Schon vor Schlusspfiff abgeschrieben

Auch das gibt es wahrscheinlich nur bei Eintracht Trier. Der Verein von der Mosel ist wohl der einzige Fußballklub der Republik, der die eigene Niederlage schon vor dem Abpfiff des Schiedsrichters verkündet. Als die Mannschaft von Trainer Roland Seitz am Freitagabend gegen den Titelkandidaten Sportfreunde Lotte noch um den Ausgleich kämpfte, stand auf der Internetseite des Klubs bereits zu lesen: „Knappe Niederlage zum Abschluss.“ 20.41 Uhr – da waren noch rund fünf Minuten zu spielen. Vielleicht wären die Spieler einfach nach Hause gegangen, hätten sie gewusst, dass man sie im letzten Saisonspiel schon vor dem Schlusspfiff abgeschrieben hatte. So mühten sie sich vor offiziell 1087 Zuschauern weiter – trotz der unschönen Szenen zu Beginn, als Zuschauer den Platz stürmten und sie attackieren wollten. Am Ende verloren sie tatsächlich mit 0:1 (0:1) Toren.

TRIER. Es hätte alles gepasst – wie in einem preisgekrönten Drehbuch. Heute auf den Tag genau vor zehn Jahren stieg Eintracht Trier durch einen 2:1-Erfolg in Hoffenheim in die zweite Liga auf. Das Spiel gegen die Sportfreunde aus dem Tecklenburger Land sollte zugleich Abschluss und Höhepunkt einer historischen Saison werden. Sollte. Der Konjunktiv diktiert die Gegenwart. Der vermeintlich schärfste Konkurrent im Titelkampf hätte besiegt, die Rückkehr auf die große Fußballbühne, wo Kameras die Spiele digital aufzeichnen, hätte klar gemacht werden sollen. Hätte. Alles Konjunktiv.

Trier habe die stärkste Mannschaft der Liga, die besten Einzelspieler, die größte Erfahrung, urteilten Experten und Trainer der Liga im August. Auch noch im September. Und sogar noch, als der Winter Einzug hielt. Lotte galt es auf Distanz zu halten. Die Sportfreunde waren als härtester Widersacher ausgemacht. So prognostizierte auch Trainer Seitz, der von Anfang an kein anderes Ziel als den Aufstieg ausgegeben hatte. Vorstandssprecher Ernst Wilhelmi wollte davon am Donnerstag nichts wissen. Doch die Fakten bleiben unwidersprochen. Torge Hollmann hingegen sprach von der fehlenden Qualität. „Ja, die hat uns über die gesamte Saison gesehen einfach gefehlt, um eben ganz oben dabei zu bleiben“, sagte Triers Kapitän.

Die Spielzeit war für den ehemaligen Titelfavoriten von der Mosel allerdings schon vor dem Aufeinandertreffen mit dem vermeintlich schärfsten Konkurrenten beerdigt. Da fiel es auch nicht ins Gewicht, dass einige Anhänger den Trierer Spielern schon beim Aufwärmen an den Kragen wollten. Sie überstiegen den Zaun und stürmten auf jene Männer zu, die gestern noch ihre Helden waren, heute aber ihre Feindbilder sind. Ordnungsdienste und Polizei waren gut zu Fuß, der Spuk nach ein paar Sekunden beendet. Die Spieler selbst reagierten gelassen. Hollmann war dennoch entsetzt. „So etwas hat niemand verdient, dass er dermaßen angegangen wird. Das Maß ist inzwischen einfach voll.“

Es spielte auch keine Rolle mehr, dass Aleksandar Kotuljac schon nach 18 Minuten das 1:0 für die Sportfreunde gelang. Sehenswert hatte der Lotter sich den Ball mit der Hacke selbst vorgelegt. Andreas Lengsfeld, der anstelle von André Poggenborg im Trierer Tor stand, war beim satten Schuss Kotuljacs aus 18 Metern chancenlos. Poggenborg, der den Verein ebenso wie Thomas Drescher verlässt, war noch nicht einmal im Kader. Kurz vor dem Lotter Führungstreffer hatte Michael Dingels schon für den bereits geschlagenen Lengsfeld auf der Linie gerettet (13.). Auch da hatte Kotuljac geschossen.

