Von Rocky lernen

Franziska Wollscheid auf der Bühne... Foto: privatEr ist erst die Dampflok Rusty in „Starlight Express“, dann wird er „Im Schuh des Manitu“ am Marterpfahl gefesselt. Sie fordert als Prostituierte vollmundig „Schafft die Männer ran“, um wenig später im Nonnenkostüm zu singen: David Steines und Franziska Wollscheid sind gemeinsam mit elf weiteren Jugendlichen „Musical Project“. Für ihren bisher größten Auftritt haben die Nachwuchssänger aus der Region wochenlang Texte gelernt, Kostüme ausgesucht und Requisiten gebastelt. Am 23. November treten sie in der Europahalle auf.

TRIER. Die Botschaft klingt selbstverständlich in der Theorie und erfordert in der Praxis doch viel Mut: Kämpfe um das, was dir wichtig ist. Wenn er diesen Rat voller Inbrunst in den Hamburger Abend geschmettert hat, donnert dem Hauptdarsteller im Musical „Rocky“ mehrmals wöchentlich der Applaus von Hunderten von Zuschauern entgegen. Für Nachwuchskünstler ist die Rolle des Boxers ohne Frage eine Herausforderung.

David Steines hat selbst vier Mal im Publikum gesessen, hat begeistert geklatscht, wenn sich das Operettenhaus an der Reeperbahn für mehrere Stunden in eine Kampfarena verwandelt hat. Der 24-Jährige ist bereit, sich der Aufgabe zu stellen: Am 23. November marschiert er selbst durch die Zuschauerreihen in den Boxring, um „Fight from the Heart“ zu singen.

Dass er nicht in Hamburg einläuft, sondern die Europahalle in Trier seine Bühne ist, mindert die Aufregung nicht im Geringsten. „Für uns ist es der größte Auftritt bisher, dementsprechend nervös sind wir.“ Wir, das ist „Musical Project„. Das sind dreizehn Hobby-Sänger und weitere zehn Helfer, die im Voraus Requisiten gebaut oder Flyer verteilt haben, die am Abend des Auftritts hinter der Bühne schminken oder Locken drehen werden. Steines leitet die Gruppe aus Schülern und Studenten im Alter zwischen 14 und 24 Jahren: „Es geht darum, jungen Sängern die Möglichkeit zu geben, ihr Talent zu zeigen.“

Während einer Projektwoche am Gymnasium Hermeskeil hat alles angefangen. Damals, 2009, wollte Steines die Schüler für Musicals begeistern. Weil mehrere der Teilnehmer auch nach dem fünftägigen Workshop Interesse am Singen hatten, und sich zudem einige Jugendliche meldeten, um die Gruppe zu unterstützen, gründete er „Musical Project“. In der Zwischenzeit hat Steines Gesang und Klavier studiert, in Hamburg eine Ausbildung zum Musicaldarsteller abgeschlossen. Er unterrichtet derzeit an der Modern Musical School in Trier, das „Musical Project“ leitet der gebürtige Saarländer nach wie vor. 40 Mal sind sie schon in der Region aufgetreten, vor Freunden und Verwandten in Turnhallen und Gaststätten. Die Europahalle ist somit eine neue Dimension.

Gerade sitzt Steines in einem Café und blickt angestrengt auf seinen Laptop. Er sucht den Programmablauf mit den Liedern, findet ihn, zählt durch: Die wenigsten der über 30 Stücke singt die Gruppe auf Englisch. „Die größte Herausforderung besteht darin, mit den Stücken eine Geschichte zu erzählen“, erklärt Franziska Wollscheid, eine der Sängerinnen. Damit sie mit eben dieser Geschichte bei den Zuschauern besser Gehör finden, haben sie sich für die deutsche Übersetzung der meist englischen Originale entschieden.

... und privat mit Musical-Project-Chef David Steines. Foto: privatDie 19-Jährige muss sich weniger auf den Gesamtablauf als vielmehr auf ihr Solo und die drei Duette konzentrieren, die sie an dem Abend singen wird. Ihre Texte kann sie bereits im Schlaf, die Schritte der Choreographie ebenso. Sie hat mit zehn Jahren angefangen, im Chor zu singen, zwei Jahre später hatte sie ihre eigene Band, nahm Gesangsunterricht. 2010 hat sie in Boston an einem Musicalworkshop teilgenommen, „Die Schöne und das Biest“ ist ihr Lieblingsstück. So weit, so theoretisch. Praktisch lässt sich das flaue Gefühl im Magen nicht leugnen. Die Angst davor, dass Nerven und Stimme flattern, dass die Halle nicht gefüllt sein könnte und der erste große Auftritt misslingt. Steines beschwichtigt: Was im Kleinen bei der ersten Generalprobe vor wenigen Tagen gut geklappt hat, sollte im Großen nicht fehlschlagen. Und obwohl der Kartenvorverkauf erst kürzlich begonnen hat, seien bereits mehr als die Hälfte der 800 Tickets verkauft. Er nickt bestätigend, sie atmet erleichtert aus.

Seit einem Monat bereitet sich Wollscheid neben ihrem Architektur-Studium an der Hochschule Trier intensiv stimmlich auf den Auftritt vor. Außerdem kümmert sie sich zusammen mit den anderen Jugendlichen ehrenamtlich um Kostüme und Requisiten: Das alte Hochzeitskleid von einer Tante wird mit Pailletten bestickt zum Kleid der österreichischen Kaiserin Sissi, die Nonnenkostüme für „Sister Act“ liefert Amazon. Als König Ludwig trägt Steines Uniform und Schärpe seines Großvaters, der sich an Fastnacht einmal als Adeliger verkleidet hat, die Frankreich-Fahnen für die Aufständischen in „Les Misérables“ sind bereits gekauft.

Nun sind es die kleinen Schrauben, an denen in den Tagen bis zum Auftritt gedreht werden muss: Dem Erdmännchen Timon fehlen noch die Ohren, sein Freund Pumbaa braucht ein schwarzes Irokesen-Haarteil, die Marterpfähle zu „Der Schuh des Manitu“ müssen noch gestrichen, einige Erkältungen mit Tee und Honig auskuriert werden. „Wir freuen uns auf den Abend, denn wir haben endlich die Chance, auf die wir seit Jahren hinarbeiten: Wir können uns einem breiten Publikum präsentieren“, sagt Steines. Er ist optimistisch. Wie man die eine Chance nutzt, das sollte er wissen – nicht zuletzt wegen seiner Rolle als Rocky.

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