Von Einweggrills und Flatratepuffs

Herrje, hoffentlich erfährt das keiner von meinen Kumpels zuhause! Der Meier Kurt hätte kein Verständnis für so was, von dem bekäme ich was zu hören! Dabei kann ich nicht mal behaupten, ich wäre gezwungen worden, wäre in schlechte Gesellschaft geraten oder so. Nein, ich hab‘s freiwillig getan, ich hab‘s gerne getan und ich hab‘s sogar ein bisschen genossen. Also, verraten Sie’s bitte nicht weiter: Ich habe gegrillt. Tja, unterschätzen Sie das nicht! Als Saarländer grillt man nicht, da schwenkt man. Nun sind sogar meine Landsleute so vernünftig, zu akzeptieren – zur Not und wenn keine Originalgerätschaften zur Verfügung stehen -, die Würstchen auch mal auf einem feststehenden Grill zu brutzeln. Auch andere Kulturen haben durchaus ordentliche Grillsitten, keine Frage. Aber Sie kennen noch nicht die ganze Wahrheit: Ich hab nicht nur gegrillt, sondern ich habe dazu einen Einweg-Grill benutzt. Selbst gekauft sogar, an einer Tankstelle – so’n Ding, das man einmal anzündet, schnell drauf grillt, und danach wegwirft.

TRIER. Irgendwie ist der Backes Herrmann Schuld. Nach einem ordentlichen 12-Stunden-Liebeskummer letzte Woche ist er wieder ganz der Alte und versucht, mir das wahre Trierer Leben zu zeigen. Als wir überlegen, wie wir die allerletzten richtigen Sommertage nutzen sollten, lasse ich unvorsichtigerweise das Wort „Grillwetter“ fallen (ich hab extra nicht „Schwenkwetter“ gesagt, weil mich dieser heimelnde Ausdruck immer melancholisch macht, wenn ich ihn in der Fremde benutze). Daraufhin schlägt der Herrmann vor, spontan ein paar Leute zusammenzutrommeln, um an der Mosel zu grillen.

„Was, du hast noch nie an der Mosel gegrillt?“ fragt er mich überrascht, als ich gestehe, dass ich das noch nie getan hätte. „Das muss man aber einmal im Leben gemacht haben.“
„Wir brauchen bei uns keine Mosel zum Grillen“, antworte ich trotzig, „wir haben dafür Gärten und Garageneinfahrten!“

Etwas verzagt frage ich, ob er überhaupt einen Grill habe. Er winkt ab und meint, den könne ich ja noch an der Tanke besorgen, während er die Würstchen, zwei Kumpels und ein paar alte Freundinnen zusammentrommelt.

Also eins muss man den Trierern lassen: Spontan sind sie. Gut zwei Stunden später sitzen wir ganz in der Nähe eines Betonstegs unterhalb eines Bootshauses, und ich ertappe mich dabei, wie ich gespannt ein Feuerzeug an die Papierauflage des Wegwerfgrills halte. Und ich bin angesteckt von der guten Laune, die die anderen sieben Bekannten vom Herrmann mitgebracht haben.

Vielleicht sollte ich dem unbedarften Trierer erklären, dass ein saarländischer Vater, der merkt, dass seine Kräfte allmählich schwinden und es Zeit wird, den Staffelstab weiterzugeben, seinen Sohn zur Seite nimmt, und diesem mit ernster Miene verkündet, der Schwenker gehöre nun ihm, er möge ihn in Ehren halten. Nicht selten fällt in solchen Situationen der Spruch: „Ich bin sicher, dass du den Schwenker noch brauchen wirst im Leben“, so ähnlich wie wenn Harry Potter von Dumbledore den Tarnmantel seines Vaters bekommt.

Man muss dazu wissen, dass es alles andere als profan oder lächerlich ist, den Familien-Schwenkgrill in einer semi-feierlichen Vater-Sohn-Szene zu bekommen. Denn die meisten Feuerstellen bzw. die gesamte Schwenkgrill-Konstruktion ist nicht selten mit anständigem Stahlbeton dermaßen fest im heimischen Gartenrasen verankert, dass nur wenige Häuser die gleiche Erdbebensicherheit aufweisen wie die Schwenkerstellen. Der Schwenker ist sozusagen eine Immobilie. Wer den Schwenker erbt, kriegt also schon allein aus immobilientechnischer Notwendigkeit Haus und Hof dazu.

Es handelt sich also beinahe um einen rituellen Akt, wenn der Schwenker vom Vater auf den Sohn übergeht. Und wer so sozialisiert worden ist, fühlt sich natürlich unbehaglich, wenn er auf was rumgrillt, was nach Gebrauch einfach weggeworfen wird.

Die Trierer sind da anders. Herrmann, dem ich meine Bedenken erkläre, will spontan darauf reagieren und schlägt allen Ernstes vor, statt des Wegwerf- einen Ein-Euro-Grill beim Ratio zu besorgen, so „wie früher“. Aber die anderen sind dagegen, und als ich von einer der „alten Freundinnen“ erfahre, dass der „Ein-Euro-Grill“ ein Einkaufswagen ist, der von unten per Holz befeuert und danach in der Mosel versenkt wird, bin ich froh, dass sie den Herrmann von dieser Idee abgebracht und ihn davon überzeugt haben, er sei mindestens 30 Jahre zu alt für so einen Unsinn.

