Protest mit Postkarten

Mit einer Postkartenaktion will der Fachschaftsrat Pädagogik öffentlichkeitswirksam gegen die Studienbedingungen im eigenen Fach protestieren. Die Studierenden kritisieren überfüllte Seminare, schlechte Betreuungsquoten und die Arbeitsbedingungen für die Angestellten des Fachs. Ihre Forderung: Mehr Personal. Universitätspräsident Jäckel erteilt solchen Wünschen eine Absage und plädiert für eine generelle Umstrukturierung des Faches: „Wir müssen überlegen, ob wir bestimmte Inhalte nicht auch in Vorlesungen vermitteln können.“ Zusätzliches Personal, geschweige denn Professoren, seien „nicht finanzierbar“.

TRIER. Wo am Mittwochmorgen die Vorlesung „Berufliche Kompetenzentwicklung“ stattfinden sollte, wird der Protest vorgestellt. Sebastian Singer, Pädagogik-Student und Fachschaftsratmitglied, erzählt seinen Kommilitonen vermutlich nichts Neues, wenn er aufzählt, an welchen Stellen es in der Erziehungswissenschaft hapert: schlechte Betreuungsrelation, zu wenig Personal, zu große Seminare. Glaubt man den Zahlen, wissen viele im Raum, was es heißt, sein Studium nicht nach Interesse, sondern nach verfügbaren Plätzen auszurichten, mehrere Stunden auf eine Sprechstunde zu warten und unzureichend auf Prüfungen vorbereitet zu werden.

„Unser Ziel ist eine bessere Betreuungsquote, damit sowohl Studierende als auch Lehrende besser arbeiten können“, sagt Singer. „Die jetzigen Bedingungen sind alles andere als optimal.“ Professorin Rita Meyer, die den Initiatoren der Aktion das Podium überlassen hat, schließt sich dem an und appelliert an ihre Vorlesungsteilnehmer, gegen die aktuellen Studienbedingungen aktiv zu werden: „Auch wenn es Ihnen persönlich nichts mehr nützt – die kommenden Generationen werden es Ihnen danken.“

Wie kaum ein zweites Fach an der Universität Trier ächzt die Erziehungswissenschaft unter der Überlastung durch personelle Unterversorgung. Auf einen Dozenten kommen hier offiziell 49 Studierende; nur in der Politikwissenschaft ist das Betreuungsverhältnis noch schlechter. In Wirklichkeit ist aber davon auszugehen, dass das Betreuungsverhältnis in der Pädagogik sogar trauriger Spitzenreiter ist – denn den Rechenweg, auf dem die genannte Zahl zu Stande kommt, nennen manche eine geschickte Trickserei: Unter dem Dach der Pädagogik wird neben der Erziehungswissenschaft auch die Bildungswissenschaft geführt, in der ausschließlich Lehramtsstudenten ausgebildet werden. Zwei Fächer, die im Lehrbetrieb keine Berührungspunkte haben, werden zusammengeworfen, wenn es um die Berechnung der Betreuungsquote geht – „geschönte Zahlen“ nennt das der Fachschaftsrat.

Ganz konkret kann man diese abstrakte Zahl in den Belegungszahlen der Seminare beobachten. 2005 gab die Hochschulrektorenkonferenz eine Empfehlung zur Qualitätssicherung in den BA/MA-Studiengängen heraus: In einem Seminar sollten demnach maximal 30 Teilnehmer sitzen. Die Trierer Pädagogik konnte diese Richtlinie im Sommersemester 2011 in gerade einmal 36 Prozent aller angebotenen Seminare erfüllen – bei rund einem Drittel drängten sich sogar über hundert Teilnehmer auf der Liste.

Die Ausstattung der Universität ist auch mit den zusätzlichen Räumen (in Seminargröße) im Neubau nicht hinreichend für solche Teilnehmerzahlen präpariert. Eine Situation, die an den Nerven von Studierenden und Dozenten gleichermaßen zehrt. „Unser Protest richtet sich nicht nur gegen die widrigen Bedingungen in der Lehre, sondern auch gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen für die Angestellten des Faches“, erklärt Bianca Helbig, ebenfalls Mitglied des Fachschaftsrates, und hat dabei nicht nur Professoren und Mittelbau, sondern auch Sekretariats- und Verwaltungskräfte im Blick.

Um konstruktiv an einer Verbesserung der Lage zu arbeiten, wurde im April dieses Jahres erstmals ein Runder Tisch einberufen. Der Fachschaftsrat wollte damit die betroffenen Parteien – von den Studierenden bis zur Universitätsleitung – in Gesprächen zusammenbringen, „um den gordischen Knoten endlich zu zerschlagen“, wie Singer es beschreibt. Getroffen hat man sich seitdem zwei Mal, passiert ist wenig. Ende November steht die dritte Auflage an, in deren Vorfeld soll nun die Postkartenaktion für studentischen Rückhalt und öffentlichen Druck sorgen.

