Meinung: Das große Ganze sehen!

Die Diskussion über die Westtrasse könnte Kommunalpolitiker in Versuchung führen, Bedenkenträgern Zucker zu geben und ein Projekt auszubremsen, dessen Potenzial für die Stadt bislang eher unterschätzt wird. Erstmals seit Jahrzehnten hat Trier eine realistische Chance, dass Land und Bahn im großen Stil in die örtliche Schieneninfrastruktur investieren. So verständlich die Sorgen einzelner Anwohner sind – von Lokalpolitikern muss man erwarten, dass sie das große Ganze sehen. Das sollten auch jene bedenken, die immerzu klagen, in Trier bewege sich nichts. Ein Kommentar von Marcus Stölb

Man müsse die „Interessen der Bürger“ ernst nehmen, dürfe nicht über die „Köpfe der Menschen hinweg“ entscheiden, heißt es allenthalben. Abgesehen davon, dass meist unklar bleibt, von welchen Bürgern gerade die Rede ist, über wessen Köpfe also gesprochen wird – man kann die Interessen Einzelner sehr wohl ernst nehmen und sich dennoch aus guten Gründen dagegen entscheiden, ihnen zu folgen. Auch umgekehrt gilt: Als Bürger sollte ich nicht erwarten, dass Politiker mein Anliegen zum Non-plus-ultra erklären.

Doch genau diese Denke scheint bei nicht wenigen Ratsmitgliedern und vielen Trierern verbreitet. Ob Schulschließungen, Flächennutzungsplan oder Westtrasse – allüberall trifft man Menschen, die ihr Anliegen zum alleinigen Maßstab machen; und auf Politiker, die – ihre Abstrafung bei der nächsten Wahl fürchtend – sich davon beeindrucken lassen. Das ist legitim, doch ob es auf lange Sicht klug ist, steht auf einem anderen Blatt.

In Euren fürchten nun einige Anwohner den zusätzlichen Lärm, den die geplante Reaktivierung der Westtrasse zwangsläufig mit sich bringen wird. Sie sorgen sich um ihre Ruhe und um den Wert ihrer Immobilie. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber eben auch selbstbezogen und kurzsichtig! Der Blick reicht kaum über das eigene Grundstück und Quartier hinaus.

So wird etwa stillschweigend in Kauf genommen, dass die Bewohner des Stadtzentrums und zentrumsnaher Straßen einer ungleich höheren Verkehrs- und damit Lärm- und Luftbelastung ausgesetzt sind, als die Bewohner der Randgebiete und Höhenstadtteile. Auch wird sich kaum ein Tanktourist darüber Gedanken machen, was er den geplagten Anwohnern in Igel und Zewen zumutet. Und was ist mit den Betreibern von Elterntaxis, den Vätern und Müttern, die ihre Töchter und Söhne von Kindesbeinen an zur Bewegungslosigkeit erziehen?! Was mit den Brötchenkäufern, die sich außerstande sehen, die wenigen Meter zum Bäcker zu Fuß oder mit dem Velo zurückzulegen? Im Einzelfall gibt es immer gute Gründe, den Pkw zu nutzen, aber es gibt oftmals auch bessere, über die eigene Bequemlichkeit hinausreichende Argumente, das Auto stehen zu lassen und sich umweltbewusst fortzubewegen.

Ein weiteres gutes Argument würde die Reaktivierung der Westtrasse liefern. Erst recht, wenn bei deren Realisierung darauf geachtet wird, dass die fünf Stationen zu Fuß, mit dem Rad, per Bus oder auch mit dem Auto (Park & Ride) bequem erreichbar sein werden. Diese Chance darf sich Trier nicht entgehen lassen, und Kommunalpolitiker, die bei Projekten wie der Westtrasse kalte Füße bekommen, sollten bei ungleich größeren und umstritteneren wie dem Moselaufstieg fortan schweigen!

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