Ausgangspunkt für mehr

Eines der späten Dramen Henrik Ibsens steht seit Samstag auf dem Spielplan des Trierer Stadttheaters: Hedda Gabler. Der Intendant Gerhard Weber inszenierte (wir berichteten), ein siebenköpfiges Ensemble teils sehr junger Schauspieler trug das fast zweidreiviertelstündige Kammerspiel. Die Premiere war hervorragend besucht und wurde mit langanhaltendem Beifall quittiert. Die grobe Richtung der Trierer Neuinszenierung stimmte auch.

TRIER. Großes psychologisches Theater durfte man nach dem Vorbericht von Gerhard Webers neuer Inszenierung des Ibsenschen Schauspiels „Hedda Gabler“ erwarten. Nach den Gesellschaftsdramen „Nora. Ein Puppenheim“ und „Gespenster“ mit ihren etwas plakativen Anhäufungen seinerzeitiger Skandalthemen hatte der Norweger seine Palette verfeinert und, etwa mit der „Wildente“, Psychogramme geschaffen, in denen individuelle Personengestaltung und gesellschafticher Hintergrund zum Teil perfekt ineinandergreifen. Er wurde damit wie kaum ein anderer Dramatiker des 19. Jahrhunderts zum Vorbild von Autoren wie Tennessee Williams, Arthur Miller, Arthur Schnitzler, Truman Capote und vermutlich Botho Strauß.

Einen Anklang an dessen statuarische Gesellschaftswelten vermittelte, wohl nicht unabsichtlich, das Bühnenbild von Anouk Schiltz durch die Verwendung modernen Mobiliars in hellem Einheitston. Ein weißes Bücherregal, weiße Sitzelemente, ein weißdrapiertes Klavier, blanke weiße Wände vermitteln ein Flair eingeschränkter Emotionen und peinlicher Ordentlichkeit. Haupt- und Nebeneingänge sind symbolisch besetzt, der Ausblick durch eine Gliedertür – bei Ibsen Glas – ins benachbarte Speisezimmer der Villa Tesman wirkt darüber hinaus handlungstechnisch unverzichtbar, schließlich bietet das Schlussbild hinten Heddas Leiche, die sich eben erschossen hat.

Weber nutzt das Angebot der verbundenen Zimmer leider aber nicht so aus, wie Ibsen dies anbietet. In der längere Zeit vorher stattfindenden Aussprache zwischen Hedda und ihrem Jugendfreund Lövborg sitzen Tesman und Assessor (in der vorliegenden Übersetzung Richter) Brack hinten bei einem Glas Punsch. Tesman kommt mehrfach herüber und fragt, ob Lövborg, der trockene Alkoholiker und potentielle Konkurrent, nicht doch ein Glas mittrinken wolle. Der an Hedda interessierte Brack beobachtet die Szene aufmerksam aus dem Hintergrund. In Trier gibt sich das alles harmloser. Die spannungssteigernde Wirkung simultaner Einzelheiten sieht Weber offenbar anders und verzichtet fast ganz darauf.

Im übrigen begrüßt der Ibsen-Freund das Bemühen aller Beteiligten, Autor und Stück zu transportieren und nicht bloß irgendein Konstrukt „frei nach“. Das bildet einen wohltuenden Gegensatz zu einer hochkarätig besetzten Luxemburger Adaption des „Klein Eyolf“ neulich, in der versucht wurde, das Drama einer Neureichenfamilie mit körperbehindertem Kind in der norwegischen Provinz zur Missbrauchstragödie umzufunktionieren. Nein, die Szenen folgen hier in der richtigen Reihenfolge, Hedda bleibt die materiell anspruchsvolle junge Frau, die wegen der akademischen Aussichten des Kulturwissenschaftlers Jörgen Tesman eben diesen geheiratet hat, Eilert Lövborg ist der hochbegabte Schriftsteller und ebenfalls Kulturwissenschaftler, der sich mit seiner ausschweifenden Lebensweise die akademischen Würden verscherzt. Aber er kam vom Alkohol angeblich los. Eben hat er, nach einem ersten Publikumserfolg, sein zweites Buch fertiggestellt. Tesman erkennt dessen Wert. Lövborg beabsichtigt indessen nicht, als Mitbewerber um die vakante Professur Tesman bezwingen zu wollen, sondern lediglich ideell in der Wertschätzung der lesenden Öffentlichkeit. Eine, wie man weiß, ehrenwerte, aber ziemlich folgenlose Absicht.

