Der Klang von Glühlampen und andere Erleuchtungen

Seit Freitag findet in der Tufa das Opening-Festival für aktuelle Klangkunst statt. Thomas Rath und Bernd Bleffert haben zum dritten Mal ein vielschichtiges Programm auf die Beine gestellt, bei dem es sich der musischen Bereicherung wegen empfiehlt, möglichst viel davon anzuhören. Die Konzerte sind ungewöhnlich, verstörend, faszinierend, erhellend, amüsant, düster, bewegend, unangenehm, betörend, dadaistisch, gagaistisch, kurz: ein Ereignis.

TRIER. Menschen, dessen Zugang zu moderner Bildender Kunst bei einem Kandinsky-Poster aus dem Baumarkt endet, sind bei Werken oder Performances, die darüber hinausgehen, oft geneigt zu fragen oder zumindest zu denken: „Ist das noch Kunst?“ Noch viel mehr Menschen dürften sich bei den Konzerten, die beim Opening zu hören sind, fragen: „Ist das noch Musik?“ Besser wäre: „Ist das schon Musik?“, denn einigen Musikern geht es genau darum, dieser Frage auf den Grund zu gehen. In manchen Fällen muss man dies verneinen. Es ist keine Musik im konventionellen Sinne, es ist etwas Neues, Klangkunst eben.

In dieser Welt gibt es so gut wie keine Melodien oder Rhythmus. Reduktion und Repetition sind beliebte Stilmittel. Aktuelle Klangkunst hat so viel mit der Musik aus dem Chart-Radio gemein wie Werke von Beuys mit Bildern von Dürer. Man muss in der Lage sein, sich darauf einzulassen, sich dafür zu öffnen. Dann kann diese Kunstform, die so vielschichtig ist wie die große Schwester Bildende Kunst, äußerst bereichernd sein. Aber wie dort liegen Genialität und Gagaismus dicht beisammen.

Dass Percussion „mehr als Rhythmus“ ist, wie Organisator Bernd Bleffert in seiner Ankündigung zum fast ausverkauften ersten Konzert des Festivals sagt, beweist das „Schlagquartett Köln“. Wie auch ihren Nachfolgern geht es den vier Schlagzeugern Dirk Rothbrust, Achim Seyler, Thomas Meixner und Boris Müller vor allem um die Erzeugung von Stimmungen mit neuen Mitteln wie zum Beispiel bei John Cages elektro-akustischer Nummer „Imaginary Landscapes No. 1“ mit zwei Plattenspielern mit Testtönen von Messplatten und einem „schallgedämpftem“ Flügel, der auch als Saiteninstrument genutzt wird.

Beim zweiten Stück „this sky“ vom anwesenden Kunsu Shim haben sich die vier hochkonzentrierten Musiker mit jeweils vier Trommeln und unterschiedlich harten Schlägeln in jede Ecke des Großen Saals platziert und spielen leise abwechselnd und überschneidend jeweils immer denselben Ton – 20 Minuten lang. Die weiche, monotone Rundumbeschallung hat eine sehr meditative Wirkung und fühlt sich an wie eine Massage für die eigenen Trommelfelle. Dabei herrscht eine Stille, bei der Atmen schon als Lärm empfunden wird.

Im „Schlagquartett Nr. 3. Hommage an John Cage“, eine Eigenkomposition von Boris Müller, sind Naturgeräusche Gegenstand des Klangkunstwerkes. Nacheinander und parallel werden Hölzer und Steine aufeinandergeschlagen, Muschelkarussells gedreht, Ruten durch die Luft gezogen, Tannenzapfen und geriffelte Muscheln aneinandergerieben – alles nach einer recht bindenden Partitur. Müller schafft damit eine eigene Natur – in den Köpfen der Zuhörer, da die Geräusche unterschiedliche Assoziationen wecken dürften.

