„Trier ist ohne Wein gar nicht zu denken“

Mit einem gutbesuchten Vortrag über „Weinfälschungen im Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit“ des Trierer Historikers Professor Lukas Clemens wurde gestern im Stadtmuseum Simeonstift die Sonderausstellung „WeinReich“ eröffnet. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem berauschenden Kulturgut wird dabei bewusst in die jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhänge eingebettet – und so erzählen die Exponate im besten Falle stets auch ein Stück Menschheitsgeschichte.

TRIER. Ernst von Ernsthausen wusste bereits vor über einhundert Jahren: „Trier ist ohne Wein gar nicht zu denken.“ Diesen Satz schrieb er 1894 in seinen „Erinnerungen eines preußischen Beamten“. Und auch heute muss man kein Weinkenner sein, um der herausragenden Bedeutung des vergorenen Rebensaftes für die Moselregion gewahr zu werden: ein Blick auf die endlosen Reihen von Rebstöcken, die sich an die kurvenreichen Steilhänge der Mosel schmiegen, genügt.

Nichts liegt daher näher, als die Bestände des Stadtmuseums nach Zeugnissen der Weinkultur zu durchforsten und in einer thematischen Sonderausstellung zusammenzuführen. Die Kuratorin und Leiterin der Ausstellung, Dr. Bärbel Schulte, hatte sich dieser Aufgabe angenommen und zeigte sich überrascht, „wie viele Stücke einen Bezug zu Wein haben“. Eine sorgfältige Auslese von 160 Exponaten hat schließlich den Weg in die Ausstellung gefunden. Damit habe man sich bewusst für einen schlaglichtartigen Umriss des Themas entschieden, so Schulte weiter. Ein besucherfreundlicher Ansatz, der zu einer reflektierenden Auseinandersetzung mit den Exponaten einlädt und zu keinem Augenblick die erschöpfende Bedrücktheit eines Sammelsuriums erkennen lässt. Zusätzlich ist die Ausstellung in sieben thematische Stationen untergliedert, die die gesamte Bandbreite der Weinkultur beleuchten: zunächst mythisch-religiös, dann handwerklich-pragmatisch, bisweilen – und hier offenbart sich die große Stärke der Ausstellung – implizit-politisch.

Von Platon bis Noah

Dröge, wie sie bisweilen sein kann, weiß eine Informationstafel das alte Persien als Ursprungsland des Weinbaus zu betiteln. Dort, im Zagros-Gebirge, fand man die mit circa 7000 Jahren bislang älteste Kelteranlage. Glücklicherweise geht es in der Mythologie nicht so streng wissenschaftlich zu, und so weiß jede Kultur ihre eigene Version über die Ursprünge des Weinbaus zu erzählen. Bei den alten Griechen war es der Gott Dionysos, der Ikarios den Weinbau lehrte. Zum Dank dafür opferte man ihm frisch vergorenen Traubensaft und beehrte ihn mit Trinkgelagen. Platon beschrieb diese Ausschweifungen in seinem Dialog „Symposium“. Das Werk diente einem unbekannten Künstler als Vorlage für ein Bild, das die Folgen der Exzesse karikiert – ganz und gar unplatonisch erbricht sich ein Teilnehmer des Gelages in eine Schale, neben ihm schläft ein Mann zusammengesunken seinen Rausch aus.

An einem aus vier Bildern bestehenden Jahreszeiten-Zyklus wird die Bedeutung des Weines bei der Allegorisierung des Herbstes deutlich. „Während allen anderen Jahreszeiten wechselnde Motive zugeordnet wurden, hat man die Herbstzeit stets mit der Weintraube verbunden“, klärt Schulte auf.

Die Kuratorin weiß eine Zahl zu nennen, mit der sich die Bedeutung des Weines in der christlichen Religion quantifizieren lässt: „Wein wird an mehr als 500 Stellen in der Bibel erwähnt.“ Schon die frühchristlichen Kopten stellten Daniel in der Löwengrube mit zwei großen Weinschläuchen dar. Besonders anschaulich: Eine Gegenüberstellung von der Hochzeit zu Kana, bei der Jesus Wasser zu Wein verwandelte – dem ersten Zeugnis Jesu im Evangelium -, und dem letzten Abendmahl, bei dem Wein und Brot als bleibende Symbole seiner Existenz dienten. Dabei stand das Christentum einem übermäßigen Konsum des flüssigen Symbols Christi stets ablehnend gegenüber. Auf einer Darstellung des „Heiligen Rockes“ aus dem 16. Jahrhundert ist auf der linken Seite ein Altar mit Reliquiaren abgebildet, als Antithese dazu rechts ein Tisch, umringt von zechenden Männern. In der Mitte steht ein Mönch an der Kanzel, der auf den Altar zeigt. Sein Blick wandert zu den Trinkern; tief ist die missfällig gerunzelte Stirn in den Holzschnitt eingearbeitet.

In diesen frühen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Rebensaft liegt bisweilen der Grundstock für eine spätere politische Instrumentalisierung: Das Bild „Noah und seine Söhne“ von Louis Counet zeigt den Erbauer der Arche, der nach dem Ende der Sintflut zum Weingärtner wurde und sich an seinem eigenen Erzeugnis berauschte. Als sein Sohn Ham ihn entblößt und selig schlafend auffand, petzte er dies seinen Brüdern Sem und Jafet, anstatt die Blöße des Vaters zu bedecken. Am nächsten Tag erfuhr Noah von dieser Schande und verfluchte Ham und sämtliche Nachkommen, ihr Dasein als Knechte anderer Menschen zu fristen. Die Krux an der Geschichte: Der Fluch diente insbesondere in den USA als willkommene biblische Rechtfertigung für die Versklavung von Schwarzafrikanern.