An den Feinheiten hapert’s

Die grobe Richtung der Trierer Neuinszenierung stimmt also. Weniger freilich die Nuancen. Ibsens Psychogramme wollen genau erfasst sein. Die Personen müssen auch in ihrer Mimik und Gebärdensprache den sozialen Kontext widerspiegeln. Hier bewegen sie sich weitgehend eher wie die jüngere Generation in den Vorabendserien und Fernsehfilmen zu familienfreundlicher Sendezeit, während sie Ehrenkodices und Rollenkonflikte der norwegischen Provinz um 1900 verhandeln. Irgendwie greift etwas nicht mehr richtig ineinander, und ein gebildeter Mann, der wortgewandt seine Eindrücke zu vermitteln versteht, wies in der Pause vielleicht zu vorschnell den Begriff „altmodisch“ dem Dichter zu anstatt der Diskrepanz, die sich aus Feinheiten beziehungsweise verweigerten Feinheiten der Inszenierung ergab.

Alina Wolff als Hedda kommt eine Spur zu jung herüber und mehr als eine Spur zu „weiblich“-empfindsam und knieweich. Wenn sie, allerdings ohne materielle Freizügigkeit, was denn doch zu weit wegführte, sich in der legeren Haltung von Manets Olympia vor Brack auf ein Sofa flezt oder wie ein selbstverliebtes Kätzchen zu ihm auf die Sitzelemente krabbelt, passt das wenig zur abgebrühten Zynikerin Ibsens, die mit den Männern spielt und nicht im mindesten daran denkt, auf die Avancen einzugehen, die beim originalen Brack auch verdeckter als beim souverän anderes spielenden Michael Ophelders durchscheinen.

Die verhüllte Art des emotionalen Ausdrucks Ibsenscher Figuren erweist sich auch im Fall des Eilert Lövborg als die überlegene. Es bekäme der Rolle gut, wenn Jan Brunhoeber sie vom etwas Weinerlichen weg zum enttäuscht Unterkühlten und gestaut Aggressiven hin umsteuern könnte. So würde auch besser einleuchten, was die Jugendbeziehung zu Hedda auseinanderbrachte und die junge Frau bewog, eine der beiden väterlichen Pistolen einzusetzen. Sie hatte, wie meistens, nur an einer Kameradschaft zum Mann Interesse. Als Lövberg unvermittelt zudringlich wurde, hatte sie nur diesen Ausweg gesehen, mit gezogener Pistole zu drohen.

Der Tesman von Klaus-Michael Nix hastet als ein verdorrter Bücherarchivar Marke zerstreuter Jungprofessor, immer etwas Gedrucktes in der Hand, durchs Wohn- und Studierzimmer. Gar so wenig Interesse zeigt der Neuvermählte bei Ibsen denn doch nicht an seiner Frau, und Hedda kennt ebendort zumindest dann auch einen Rest lebensgemeinschaftlichen Einvernehmens mit dem Partner.

Angenehm natürlich, aber irgendwie im Zusammenspiel der Figuren als Konkurrenz Heddas bei Lövborg etwas zu leicht erscheint Vanessa Daun als Frau Elvsted. Ob Tante Tesman, von Angelika Schmid als eine Art komische Verwandte aus der Eifel herausgestellt, die familienstolz die Karriereaussichten ihres Ziehsohns Jörgen feiert und mit ihrer Rente (sie war wohl immerhin Lehrerin?) für ihn bürgt und der genervten Hedda ihren täglichen Besuch ankündigt – ob sie bei Ibsen nicht mehr die bedrohliche Seite der spießbürgerlichen Konsensgesellschaft verkörpert?

Das könnte in Spiegelung auch die von Sabine Brandauer entzückend gespielte Bediente leisten. Aber hier beschneiden Inszenierung und einige Textkürzungen die Entfaltung.

Insgesamt ein exzellent mitmachendes Ensemble nuancierungsfähiger Darsteller, aber erst der Anfang einer Darstellung, die im Verlauf der kommenden Vorstellungen hoffentlich wächst und nachholt, was die Premiere noch verschwieg.

Weitere Vorstellungen im Mai: Freitag, 4. Mai, 20 Uhr; Sonntag, 6. Mai, 16 Uhr; Dienstag, 8. Mai, 20 Uhr; Sonntag, 13. Mai, 19.30 Uhr; Samstag, 19. Mai, 19.30 Uhr; Mittwoch, 23. Mai, 20 Uhr und Samstag, 26. Mai, 19.30 Uhr.

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