Theater auf Samtpfoten oder Katzenquälerei?

Wer seine Kindheit in Russland verbracht hat – und das werden nicht viele unserer Leser sein – der wird sich noch lebhaft an die Eskapaden des Clowns Yuri Kuklachev erinnern. Er selbst spielt bei seinen Auftritten jedoch nur eine Nebenrolle, denn auf der Bühne dreht sich alles um die Kunststücke seiner zahlreichen Katzen. Seit den siebziger Jahren tourt er rund um den Globus, das Moskauer Katzentheater hat es mittlerweile zu Weltruhm gebracht. Am 13. März gastiert er mitsamt seinem vierbeinigen Hofstaat in der Europahalle Trier. Doch nicht überall wird die Show gerne gesehen. Tierschützer auf der ganzen Welt sind empört und wittern Tierquälerei.

TRIER/MOSKAU. Der Legende nach soll Jurij Dmitriewitsch Kuklatschow, dessen angelsächsische Schreibweise Yuri Kuklachev sich mittlerweile als Künstlername eingebürgert hat, auf dem Nachhauseweg ein herzzerreißendes Maunzen vernommen haben. Die Suche nach dem Urheber brachte ihn zu einem kleinen Kätzchen. Er beschloss, es zu sich nach Hause zu nehmen und gab ihm den Namen Kutka. Eines Tages – Kutka hatte es sich mittlerweile bei ihm gemütlich gemacht – soll sie, wohl aus Neugier, in einen großen Kochtopf gesprungen sein. Er hob sie heraus, doch Kutka sprang sofort wieder hinein. Wieder nahm er sie raus, und wieder stieg das eigensinnige Tier zurück in den Topf. Die Szenerie wiederholte sich noch einige Male. Da kam Kuklachev die Idee, das Ereignis auf die Bühne zu übertragen. Das Stück „Der Koch und sein Kater“ war geboren. Der Rest ist Geschichte.

Seitdem blicken Generationen von russischen Halbwüchsigen gebannt auf die Mattscheibe, wenn seine Show im Kinderkanal übertragen wird. Die Auftritte der Vierbeiner sind lange im Vorfeld ausverkauft. Im Ausland wurde Kuklachev mit hochkarätigen Auszeichnungen regelrecht überhäuft: Goldener Oskar in Japan, Silberner Clown in Monte Carlo, Goldene Clownskrone in Kanada. Die Nation mit dem Ahornblatt auf der Flagge überreichte ihm sogar eine Auszeichnung als Fürsprecher einer humanen Behandlung von Tieren.

„Katzen fühlen sich alles andere als wohl dabei“

Eine Auszeichnung, die Tierschützern übel aufstoßen muss. „Katzen, die gezwungen werden, im Glitzerkostüm Handstand zu machen, Puppenwägen zu ziehen und mit brennenden Fackeln zu hantieren, fühlen sich alles andere als wohl dabei“, so die offizielle Position der Tierrechtsorganisation PETA Deutschland. Carola Schmitt arbeitet dort als Kampagnenleiterin und zieht gegen das Katzentheater zu Felde. Ihrer Meinung nach liegt im Fall Kuklachev eindeutig Tierquälerei vor. Dies fange schon bei der Dressur der Katzen an: So werde den Katzen mittels eines elektrischen Heizers das Springen beigebracht, behauptet sie. Durch eine Schlinge am Hals, die sich bei jeder Bewegung zuziehe, würden die Katzen dazu gezwungen, still zu sitzen. Die Beweislage für diese Anschuldigungen ist jedoch dürftig und erschöpft sich in mündlichen Vorwürfen russischer Tierschützer sowie Berichten, die im Netz kursieren.

Kuklachev weiß derweil eine völlig andere Sicht auf die Dinge zu erzählen. Nicht er dressiere die Katzen, sondern umgekehrt, erzählt er in einem Interview. Er beobachte sie und fördere dann spielerisch ihre jeweiligen Begabungen. Am Ende werde eine Geschichte um das Spiel herum konstruiert, um es zur Bühnenreife zu bringen. Zwang und Gewalt seien bei Katzen völlig fehl am Platz. Er hat mehrere Bücher zu dem Thema verfasst und gilt als einer der besten Katzenkenner weltweit. Sein Hauptquartier, das Katzentheater im Zentrum Moskaus, wird im Augenblick aus staatlichen Mitteln renoviert. Dort soll ein wahres Katzenparadies entstehen, mit lichtdurchlässigen Glasfassaden und kratzfreundlichem Mobiliar.