Mit Gerhard Stäblers „Roses“ stimmt das „Schlagquartett Köln“ – zumindest was die gesangliche Besetzung angeht – auf den nachfolgenden Auftritt ein. Während jedoch die von Irene Kurka wiedergegebenen Textfragmente der antiken griechischen Dichterin Sappho und die begleitenden oder umrahmenden Trommelwirbel und Geräusche langsam gedrehter Holzratschen beklemmend und kalt wirken, ist das zweite Konzert „Three Voices“ zutiefst traurig – und ergreifend schön.

Morton Feldmans dreistimmiges, ornamentales Stimmengeflecht gilt in der sogenannten Neuen Musik als beispielloses Vokalwerk. Begleitet von zwei selbst eingesungenen Stimmen auf Band knüpft Marianne Schuppe die dritte Stimme live ein. Zwei leise Töne nur, zarte Seufzer, die anfangs nur einen Halbton auseinanderliegen und sich dann langsam weiter voneinander entfernen, werden zu einem Dialog dreier Trauernder, der bis ins Innerste bewegt.

Nach 20 Minuten (!) verändert sich der mantraartige Gesang. Wörter kommen hinzu: „That snow falls“. Sie stammen aus einem Gedicht von Frank O’Hara, das er Feldman widmete. „Who’d have thought / that snow falls / snow whirled / nothing ever fell“ („Wer hätte gedacht / dass Schnee fällt / Schnee wirbelte / niemals fiel“). Es sind tatsächlich dem Schneefall entsprechende tonmalerische Elemente – vor allem die dezente Variation der Wiederholung –, die vor dem inneren Auge in zu- und dann wieder abnehmender Intensität Flocken fallen lassen. Die Ausstrahlung von „Three Voices“ in der Interpretation von Schuppe haut einen um.

„Da steckt Musik drin“, könnte man das Motto des Konzertes „Improvisierte Musik mit Glühlampen, Stimme und erweitertem Saxophon“ beschreiben. Jaap Blonk (Stimme), Dirk Marwedel (erweitertes Saxophon) und Michael Vorfeld (Glühlampen) möchten mit ihrer Darbietung zeigen, wann und wie aus alltäglichen Lauten und Geräuschen Musik wird. Es ist faszinierend und verstörend zugleich. Böte Blonk seinen mimikreichen Stimmenvortrag vor einem beliebigen Publikum, dächten nicht wenige Zuhörer, er habe nicht mehr alle fünf Zwetschgen beisammen. Der niederländische Vokalist erzeugt auf vielfältige Weise Geräusche und Laute mit seinem Sprachapparat wie Hauchen, Schnalzen, Fauchen, Gurgeln, die sich mit entsprechend verdichtender Begleitung zu einem erregten Fantasiesprachemonolog steigern und dann wieder abklingen.

Beeindruckend ist die Art der Begleitung. Während Dirk Marwedels „erweitertes Saxophon“ bis zu einfachen Schläuchen reicht, erzeugt Michael Vorfeld mit dem Sirren und Surren beleuchteter Glühbirnen knisternde Klanggewebe und satte Rhythmen.

Wem „Neue Musik“ fremd ist, der dürfte sich beim Opening manchmal so vorkommen wie bei Hape Kerkelings grandioser Klangkunstparodie „Hurz“. Gewiss ist es auch angebracht und vielleicht sogar von den Musikern gewollt, nicht jede Darbietung allzu ernst zu nehmen. Man muss auch nicht unbedingt immer verstehen, was auf der Bühne passiert – auf die Wirkung kommt es an.

Noch bis heute Abend gibt es bei diesem außergewöhnlichen Festival Gelegenheit,  zeitgenössische Klangkunst zu hören. Um 17 Uhr spielen Naoko Kikuchi auf der zitherähnlichen Koto und die Pianistin Yumi Kimachi japanische Musik, ehe Sabine Akiko Ahrendt (Violine), Jan-Filip Tupa (Cello) und Reto Staub (Klavier) noch einmal sehr unterschiedliche musikalische Perspektiven im Abschlusskonzert zeigen.

Klangkunst zu sehen gibt es noch bis zum 22. Februar in der „Open-Expo“ im zweiten Obergeschoss der Tufa. Schwerpunkt der Ausstellung sind musikalische Assoziationen beim Betrachten der Werke.

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