Das Hoffnungs-Los

"Trier ist gut": Awny Todary Anany ist mit seiner Frau Eman und seinen beiden Töchtern aus Ägypten geflohen. Foto: Gianna NiewelAwny Todary Ananys Weg war lang und gefährlich. Aus der ägyptischen Großstadt Al-Minya ist er vor fast vier Wochen zusammen mit seiner Familie nach Deutschland geflohen. Vor den Muslimbrüdern, vor der ständigen Angst um Frau und Töchter. In der Erstaufnahme für Asylbegehrende in der Dasbachstraße kann er nun ruhig schlafen. Wie es weitergeht, weiß er nicht. Was er weiß: Trier ist gut. Eine Geschichte vom Durchhalten.

TRIER. Wer alles hinter sich lässt, um neu anzufangen, der braucht Vertrauen. Vertrauen in sich selbst, dass es klappen wird. Vertrauen in eine höhere Macht, die die eigenen Geschicke schon in die rechten Bahnen lenken wird. Awny Todary Anany sitzt im Erdgeschoss der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) in der Dasbachstraße, sein Kopf gesenkt, die Blicke fliehen. Still steht sein rechter Fuß nie. Der 29-Jährige scheint vor allem aus Unsicherheit zu bestehen. Deutsch spricht er nur ein Wort: Danke. Worauf er vertraut? Achselzucken.

Die Aufnahmeeinrichtung ist ein verwaschenes, mehrstöckiges Gebäude einen Steinwurf vom noblen Nells-Park-Hotel entfernt. Hier entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Trier, über die Zukunft derer, die mit Bussen in die Stadt gespült werden. 45 Asylbewerber sind es derzeit täglich, Männer und Frauen, Väter und Mütter, Bauarbeiter und Ärztinnen. Menschen, die in der Vergangenheit selten gewonnen und deshalb wenig zu verlieren haben. Ende September sind auch Anany, seine Frau Eman und die beiden Töchter hier gestrandet. Seit fast vier Wochen wohnen sie in einem Wohncontainer der AfA.

„Wir wussten nicht, wohin. Ein Nachbar meinte, in Deutschland sei es sicher“, übersetzt ein Freund Ananys Arabisch in holpriges Englisch. Anany und seine Familie stammen wie auch Ramy, der Dolmetscher, aus Ägypten; aus Al-Minya, einer Großstadt im Zentrum des Landes. Touristen schätzen Al-Minya wegen der Lage am Nil und dem exotischen Lebensmittel- und Baumwollmarkt an den Wochenenden.

Einheimische wie Anany hassen die Stadt, weil die Muslimbruderschaft ein friedliches Zusammenleben unmöglich mache. Weil Fremde ihm und seiner Frau gedroht hätten, die Töchter zu entführen. Weil die Familie erpresst worden sei – grundlos, wie er sagt. Anfang des Jahres hat er deshalb begonnen, einen Teil seines Gehalts als Automechaniker in einer kleinen Holzkiste im Kleiderschrank zu verstecken. Anfang September zählte er die Scheine und Münzen – das Ersparte reichte für die Reise ins Unbekannte.

Nach Wochen voller Angst und Stunden ohne Schlaf haben er und seine Frau im Morgengrauen die Kinder angezogen und einige Sachen gepackt. Mit zwei Koffern voller Klamotten, einer Rassel für Joy – ein Jahr alt und mürrisch, weil die ersten Schneidezähne wachsen – und einem Bilderbuch für die drei Jahre alte Julia haben sie sich mit Bussen nach Georgien geschlagen, sechs ruhelose Tage lang. Von Tiflis aus flog die Familie nach München. Während sich die Touristen in der Maschine durch das Spielfilmangebot der Lufthansa zappten, konnten Anany und Eman vier Stunden lang weder schlafen noch essen oder trinken – zu groß die Aufregung vor dem, was sie erwarten würde. Weil das Land Rheinland-Pfalz sich in der Regel um Asylbewerber aus Ägypten kümmert, wurde die Familie von München aus nach Trier geschickt.

Deutschland, das sind für Anany der FC Bayern München und Bier in Maßkrügen. Wo Trier liegt, wusste er nicht. Und dennoch ist die Stadt das große Los: „Jetzt weiß ich, dass sich das Durchhalten gelohnt hat.“ Hier, im Zimmer in einem Wohncontainer, können er und seine Frau ruhig schlafen. Der Raum misst nur wenige Quadratmeter, ein Etagenbett füllt ihn fast komplett aus. Neben dem Bett stehen zwei Stühle, die blaue Farbe der Lehne splittert. Die Rollläden hat der 29-Jährige heruntergelassen, damit die Männer, die vor dem Fenster Tischtennisbälle über die Platte dreschen, die Unordnung auf dem Bett nicht sehen können: Nicht die Tüte mit den Aufbackbrötchen, ungekühlt, oder die Tetra-Packungen Orangensaft für die Kinder, nicht die Socken, unsortiert, oder die noch feuchten Handtücher.