Im Kern der Sache geht es also um die Deutungshoheit bei der Frage, ob die eigensinnige Natur der Katzen es überhaupt zulässt, sie nach der Pfeife des Menschen tanzen zu lassen. Die Kritiker sind skeptisch und davon überzeugt, dass das Zähmen einer Katze unmöglich ist. In diesem Punkt stimmen sie mit den Befürwortern überein. Die Geister scheiden sich erst bei der Wahl der Waffen: Die einen vermuten hinter den Kunststücken Zwang und rohe Gewalt, die anderen verweisen auf das Potential von liebevoller Zuneigung und Geduldsspielen.

Bei Katzenliebhabern hinterlassen die Auftritte derweil einen bitteren Nachgeschmack: „Katzen hassen laute Geräusche, Hektik und Stress. Genau das aber müssen die Katzen im Katzentheater jeden Tag ertragen“, so Tierschützerin Schmitt, die selbst mehreren Katzen ein Zuhause bietet. Nach Ansicht der Kritiker könnte Kuklachev sich dabei äußerst fragwürdiger Methoden bedienen, um die Tiere vom Stress des ständigen Rampenlichtes zu befreien. So hätten Besucher verschiedener Vorführungen gemeldet, „dass ein Teil der Katzen sediert wirkte“. Möglich, dass man diese Beobachtungen auch auf die stoische Gelassenheit zurückführen kann, mit welcher Katzen bisweilen ihrer Umwelt begegnen. Auch will die Sache nicht recht zu dem liebevollen Bild passen, das Kuklachev von seiner Beziehung zu den Tieren zeichnet.

Gesetzliche Bestimmungen eingehalten

Die Frage mit der potentiell größten Angriffsfläche, nämlich die nach der artgerechten Haltung der Tiere während der Tourneen, hat in der Vergangenheit allen gesetzlichen Vorgaben des Tierschutzes entsprochen. Das zur Schau stellen von Wirbeltieren erfordert eine Genehmigung der zuständigen Veterinärbehörde, in diesem Fall des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes Dresden. Dieses hat zu prüfen, ob „die für die Tätigkeit dienenden Räume und Einrichtungen eine artgerechte Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere gewährleisten.“ Die vagen Formulierungen lassen dem zuständigen Veterinäramt einen großen Interpretationsspielraum darüber, was unter dem Terminus „artgerecht“ zu verstehen ist. Das für die Stadt Trier zuständige Kreisveterinäramt bestätigt diese Vermutung: „Die rechtlichen Vorgaben werden oft unterschiedlich umgesetzt“, heißt es dort. Fachliche Gutachten und Leitlinien sollen Orientierung bieten, enthalten jedoch ihrerseits kaum konkrete Aussagen. Auch gestalte sich eine laufende Kontrolle bei Betrieben mit ständig wechselndem Standort bisweilen schwierig. Das Veterinäramt Dresden habe jedoch zugesichert, das Gutachten auch den Trierer Kollegen zukommen zu lassen.

Zusätzlich wolle man in der Europahalle eine Vor-Ort-Kontrolle durchzuführen. Dort wartet man ebenfalls auf grünes Licht aus Dresden. Doch die Tatsache, dass Katzen sehr eng mit ihrem Revier verbunden sind und Ortswechsel nur schwer vertragen, wird – allen Bemühungen zum Trotz – überhaupt nicht berücksichtigt. Somit verfängt das moralische Argument der Tierethiker auch unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen. „Ein Tourneebus und Hotelzimmer mag für menschliche Stars spannend sein, für Katzen nicht. Sie verbringen die langen Fahrten in der engen Katzenbox. Diese Form der Unterbringung darf man Tieren nur für die Fahrt zum nächsten Tierarzt zumuten“, heißt es in der PETA-Stellungnahme. Der Bitte, die Haltung der Tiere außerhalb der Show begutachten zu können, habe der Theaterchef eine Absage erteilt.

Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, ob er sich frei von moralischen Bedenken vom artistischen Treiben der Vierbeiner verzaubern lassen kann. Wankelmütige sollten vielleicht lieber das Theater in Moskau besuchen, wo zumindest eine artgerechte Haltung zu erwarten ist. Dabei sollte man tunlichst vermeiden, vom Straßennamen auf das Theater zu schließen. Denn das Theater befindet sich auf dem prestigereichen Kutusow–Prospekt. Auf Deutsch, so lässt sich dem Wörterbuch entnehmen, bedeutet Kutuska so viel wie „Kittchen“.

Das Moskauer Katzentheater wird am 13.03.2012 um 18:30 Uhr in der Europahalle Trier am Viehmarktplatz aufspielen. Weitere Infos sowie Tickets unter www.katzentheater.de.

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