Apropos Dingels: Das Urgestein des SVE war einer jener Spieler, die nicht mit Pfiffen bedacht wurden, als die Mannschaften den Platz betraten. Hollmann gehörte noch dazu, Chhunly Pagenburg, Fabian Zittlau und auch Torwart Lengsfeld. Das längliche Spruchband “Versager” am Zaun der Gegengeraden unterstrich die grenzenlose Enttäuschung der Trierer Anhänger. Die hatte sich nach dem kläglichen Ausscheiden im Rheinlandpokal am vergangenen Dienstag gegen den Sechstligisten TuS Mayen noch einmal potenziert.

Alle bekamen ihr Fett ab – auf den weißen Tafeln, die zusätzlich hochgehalten wurden: Spieler, der Vorstand um Sprecher Wilhelmi und nicht zuletzt Geschäftsstellenleiter Dirk Jacobs. Einen offiziellen Abschied für jene Spieler, die den Klub nach der Saison sicher verlassen werden, gab es übrigens nicht. Das gehört bei allen Vereinen zum guten Ton. Nicht so bei Eintracht Trier. Aber wie bei der Vorabmeldung zur Niederlage ist beim Klub von der Mosel vieles anders. Die teils persönlichen Angriffe auf Kollegen aus dem Umfeld des Vereins machten Hollmann zornig: „Auch das hat keiner der Spieler verdient. Alle haben hier ihr Bestes gegeben.“

Als Lotte durch Kotuljac traf, herrschte Ruhe. Grabesstille zum Ausklang einer Saison, die furios begann, triumphal hätte enden sollen und ob der Gesamtrechnung unter dem Strich in Fassungslosigkeit mündete. Keine einzige Regung unter den vielleicht 600 tatsächlich anwesenden Zuschauern. Nur das kleine Häufchen der Lotter im Gästeblock machte sich lautstark bemerkbar. Insgesamt hatten wohl rund 100 Tecklenburger den Weg an die Mosel gefunden – sie verteilten sich auf den Stehplätzen und der Tribüne und feierten ihre Mannschaft.

Die war in einem schwachen Fußballspiel überlegen. Ohne Esprit zu versprühen, kontrollierte die Elf von Trainer Maik Walpurgis die Szene. Die Sportfreunde zeigten das, was sie seit jeher auszeichnet: Robustheit im körperbetonten Spiel, hohe Laufbereitschaft, harmonische Abstimmung zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen. Lotte glänzt weniger durch seine Einzelspieler, als vielmehr im Kollektiv. Diese Stärke ist es, die den VfL bis zum letzten Spieltag auf den Sprung in die dritte Liga hoffen lässt. So konnte Walpurgis sich hernach auf „ein Finale am letzten Spieltag“ freuen. „Es ist schön, dass wir dieses Endspiel nächste Woche zu Hause in Lotte haben.“

Triers Spielern muss attestiert werden, dass sie sich trotz des für sie bedeutungslosen Spiels nicht hängen ließen. Selbst jene nicht, für die es der definitiv letzte Arbeitstag im Moselstadion war. Mitte der zweiten Halbzeit zeigte die Mannschaft sogar noch einmal, zu was sie in der Lage sein kann. Lotte hatte große Mühe, sich vom steten Druck der Eintracht zu befreien. Aggressiv bearbeiteten die Trierer den Deckungsverbund der Tecklenburger. Die Eintracht hätte den Ausgleich verdient gehabt. Das Tor zum Abschluss aber wollte nicht fallen. Konjunktive zählen eben nicht.

Roland Seitz war trotz der Niederlage zufrieden. „Weil es ja sicher nicht selbstverständlich ist nach dem Nackenschlag im Pokal, dass die Mannschaft drei Tage später noch einmal alles versucht. Von daher ist ihr kein Vorwurf zu machen.“ Auch die Saisonbilanz fiel beim Trierer Trainer positiv aus. „Wir haben 64 Punkte erreicht und zwei Highlights gegen St. Pauli und den HSV abgeliefert. Ich denke, das kann sich durchaus sehen lassen.“

Eintracht Trier: Lengsfeld – Dingels (ab 62. Mvondo), Herzig, Stang, Zittlau – Hollmann – Kraus (ab 83. Asma), Abelski, Kuduzovic (ab 46. Anton) – Kulabas, Pagenburg.

VfL Sportfreunde Lotte: Buchholz – Wiwerink, Gataric (ab 83. Czyszczon), Gorschlüter, Loose (ab 73. Liesenfeld) – Grineisen – Wingerter, Hohnstedt, Engelmann, Zinke – Kotuljac (ab 75. Lorenz).

Tor: 0:1 Kotuljac (18.)

Schiedsrichter: Florian Steinberg (Korntal-Münchingen)

Zuschauer: 1087

Weitere Fotos zum letzten Saisonspiel von Eintracht Trier

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