Studieren, wo andere Urlaub machen

Eine sogenannte Landing-Page ist jetzt online gegangen, die potentiellen Neuzugängen der Studierendenschaft in Trier als Einstiegs- und Orientierungshilfe dienen soll. Das Projekt basiert auf einem Wettbewerb, den Studierendenwerk, Universität, Fachhochschule und die Stadt Trier gemeinsam ausgerufen hatten. Unter www.studier-in-trier.de können Interessierte künftig fast alle relevanten Infos über das Leben in der Moselmetropole abrufen. Fast alle, denn eine essenzielle Entscheidungshilfe fehlt: Informationen über das Trierer Nachtleben sucht man – zum Leidwesen der gerade flügge gewordenen Adoleszenz – vergebens.

TRIER. Als er 1974 an seinem zukünftigen Studienort eingetroffen sei, damals noch ganz selbstverständlich begleitet von der Mutter, habe er von der Stadt lediglich einen Stadtplan zur Orientierung bekommen, erzählt Dr. Hans-Günther Lanfer, Chef des Presseamts der Stadt Trier und Mitinitiator des Wettbewerbs. Heutzutage sei das anders. Die Studierenden würden völlig andere Kommunikationswege nutzen und viel auf Social Media setzen. Aus diesem Grund sei die Einrichtung der Internetseite zwar wichtig, gleichzeitig könne sie persönliche Kontakte vor Ort niemals ersetzen.

Ziel sei es, Trier für künftige Erstsemester interessant zu machen, erklärt der Kanzler der Universität Trier, Dr. Klaus Hembach, die Intention der neuen Homepage. Für den griffigen Namen der Internetseite habe man sich Inspiration aus vergangenen Zeiten geholt, ergänzt Andreas Wagner, Geschäftsführer des Studierendenwerks. „Studier in Trier“ basiere auf einer (zu jener Zeit sicherlich noch nicht so bezeichneten) Catchphrase von 1921. Damals seien die Vorzüge der alten Römerstadt unter dem Motto „lass raten dir, besuche Trier“ beworben worden.

Jonas Plum, Informatikstudent an der FH-Trier und Mastermind hinter der preisgekrönten Internetseite, ist der lebende Beweis dafür, dass man die persönliche Einschätzung vor Ort nicht unterschätzen darf. Lakonisch stellt der gebürtige Mönchengladbacher seine Beweggründe für den Umzug in die älteste Stadt Deutschlands dar: Er habe während eines Besuches in Trier das Altstadtfest bei gutem Wetter genießen dürfen. Das habe ihn überzeugt.

Doch nicht alle Studis können vor der endgültigen Entscheidung Felderfahrung sammeln und sind auf die Spatzen angewiesen, die fleißig von den virtuellen Dächern der Social Media-Netzwerke pfeifen, dass Weltoffenheit und Freundlichkeit nicht gerade zu den Primärtugenden der Trierer Ureinwohner gehören. Man brauchte Kanonen, um auf diese Spatzen zu schießen; eine einzelne Website wird gegen die hartnäckigen Vorurteile wenig ausrichten, zumal die gängigen Suchmaschinen Hürden technischer Natur bereithalten: Unter der naheliegenden Eingabe „Studieren in Trier“ kämpfte sich der Autor auf der Suche nach der neuen Website tapfer durch die ersten 100 Suchergebnisse, dann gab er auf. Bildlich gesprochen ist die Landing-Page also eher eine Bruchpiste irgendwo in der Pampa.

Vor einem halben Jahr hat Jonas, angehender Experte für digitale Medien und Spiele, mit dem Erstellen der Website begonnen und landete mit seinem Konzept einen Volltreffer bei der Jury, die ihm einhellig den obersten Platz auf dem Siegertreppchen überließ. Andere Konzepte seien entweder zu simpel oder zu professionell und designlastig gewesen, begründen die Verantwortlichen ihre Entscheidung. „Dann hätte man ja auch gleich eine Agentur mit der Sache beauftragen können.“

In der Tat kann sich das Ergebnis sehen lassen: Die Seite wirkt sehr puristisch und überzeugt mit selbsterklärenden und farbenfreudigen Buttons, die übersichtlich angeordnet sind und bei Bedarf nach dem Baukastenprinzip erweitert werden können. Inhaltlich habe man sich auf das Nötigste beschränkt, schließlich wolle man lediglich auf weiterführende Seiten verweisen, erklärt Wagner. Besonders praktisch: Das Angebot ist auch in einer mobilen Version für Besitzer eines Smartphones verfügbar.