4000 Postkarten wurden gedruckt, auf denen in vier verschiedenen Motiven Missstände in Betreuung und Lehre karikiert werden – auf der Rückseite werden die Kommilitonen aufgefordert, die unterschriebene Erklärung wahlweise an das Dekanat des Fachbereichs I oder direkt an Universitätspräsident Professor Michael Jäckel zu versenden. Mit dieser Maßnahme sollen die Verantwortlichen an „ihre Fürsorgepflicht als Arbeitgeber und Ausbilder“ erinnert werden, so die erklärte Absicht. Ob diese sich von dem Postsegen sonderlich beeindruckt zeigen werden, ist fraglich. „Ich kenne die Probleme des Faches Pädagogik“, sagt Jäckel, der an beiden Runden Tischen mitdiskutierte, bevor er sein Amt als Präsident antrat. „Aber was gegenwärtig realisierbar ist, wurde bereits realisiert.“ Konkret bedeutet das: Für das laufende Wintersemester wurden im Fach zwei Mitarbeiterstellen um jeweils 25 Prozent und eine halbe Sekretariatsstelle zeitlich begrenzt bis nächstes Jahr im September aufgestockt. Zusätzlich bieten Studierende höheren Semesters Tutorien für Erstsemester an, um den überdurchschnittlich hohen Durchfallquoten bei den Massenklausuren entgegenzuwirken.

Nicht nur für Professor Rita Meyer sind das „kurzfristige Maßnahmen, die an der chronischen Unterversorgung des Faches nichts ändern“. Auch der Fachschaftsrat signalisiert, dass er langfristige Lösungen in Form von mehr Personal erwartet. Eine Hoffnung, der Jäckel eine recht klare Absage erteilt. „An der Universität Trier gibt es derzeit keine freien Stellen“, erklärt er. Überzogene Erwartungen müsse er schon jetzt klar und deutlich zurückweisen, ohne den Gesprächen des nächsten Runden Tisches etwas vorwegnehmen zu wollen: Ein personelle Entlastung der Pädagogik in ihrem jetzigen Zustand sei „nicht finanzierbar“.

Stattdessen schlägt er vor, die „kleinteilige Organisation“ einiger Bereiche strukturell zu reformieren. Das heißt: Betreuungsintensive Maßnahmen zu Studienbeginn sollen reduziert werden, um dort stärker auf die Lehrform der Vorlesung zurückzugreifen. Den zeitlichen Rahmen für Seminare sieht der Soziologe eher gegen Ende des Studienverlaufs. An einer „ernsthaften Strukturdebatte“ führt für ihn in den weiteren Verhandlungen kein Weg vorbei. „Die Lehrsituation in der Pädagogik ist ein Dilemma, aus dem ein paar zusätzliche Professuren nicht heraushelfen würden“, ist er überzeugt.

Für die Lehrenden dürfte diese Argumentation ins Leere laufen: Bereits jetzt halten sie ein Drittel ihrer Seminare mit Teilnehmerzahlen ab, die denen von Vorlesungen in nichts nachstehen. „Nur weil eine Veranstaltung im Modulhandbuch als ‚Seminar‘ betitelt wird, heißt das nicht, dass man sich darunter eine intensive Kleingruppenbetreuung vorstellen kann“, sagt Na Young Shin, die in diesem Semester ein Seminar mit 150 Teilnehmern abhält und damit einen ganzen Hörsaal füllt. An der eigentlichen Betreuungssituation würde die angedachte Strukturreform aber nichts ändern, glaubt die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die davon überzeugt ist, dass ‚ein paar Professoren mehr‘ durchaus ein Ausweg wären: „Bei uns würde niemand an der Lösungskraft dieses Vorschlags zweifeln.“

Auch im Fachschaftsrat zeichnet sich langsam, aber sicher ein Ende der Geduld ab. Als Frist für eine langfristig verbesserte personelle Ausstattung haben sie März 2012 gesetzt – dann steht die Re-Akkreditierung des Studiengangs an. Sollten bis dahin keine Verbesserungen eingeleitet worden sein, werde man die Akkreditierungsagentur wissen lassen, dass die Beschreibung des Studiengangs zwar ein sehr schönes Papier sei, aber wenig mit der Realität zu tun habe, so Sebastian Singer.

Weitere Informationen: „Wir sind hier mittlerweile ziemlich frustriert“

 

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