland-Pfalz und selbst Leiterin des Waldkindergartens in Worms. Denn im Umgang mit der Natur seien die Kinder stets gefordert, ihre Phantasie einzusetzen und abstrakte Ideen zu kommunizieren. „Spielerisch entwickeln sie ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Rücksichtnahme – gegenüber der Natur ebenso wie gegenüber anderen Kindern“, so Esselborn. Nicht nur, aber vor allem haben sich Waldkindergärten für lebhafte Kinder bewährt, die in konventionellen Einrichtungen unter Umständen negativ auffallen.

Auch für Hannes und Klara Freising, Eltern von zwei Kleinkindern und Mitglieder der Initiative, wäre der Waldkindergarten die Einrichtung ihrer Wahl. „Wir merken, wie gut es unseren Kindern tut, wenn wir Zeit mit ihnen im Freien verbringen“, erklären sie und ergänzen: „sie sind entspannter und konzentrierter.“ Im Waldkindergarten sehen sie auch eine willkommene ideelle Alternative zum Regelkindergarten: „Wir erwarten von einem Kindergarten nicht, dass er den Kindern schon erste Schul- und Berufsqualifikationen vermittelt, um sie möglichst kompatibel für den Arbeitsmarkt zu machen. Uns ist wichtig, dass sie Ruhe finden und man ihnen Zeit lässt“. Der Architekt und die Lehrerin sind davon überzeugt, dass „der Rest dann ganz von alleine kommt.“

Aber nicht nur in Trier wird kritisch beäugt, was neu daherkommt. Die Kritiker des naturpädagogischen Konzepts sind deshalb schnell auf dem Plan, wenn das Angebot diskutiert wird. Im Wald, so ihre Sorge, lauerten zu viele Gefahren, um Kindern einen sicheren Aufenthalt zu gewährleisten. Außerdem bereite das Angebot nicht ausreichend auf den Übergang in die Grundschule vor. Annette Esselborn kennt diese Einwände – und weiß ihnen zu begegnen: „Wir sind ein ganz normaler Kindergarten, nur ohne Dach und Wände“, erklärt sie. „Bei uns werden die gleichen Fähigkeiten vermittelt wie im Regelkindergarten, nur intensiver und näher am Kind.“ Die Risiken will sie dabei nicht kleinreden: „Natürlich kann ein Kind im Wald über eine Wurzel fallen, sich eine Zecke einfangen oder sich etwas in den Mund stecken, was da nicht hingehört. Aber wir minimieren diese Gefahren gerade dadurch, dass wir Kompetenzen im Umgang mit der Natur vermitteln.“ Dass ein Waldkind sich ernstlich verletzt habe oder erkrankt sei, ist ihr nicht bekannt. Im Gegenteil zeigten die Kinder sogar eine robustere Immunabwehr. Ebensowenig habe sie vernommen, dass ein Kind nach dem Übergang in die Grundschule Probleme gehabt habe, die auf eine mangelnde Vorbereitung zurückzuführen seien. Nur einen Nachteil räumt die Kindergärtnerin ein, wenn auch mit einem Lächeln: „Die Entscheidung für einen Waldkindergarten ist die Entscheidung für eine gute Waschmaschine.“

Katja Siebert-Schmitt muss von den Vorteilen eines Waldkindergartens nicht überzeugt werden. Seit einem Jahr kämpft sie für einen naturpädagogischen Kindergarten in Trier. Das Problem, wie in vielen anderen Städten auch, ist der rechtliche Sonderstatus solcher Einrichtungen. Weil es sich nicht um einen Bau im klassischen Sinn handelt, kann das konventionelle Genehmigungsverfahren hier nicht ohne weiteres angewandt werden. Denn trotz Hunderter Waldkindergärten in Deutschland fehlt es immer noch an einem einheitlichen Kriterienkatalog zur Genehmigung. So wird die Entscheidung jedes Mal zu einer Einzelfallprüfung, die verschiedene Ämter tangiert – ein Verwaltungsakt, der Zeit frisst. Siebert-Schmitt bemüht sich, Verständnis für den langwierigen Verwaltungsweg aufzubringen: „Natürlich verstehe ich, dass die Entscheidung darüber nicht alltäglich ist und Vorlauf benötigt. Aber ich würde mir wünschen, dass alle beteiligte Ämter sich einmal an einen Tisch setzen und man uns endlich sagt, welche Kriterien wir konkret erfüllen müssen. Dieses ungewisse Warten macht uns mürbe“.

Nach dem Willen der Initiative soll ein Zirkuswagen als Basislager und Schutzraum dienen. Dieser wurde bereits angeschafft und wird momentan – auf eigenes finanziellen Risiko – kindgerecht umgebaut. Nachdem der ursprünglich geplante Standort im Weisshauswald negativ beschieden wurde, ist nun eine Angliederung an das ehemalige Sportlerheim auf dem Gelände des Waldstadions im Gespräch. Prinzipiell hat die Initiative ihr Einverständnis mit dem Standort signalisiert: „Wenn wir in diesem Rahmen unserer pädagogischen Version nachgehen können“, betont Siebert-Schmitt: „Wir wollen keinen zweiten Kindergarten im Wald, sondern einen Waldkindergarten.“ Gäbe die Stadt grünes Licht, schätzt sie, könnte alles weitere innerhalb weniger Monate in die Wege geleitet werden – von der Auswahl des Personals bis zu der Zusammenstellung der ersten Waldgruppe. Siebert-Schmitt und Esselborn sind sich einig: „Ein Waldkindergarten wäre ein Standortvorteil für Trier, vor allem was junge Familien mit Kindern angeht.“

Die Stimmung in der Elterninitiative beschreibt sie als immer noch positiv, obwohl die ersten Eltern ihren Nachwuchs bereits in anderen Kindergärten anmelden mussten – so auch ihr eigener Sohn Hannes. „Das bedauere ich ein wenig, weil er eigentlich derjenige war, für den ich diese ganze Sache so vorangetrieben habe“, erklärt sie und sieht dennoch weiterhin Handlungsbedarf – nicht zuletzt, weil es da auch noch den zweijährigen Peer gibt: „Sollte es für ihn klappen, müsste der Waldkindergarten im nächsten Frühjahr an den Start gehen.“ (ks)

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