Auf den Spuren von Heinrich Tessenow in Trier

Die in Hamburg ansässige Heinrich-Tessenow-Gesellschaft besuchte am vergangenen, langen Wochenende Trier, um hier ihre Jahreshauptversammlung abzuhalten. Das diesjährige Ziel wurde ausgewählt, weil in Euren ein Wohnhaus aus dem Jahr 1909 steht, welches seine Herkunft aus dem Geiste Tessenows nicht leugnen kann. Durch das Haus und das Gelände führte der Urgroßenkel des Bauherrn Hans Proppe.

TRIER. Die illustre, international besetzte Tessenow-Gesellschaft sucht sich immer ein anderes Ziel, um dort ihr jährliches, mehrtägiges Treffen mit ambitioniertem Kulturprogramm abzuhalten. Nicht zwingend, aber sehr gerne wird dabei darauf geachtet, dass die Stadt einen Bezug zu dem Architekten hat, dessen Leben und Werk in Erinnerung gehalten werden soll. Dank des Artikels „100 Jahre modern“ bei 16vor fiel die Wahl in diesem Jahr auf Trier, wo Tessenow vier Jahre lang lebte.

Der 1876 in Rostock geborene Architekt arbeitete nach einer Ausbildung zum Zimmermann und seinem Studium in Neustadt, Leipzig und München als Lehrer erst in Sternberg und später in Lüchow. Auch bei dem traditionellen Architekten Schultze-Naumberg in Saaleck war er tätig, bevor er seine meist nur kurzen Engagements gegen eine Stelle an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Trier eintauschte. In seinen Jahren an der Mosel blieb ihm neben seiner Dozentur in den Jahren von 1904 bis 1909 genügend Zeit, zu forschen und zu schreiben. Heraus kamen die beiden absoluten Klassiker der zeitgenössischen Architekturliteratur, die „Zimmermannsarbeiten“ und „Der Wohnungsbau“, die 1909 veröffentlicht wurden.

Dass der Pionier des Siedlungsbaus, der selbst in der Palliener Straße 18 wohnte, nicht in Trier geblieben ist, hat damit zu tun, dass er hier keine Festanstellung bekam. So wechselte er 1909 an die Technische Hochschule in Dresden, wo er die Gartenstadt Hellerau maßgeblich mitplante. Das Festspielhaus sowie die Arbeiter- und Kleinbürgerhäuser bei Dresden sind bis heute neben der Ausgestaltung der Neuen Wache in Berlin, der Gagfah-Siedlung in Berlin-Zehlendorf und den Wiederaufbauplänen für Lübeck nach dem Zweiten Weltkrieg die bekanntesten Werke Tessenows.

An der Trierer Kunstgewerbeschule arbeitete seit 1904 auch der Architekt Hans Proppe. Der ein Jahr ältere Architekt für Kunstgewerbe war hier seit 1907 verbeamteter Lehrer. Die Aufgaben der beiden ähnelten sich, beide leiteten beispielsweise Schülerexkursionen, gaben Zeichenunterricht oder lehrten das Entwerfen von Möbeln und Inneneinrichtungen. Die beiden haben sich sicher gekannt und wohl auch ausgetauscht, denn Proppe plante genau in dieser Zeit, ein eigenes Haus zu bauen, als Tessenow seinen „Wohnhausbau“ vorbereitete.

„Hans Proppe war ein absolut experimentierfreudiger Mensch“, bestätigt auch Hans Kirsch, der Urenkel von Proppe, der als Architekt in Hannover lebt. Da das Haus seit zehn Jahren nicht mehr im Familienbesitz ist, nutzt er die Gelegenheit, das „Haus Proppe“ zusammen mit der Gesellschaft zu besichtigen. Bis in die 70er Jahre verlebte er alle seine Ferien auf dem „Berg in der Sonne“, wie der Bauherr sein großangelegtes terrassiertes Gelände mit zahlreichen Obst- und Nussbäumen nannte. „Er hat so einiges ausprobiert“, weiß Kirsch aus den Erzählungen seiner Familie. „Mal gab es eine Phase, in der er der Mazdaznanbewegung angehangen hat, mal gab es eine japanische Phase und im Sommer war das Leben im Lichtkleid eine Idee, die in Euren und Trier sicher für Gesprächsstoff sorgte.“

Die jetzigen Bewohner des Hauses in der Hermannstraße in Euren sind bei dem Rundgang der über 20 Tessenow-Freunde ähnlich offen und gastfreundlich, wie die Familie Proppe es vor 100 Jahren gewesen sein muss. Sie interessiert sich für die Geschichte und versuchte, das Haus, das nie unter Denkmalschutz gestellt wurde, behutsam an das 21. Jahrhundert anzupassen. Besonders im Obergeschoss ist dies gut gelungen. Die Holzdielen zeigen bis heute die Farbreste, die der Trierer Gebrauchsgraphiker Fritz Quant hinterlassen hat, als er im letzten Jahr vor seinem Tod 1933 hier lebte. Und auch die Originaltüren mit Glaseinsätzen sowie das hölzerne Treppenhaus sind erhalten geblieben und lassen die ursprüngliche Gestaltung im Inneren noch gut nachvollziehen. Von den charakteristischen hoch sitzenden Fenstern im Hauptgeschoss ist nur noch ein einziges erhalten. Der Urenkel erzählt von dem Leben auf dem Berg: „Hans Proppe hat hier zwar keine Künstlerkolonie aufgebaut, aber das Haus war oft voll von Freunden, Kollegen, der Familie und Künstlern, die auch in zwei kleineren Häusern auf dem steilen, vier Morgen großen Grundstück wohnen konnten.“ Und auch bei der Innenausstattung probierte Proppe so einiges aus, wie Kirsch berichtet: „Da gab es eine Zeit mit Möbeln, eine Zeit ganz ohne Möbel oder er hat sich Möbel nach seinen eigenen Ideen anfertigen lassen.“

Hans Kirsch, der erst fünf Jahre nach dem Tod von Hans Proppe geboren wurde, hat sich in die außergewöhnliche Geschichte seiner Familie hinein vertieft und begeisterte die Tessenow-Gesellschaft mit Berichten über seine lebensreformerischen Verwandten. An der Zuschreibung Tessenows jedoch hat er aufgrund der dürftigen Quellenlage Zweifel. Für Trier ist das Haus allerdings ein wichtiges Denkmal, an dem aufgezeigt werden kann, welch avantgardistische Ideen hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts Raum fanden und gelebt werden konnten. Und das in dem modernsten Haus, welches es 1909 in Deutschland gegeben hat und welches jetzt Fachpublikum aus ganz Europa nach Trier gezogen hat.

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