Trier WeinReich Ausstellung StadtmuseumDaneben wagt die Ausstellung auch den Blick über den eigenen kulturellen Tellerrand hinaus. Beeindruckend sind insbesondere die filigran gearbeiteten Elfenbeinfiguren aus China, die Obsthändler und Winzer darstellen – mitsamt verschlagen dreinblickenden Gesichtern, die man in den boshaften Karikaturen der Neuzeit wiedererkennt. „Das Stadtmuseum beherbergt die größte Sammlung ostasiatischen Elfenbeins“, erzählt Frau Schulte – und bedauert im selben Atemzug, dass diese Tatsache kaum bekannt sei.

Eine weitere Station ist ausschließlich dem Weingefäß gewidmet. Lange determinieren Mode- und Zeitgeschmack Form und Gestalt der Behälter, erst ab dem 20. Jahrhundert beginnt man sich Gedanken über die Physiologie des Weintrinkens zu machen. Form, Volumen, Rand und Durchmesser treten in den Vordergrund und bestimmen fortan das Geschmackserlebnis. Dieser Prozess ließe sich fortschreiben bis hin zu den ritualisierten Verköstigungen schmatzender und spuckender Weinexperten, über die manch einer heute die Nase rümpft.

Mit majestätisch erhobenem Blick schaut Clemens Wenzeslaus von Sachsen dem Betrachter entgegen. Vor über 225 Jahren ließ er die „schlechten“ Reben durch „gute“ ersetzen und empfahl die Verwendung der Rieslingrebe. Damit steht der einstige Kurfürst von Trier wie kein zweiter für den Siegeszug des Weinbaus an der Mosel – nicht ganz uneigennützig, wie Frau Schulte augenzwinkernd anmerkt: „Mit einer Million Rebstöcken war er der größte Weinbauer der Gegend.“

Winzerarmut an der Mosel

Unter preußischer Herrschaft erlebte die Moselregion als einziges Weinbaugebiet Preußens einen regelrechten Weinboom – der 1834 mit dem Eintritt in den deutschen Zollverein sein jähes Ende fand. Der Wegfall der Schutzzölle und das Ende der Monopolstellung führten zu einem heftigen Preisverfall, der schließlich die berüchtigte Winzerarmut an der Mosel auslöste. Doch selbst dieser Tragödie lässt sich etwas Gutes abgewinnen: Die prägenden Erfahrungen, die der junge Karl Marx in dieser Zeit mit dem menschlichen Elend machte, stärkten seinen Beschluss, sich mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Leider übergeht die Ausstellung dieses explizite politische Moment und widmet den Ereignissen lediglich einen kleinen Absatz auf der Informationstafel – an einem passenden Exponat mangelt es gänzlich. Gleichzeitig offenbaren sich an der Station „Weinbau an der Mosel“ die Stärken einer Exponatauswahl, die auf einer regionalen Sammlung basiert. Auf zahlreichen Moselansichten wird deutlich, wie sehr der Weinbau die Landschaft quer durch die Jahreszeiten prägt. Während die Hänge im Spätsommer schwer an dem üppigen Grün zu tragen haben, bleckt dem Betrachter im Winter kahlrasiertes Niemandsland entgegen.

Trost findet der politisch Interessierte indes bei den Genre-Darstellungen, die gängige Moral- und Sittenvorstellungen der jeweiligen Zeit reflektieren. Der Niederländer David Vinckboom lässt die Moralkeule in dem Gemälde „Dorffest“ aus dem 16. Jahrhundert sinnbildlich aus einem erhöhten (und damit moralisch überlegenen) Blickwinkel auf einen rauschenden Exzess des gemeinen Volkes niederschlagen. Eine zerbrochene Eierschale zeugt von jüngst verlorener Jungfräulichkeit, auch ein Besen ist zu sehen: ein Symbol für Reinlichkeit? Frau Schulte klärt schmunzelnd auf: „Hängt der Besen vorne raus, ist die Herrschaft außer Haus“. Deutlich wird die Doppelmoral der niederländischen Calvinisten auch anhand der Stillleben – der letzten Station der Ausstellung. Die schlichte, obgleich malerisch anspruchsvolle Darstellung von Trauben und anderen Früchten als Zeichen für Fruchtbarkeit und Fülle wird konterkariert durch wertvolle Schalen aus chinesischem Porzellan, die auf den Reichtum des Besitzers hinweisen.

Die Ausstellung beweist, dass sich in der Geschichte des Rebensaftes stets auch gesellschaftliche und politische Zustände widerspiegeln. Der griechische Lyriker Alkaios von Lesbos wäre begeistert, fände er doch hier die gelebte Auslegung seines berühmten Satzes: In vino veritas, im Wein liegt die Wahrheit.

Die Ausstellung „WeinReich. Zeugnisse der Weinkultur im Stadtmuseum“ ist bis zum 17. Februar 2013 geöffnet. Öffnungszeiten des Stadtmuseums Simeonstift: täglich von 10 bis 17 Uhr (außer Montag). Das umfangreiche Begleitprogramm zur Ausstellung ist im Internet unter www.museum-trier.de einsehbar.

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