Vor einigen Tagen sind 40 weitere Asylbewerber in zusätzliche zehn Wohncontainer gezogen. In den vier Gebäuden und den 36 Containern auf dem Gelände wohnen nun vorübergehend 680 Menschen.

Für Flüchtlinge, die nach Trier kommen, besteht der Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in der Dasbachstraße vor allem aus Warten. Foto: Gianna NiewelWenn Frank-Peter Wagner aus seinem Bürofenster schaut, hat er die Container fest im Blick. Doch zum Rausgucken fehlt dem stellvertretenden Leiter der AfA in diesen Tagen die Zeit. Er wälzt Ordner um Ordner mit Schicksalen auf Din-A4, sucht Möglichkeiten, die Männer und Frauen irgendwie unterzubringen. Sein Telefon klingelt ohne Unterlass. Gerade eben noch hat ein Busfahrer Bescheid gegeben, dass er im Stau steht – die Asylsuchenden aus Ingelheim werden erst am späten Abend in Trier ankommen. „Das Land Rheinland-Pfalz nimmt 4,81 Prozent der Asylbewerber in Deutschland auf, das sind etwas mehr als 5000 Männer und Frauen im Jahr. In der Erstaufnahme in Trier bleiben die Ägypter, Syrer und Serben etwa vier bis sechs Wochen, ehe sie auf die Kommunen verteilt werden“, erklärt Wagner.

Bei ihrer Ankunft erhalten die Asylsuchenden verschiedene Sachleistungen wie Essen, Kleidung, Bettwäsche, Handtücher und Zahnbürsten, außerdem ein monatliches Taschengeld von rund 100 Euro. Sie können Sprachkurse besuchen oder sich mit Waschen, Kehren oder Dolmetschen einige Euro Aufwandsentschädigung dazu verdienen. Richtig Arbeiten dürfen sie nicht.

Anany hat die vergangenen drei Wochen genutzt, um zur Ruhe zu kommen. Zusammen mit der Familie ist er an der Mosel spaziert, zwei Mal waren sie in der Stadt. Jetzt steht er im Hof und streicht mit der Fingerspitze über sein Smartphone, zeigt Fotos: Julia, die Jette Joops goldenen „Lovely Elepunk“ vor der Porta streichelt, seine Frau mit Joy auf dem Arm vor dem Dom, er selbst mit einem Eis in der Hand auf dem Hauptmarkt. Um ihn herum toben drei Jungs, deren Väter in ein Gespräch vertieft an der Containerwand lehnen. Julia sitzt auf den Treppenstufen und bürstet die Puppe einer Freundin. „Trier ist gut“, sagt Anany.

„Die Unterbringung ist suboptimal“, kritisiert Corinna Rüffer, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Derzeit seien die Container zwar die einzige Möglichkeit, um dem Ansturm an Asylbewerbern gerecht zu werden, und auch die Nutzung der Eurener Kaserne quasi alternativlos. Dennoch müsse längerfristig überlegt werden, wie die Menschen vernünftig wohnen und leben könnten und vor allem, wie dieses Wohnen und Leben finanziert werden kann. Denn eins ist klar: Die Zahl der Asylbewerber wird kurz vor Wintereinbruch nicht kleiner.

Anany ist zufrieden mit seinem Zimmer. Sicher, sagt er, es sei nie ruhig. Nachts rauscht der Wind, tagsüber hört man jedes Türenschlagen. Dankbar ist er trotzdem: „Alles ist besser als Ägypten.“ Er zurrt den Reißverschluss seiner Weste zu. Es ist kalt geworden.

Wer alles hinter sich lässt, um neu anzufangen, der braucht auch Zuversicht. Zuversicht, dass es klappen wird. Zuversicht, dass eine höhere Macht die eigenen Geschicke schon in die rechten Bahnen lenken wird. In einigen Wochen wird die Familie ihr Hab und Gut wieder in die zwei Koffer packen: Die Kleidung, die Rassel, das Bilderbuch. Ihre Reise geht weiter.

Anany steht mit Julia auf dem Arm im Flur der Aufnahmeeinrichtung und zeigt mit dem Finger auf eine Rheinland-Pfalz-Karte. „Bad Dürkheim“, liest der Pförtner. „Batt Dirkhain“, wiederholt Anany. Die Kleine gluckst, der Vater lacht. Ob sie im Kreis Bad Dürkheim auch dauerhaft ihr neues Zuhause finden, entscheidet sich in einer Anhörung in einigen Wochen. Und dennoch: Nicht mehr alles ist hoffnungslos.

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