Das entzauberte Märchen

Alle Jahre wieder, wenn die Städte zu riesigen Weihnachtsmärkten mutiert sind, tauchen sie auf den Spielplänen der Theater auf: Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ oder eine von Tschaikowskys Ballettmusiken zu Schwanensee, Nussknacker oder Dornröschen. Im ausverkauften Großen Haus des Trierer Theaters hatte nun letztgenanntes Werk in einer Bearbeitung von Tarek Assam Premiere. Doch was mit Spannung erwartet wurde, erwies sich letztlich als recht konventionelle Produktion. Was provokativ sein wollte, war allzu klischeehaft und abgedroschen, dass es selbst in Trier niemanden mehr aufschreckt. So goutierte das Publikum die Produktion sichtlich begeistert mit reichlich Applaus.

TRIER. Aus unseren Kindertagen sind uns allen sicherlich noch die vielen Märchen in Erinnerung, an deren Ende der erhobene Zeigefinger uns mahnend die Moral von der Geschicht‘ lehrt. Erziehung durch Abschreckung, eingepackt in „schöne“ Geschichten – Jahrhunderte der Wegbegleiter vom Kindes- ins Erwachsenenalter. Mit dem Aufkommen von Psychoanalyse und Traumdeutung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde erst die poetische Bildsprache vieler Märchen entschlüsselt. Dornröschen schildert demnach die Metamorphose eines Mädchens zur Frau und die damit verbundenen Ängste vor ihrer erwachenden Sexualität.

Eben diese Deutung legt Tarek Assam seinem Tanzstück „Dornröschen“ nach dem gleichnamigen Ballett von Peter Iljitsch Tschaikowsky zu Grunde. Zeitnah angelegt, ist es vorbei mit „Es war einmal“. Die verwunschene Königstocher Aurora (Christin Braband) ist ein Mädchen wie viele andere auch, geht gerne auf Partys und feiert ausgelassen. Die böse Fee Carabosse (Noala de Aquino) ist in Assams Inszenierung gleichsam eine Hosenrolle, nur dass in der Hose tatsächlich auch ein Kerl steckt, der Aurora zum Konsum bewusstseinserweiternder Drogen verführt. In einen todesähnlichen Schlaf verfallen, verschleppt Carabosse die ihm fortan willenlos ausgelieferte Königstochter. Von der Fliederfee (Juliane Hlawati) auf Kurs gebracht, entdeckt der als Bewacher der Schlafenden abgestellte Prinz Desirde (Robert Seipelt) jedoch seine Liebe zu Aurora. Es kommt zur Konfrontation, das Gute siegt über das Böse – wir sind ja schließlich immer noch im Märchen –, und am Ende ist die Prinzessin wieder putzmunter.

So weit eine nette Nacherzählung des Märchens in moderner Form. Doch was da fortdauernd stört, ist die Musik. Tschaikowskys hochexpressiv romantische Tonsprache will und kann einfach nicht so recht zum optisch Dargebotenen passen. Da hilft es dann auch nicht, das Ganze mit musikalischen Versatzstücken wie etwa Mancinis „Pink Panther“ publikumswirksam aufzupeppen. Vielmehr wird Tschaikowsky damit erst recht an die Wand gespielt, als gefühlsduselnde Hintergrunduntermalung degradiert. Dabei müsste man nur genau hinhören! Was das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter Valtteri Rauhalammi der Partitur an nuancierten Schattierungen, an deutungsreichen Zwischentönen und dramatischen Wendungen entlockte, das alles bedarf keiner musikalischen „Nachrüstung“. Wer ein solch verschwenderisches Potential an Musik und Musikern für ein Ballett auffährt, der sollte mit diesen Pfunden auch wuchern.

So blieb letztlich die Diskrepanz zwischen modernem Tanztheater und klassischem Ballett nicht nur hör-, sondern auch deutlich sichtbar. Klassische Choreographie und zeitgenössischer Ausdruckstanz standen oft unvermittelt nebeneinander, muteten mitunter arg befremdlich an. Nach einem etwas mühsamen Beginn (Prolog), dessen Längen klar spürbar waren, konnten die Tänzerinnen und Tänzer insgesamt dann aber mit überzeugenden Darstellungen für kurzweilige Momente sorgen.

Die Crux einer psychologischen Deutung des Märchens ist die schonungslose Offenlegung. Das Märchen wird seiner poetischen Bildsprache beraubt, die Dinge werden mit beinahe klinischer Präzision beim Namen genannt, hier natürlich gezeigt. Für den Zuschauer respektive Zuhörer bleibt da kein Deutungsspielraum mehr, er wird zum bloßen Zu-Schauer. Am Ende ist alles gesagt, Vorhang, das war’s. Bis zum nächsten Mal.

Weitere Vorstellungen im Dezember: Dienstag, 20. Dezember, 20 Uhr; Freitag, 23. Dezember, 20 Uhr; Montag, 26. Dezember, 19.30 Uhr und Freitag, 30. Dezember, 20 Uhr.

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