Ich wage es kaum zuzugeben, aber die Würstchen gelingen wunderbar auf dem Einmal-Grill und die Stimmung ist hervorragend. Herrmann und die anderen amüsieren sich köstlich darüber, dass dieser Betonsteg immer noch Treffpunkt für erste, zaghafte Stelldicheins ist. Wobei ich „zaghaft“ stark untertrieben finde, so wie die Pubertierenden hier rangehen.

Da wir am Hang etwas erhöht sitzen, können wir prima beobachten, wie Pärchen (noch) leicht verlegen auf den Steg schlendern, sich hinsetzen, die Schuhe ausziehen und die Füße ins Wasser baumeln lassen. Und wenn’s gut läuft, tut man wenig später so, als ob man sich gegenseitig ins Wasser schubsen will und hat somit ausreichend Ausreden dafür, sich gegenseitig im letzten Moment festhalten zu müssen. Nach mehreren so inszenierten Umklammerungen zieht man dann wieder ab, um dieses gemeinsam erreichte erste Level anderswo um mindestens ein, zwei Stufen zu steigern und den Steg für die nächsten Frischverliebten freizugeben.

Ich muss zugeben, dass es in meiner Jugend doch nicht schlecht gewesen wäre, eine Mosel vor der Tür zu haben. Gärten und Garageneinfahrten mögen zum Grillen mindestens genauso gut sein wie das Moselufer, aber für andere zwischenmenschliche Bereiche wäre letzteres sehr hilfreich gewesen.

Beim Gerade-noch-nicht-Pärchen, das zuletzt kommt, handelt es sich um echte Stümper, denn sie unterschätzen die Bugwelle eines vorbeifahrenden Schiffs mit holländischer Flagge und werden von einer über den Steg schwappenden Welle gründlich durchnässt. Die beiden sind aber so cool, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, hängen die Kleider an Sträuchern zum Trocknen auf, und schwimmen, sich gegenseitig neckend, in der Mosel herum.
Herrmann und die anderen schauen ihnen verträumt zu, und man sieht ihnen an, dass der holländische Moselkahn auch schon in ihrer Jugend hier vorbeigefahren ist.

Aber eins ist – neben den durchaus gelungenen Würstchen – hier genauso wie beim saarländischen Garten- oder Garageneinfahrtsgrillen: Es wird tüchtig Bier getrunken und der Dorf-, äh, Stadtklatsch wird aufgearbeitet. Man unterhält sich z.B. ausgiebig über den Mann, der seit Tagen in der Simeonstraße vorm Kaufhof schwebt.

„Wieso schwebt er denn vorm Kaufhof?“, fragt eine alte Freundin.
„Das ist doch nicht die Frage“, meint Herrmann, „sondern: Wieso schwebt er überhaupt? Was will er damit sagen und wie macht er das eigentlich?“

Wir kommen überein, dass es sich bei dem Stock, an dem er sich beim „50-Zentimeter-überm-Straßenpflaster-Schweben“ festhält, um eine Spezialkonstruktion handelt und ich werde beauftragt, über diesen Kumpel von mir, diesen Meier Kurt, der gute Kontakte zur Dillinger Hütte hat, so eine Apparatur nachbauen zu lassen. Und beim soundsovielten Bier beschließen wir feierlich, dass der Herrmann, sobald der Kurt liefern kann, sich einfach zwei Meter neben den Schwebenden platziert und eine Weile mitschwebt. Nur so zum Spaß und ganz ohne „Message“.

Außerdem wird heftig über das neue Flatrate-Bordell in Trier-Nord debattiert. Das Thema scheint die Trierer Seele doch zu beschäftigen. Der Backes Herrmann und seine Kumpels geben ganz offen zu, dass sie nicht so recht sähen, wie man mit dieser Flatrate „einen guten Schnitt machen soll“. Denn anders als bei einer „All you can eat-“ oder „drink“-Flatrate, wo man sich irgendwie zwingen könne, ordentlich was zu kriegen für sein Geld, sei beim „Geschlechtsverkehr bis man nicht mehr kann“ eben gerade der „Nicht mehr kann“-Faktor doch das Problematische und Limitierende! (statt “drink till you drop” frotzelt Herrmann, gilt hier: “f..k till you fail”?).

Die alten Freundinnen loben ihre Trierer Jungs dafür, dass sie das Hinterhältige an diesem scheinbaren Schnäppchen selbst erkannt haben und fordern sie lachend auf, sich lieber an sie zu halten, da gäb‘s noch Qualität statt Quantität. Und als wir so plaudern, merke ich mal wieder, dass die Trierer doch so ähnlich drauf sind, wie meine Leute zuhause, sobald erst einmal die Würstchen verzehrt und ein paar Stubbis getrunken sind. Ich lerne also, dass das Gelingen eines spontanen Grillens nicht zwingend eine Frage der Grilltechnik ist. Und mit dieser Erkenntnis entsorge ich den erkalteten Wegwerfgrill in einer Mülltonne oberhalb des Moselradweges.

Nachtrag: Wer leider bei dieser spontanen Grillparty (noch) nicht dabei sein konnte, war eine gewisse Schmidt Anne. Aber der Herrmann, der regelmäßig 16vor liest, will dringend, dass ich ihr seine Telefonnummer zukommen lasse…

Liebe Anne Schmidt: Obacht, falls der Herrmann mit dir an der Mosel spazieren geht und sich dabei zielstrebig einem Betonsteg nähert!

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