Kritik gibt es dann doch: So werde die Website bis auf weiteres nur auf Deutsch verfügbar sein. Begründung: Nicht jede verlinkte Seite gebe es auch als englischsprachige Version. Ein Wermutstropfen, denn gerade für ausländische Studierende könnte sich eine Landing-Page als extrem hilfreich erweisen. Auch spielt die Konzentration auf die Sprache der Dichter und Denker einem weiteren Vorurteil über Trier in die Hände: Der durch die aussichtslose Lage am Rande der Bundesrepublik bedingten Rückständigkeit und Provinzialität.

Dabei wird jedoch gerne übersehen, dass Trier, sobald man einmal die nationalstaatlich geprägten Scheuklappen ablegt, mitten im Zentrum der pulsierenden Quattropole-Metropolregion liegt. Eine Umfrage im Auftrag des Studierendenwerks Trier unter 1111 Studierenden, die nach den Gründen für ein Studium in Trier fragt, hat gezeigt, dass der Punkt „Grenznähe zu Luxembourg und Frankreich“ immerhin an sechster Stelle auftaucht.

Auf der Website fehlt der Verweis auf die Lage im Herzen Europas jedoch völlig. Gerade angehenden Studierenden der Fachhochschule sollte man diese Qualitäten nicht vorenthalten, schließlich – so wirft Professor Axel Kihm, der Vizepräsident der FH, ein – werden zwei Drittel von ihnen später beruflich in jener Region tätig.

Überhaupt scheint es, als ob eine leichte Diskrepanz zwischen dem hochgesteckten Ziel und dem tatsächlichen Ergebnis herrsche. So ist die Website eine graphisch ansprechende Ansammlung nützlicher Informationen – nicht mehr und nicht weniger. Neue Studenten wird sie wohl kaum anlocken. Dafür sind die Infos zu sensationsarm. Beispielsweise dürfte der Verweis auf die 2000-Jährige Geschichte der Stadt höchstens Archäologiebegeisterte hinter dem Ofen hervorlocken; dem Rest fallen die zahlreichen Überreste einst monumentaler Römerbauten nach ein paar Tagen nicht mehr auf. Der Umfrage lässt sich auch entnehmen, dass vor allem das Fächerangebot an der Universität beziehungsweise FH ausschlaggebend für die Standortwahl ist, gefolgt von den Lebenshaltungskosten.

Ebenfalls als wichtig werden der Ruf der Hochschule und die Studienbedingungen auf dem Campus erachtet. Um in der Unternehmenssprache zu bleiben: Diese harten Standortfaktoren sind das Rückgrat der Entscheidung für oder gegen Trier; es ist schwer, werbewirksam daran zu rütteln.

In einem zweiten Zug entscheidet sich das Wohl und Wehe eines Studienortes dann an den weichen Standortfaktoren. Und hier wurde ganz klar versäumt, die abendlichen Vorzüge der Stadt unter einer Rubrik „Nachtleben“ zu integrieren: Hohe Kneipendichte, alternative Clubszene mit Club-Mate-Verwöhnaroma, Hardcore-Konzerte im Exhaus, lauschige Sommerabende im Palastgarten. Für viele Erstsemester sind das die wichtigen Dinge im Leben. Immerhin: Man denke darüber nach, die zahlreichen Kneipen und Biergärten in Trier in den digitalen Stadtplan zu integrieren, den man ebenfalls auf der Website findet. Damit wird die Landung – oder vielmehr der Absturz – in Trier wahrscheinlicher.

Hinweis: Anders als von uns zunächst berichtet, nahm nicht Herr Wagner, sondern Herr Dr. Lanfer 1974 sein Studium auf. Herr Wagner (Jahrgang 1967) besuchte seinerzeit die Grundschule.

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