New Kiez in the Block
Autos rasten viel zu schnell durch ihren Bezirk, der Lärm heulender Motoren sei tagsüber nervig und störe nachts. Und überhaupt, man könne auch nicht lange genug parken: Um nicht nur diese Missstände zu beheben, sind vor einem Dreivierteljahr Ladenbesitzer und Gastronomen aus acht angrenzenden Straßen sowie dem Augustinerhof wieder aktiv geworden. Den Bezirk, den sie nicht nur sicherer, sondern auch attraktiver gestalten wollen, nennen sie seit März „Karl-Marx-Viertel“. Im Gespräch mit Oberbürgermeister Klaus Jensen haben die etwa 15 Aktiven vergangene Woche einen ersten Teilerfolg errungen.
TRIER. „Und das ist nur einer von zweien.“ Energisch zieht Brigitte Biertz den Ordner aus der Tasche und lässt ihn auf den Tisch fallen. „Parken“ steht auf einem der Trennblätter, „30km/h Zone“ auf einem anderen. Dahinter folgen Gesprächsprotokolle, erst mit Hand notiert, dann abgetippt, kopierte Unterschriftenlisten, Zeitungsartikel, ausgeschnitten und gefaltet. Es ist seitenweise Frust im Din-A4-Format, den die Besitzerin des Biofachbedarfs weggeheftet hat. Vorne auf dem Ordner prangen drei rote, geschlungene Großbuchstaben: KMV.
„KMV“ steht für „Karl-Marx-Viertel“. Es umschließt die Karl-Marx-, Brücken-, Jüdemer-, Antonius-, Lorenz-Kellner-, Wall-, Bollwerk- und Feldstraße sowie den Augustinerhof. Die gleichnamige Interessengemeinschaft (IG) ist vor einem Dreivierteljahr wieder aktiv geworden, um den Bezirk sicherer und attraktiver zu machen. Seit März dieses Jahres nennen sie die Gegend „Karl-Marx-Viertel“. Derzeit sind es rund 15 Aktive, 90 Interessierte erhalten Mails über den Verteiler. Geht es nach Biertz, sind es nicht nur bald mehr Mitstreiter: „Um uns besser Gehör zu verschaffen, arbeiten wir daran, ein Verein zu werden.“
Drei Punkte liegen der IG besonders am Herzen: der Wegfall der Sondernutzungsgebühr, die Verlängerung der Parkdauer und die sofortige Umsetzung einer Tempo-30-Zone in der Karl-Marx-, Jüdemer- und Brückenstraße.
Laut Gebührentarifordnung der Stadt – Biertz blättert zielsicher in ihrem Ordner – kostet ein Schaukasten, ein Werbeschild oder der Postkartenständer vor der Tür einen Ladenbesitzer in der Fleisch- oder Brotstraße monatlich elf Euro je Quadratmeter. Zone 2. In der Karl-Marx- oder Brückenstraße – Zone 3 – zahlen die Geschäftsführer monatlich 7,40 Euro für den Quadratmeter. „Das ist unverhältnismäßig hoch“, empören sich alle am Tisch, bedenke man, wie wenige Leute sich im Vergleich bis in ihr Viertel „verliefen“. Deshalb fordern sie einen kompletten Wegfall dieser Gebühren in ihrem Bezirk. Wenn das nicht funktioniert, dann möchte die IG zumindest durchsetzen, dass das Geld für Gemeinschaftsanschaffungen wie Blumenkübel oder Bänke genutzt wird. Das würde die Straßen enorm aufwerten, sagt Regine Ebel aus der Buchhandlung „Ile de Re“, und käme letztlich nicht nur den Bewohnern zugute.
Ein weiteres Anliegen ist die Verlängerung der Parkdauer – seit dreieinhalb Jahren sind maximal 30 Minuten möglich. Das genüge Handwerkern oder Ärzten nicht, um zu beraten oder zu behandeln. Es folgte Petition um Petition, Krisengespräch auf Beschwerdebrief. Bisher ohne nennenswerten Erfolg. „Wir bleiben hartnäckig“, sagt Biertz.
Fast eineinhalb Stunden haben sie vergangene Woche mit Oberbürgermeister Klaus Jensen, Wirtschaftsdezernent Thomas Egger und Tanja Gotthard von der Abteilung Wirtschaftsförderung der Stadtverwaltung diskutiert und verhandelt. Zwei Mal habe Jensen den Namen „Karl-Marx-Viertel“ während des Gesprächs erwähnt, sagt Biertz. „Drei Mal“, verbessert Ralf Dotzel, Inhaber eines Schmuckgeschäftes. Alle strahlen.
Auch der Ausgang des Abends gibt Grund zur Freude: Für die Einführung einer Tempo-30-Zone in der Karl-Marx-, Jüdemer- und Brückenstraße hat die IG die Zusage von Jensen erhalten. Im Mai sollen die Straßen verkehrsberuhigt und somit sicherer werden. Die zuständigen Gremien hätten bereits abgenickt, nun warteten sie nur noch auf die Zustimmung der Verkehrbetriebe. „Wir glauben daran, dass sich in ein paar Wochen etwas tut“, sagt Ebel. Dann müsse nur noch darauf geachtet werden, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auch eingehalten wird. Aber auch hierfür kennen die Mitglieder der IG eine Lösung: Die Mehrarbeit, die die Polizei nicht schafft, könne beispielsweise das Ordnungsamt übernehmen.
„Wir sind nicht nur dagegen“, erklärt Dotzel. Es ginge ihnen auch darum, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen zwischen den Besitzern der inhabergeführten Geschäfte, der Arztpraxen und Cafés und der Anwohner, zwischen Alteingesessenen und kürzlich Zugezogenen. Und natürlich soll das Viertel auch für alle anderen Trierer wie Touristen einladend sein: „Identifikation“ und „Willkommenskultur“, die beiden Begriffe fliegen an diesem Abend wie Pingpongbälle über den Tisch.
Damit diese Wörter nicht nur leere Versprechen bleiben, investieren die Ladenbesitzer und Gastronomen wöchentlich rund 20 Stunden Freizeit, um zu diskutieren und zu planen. Nachbarschaftshilfe etwa, die sei im Viertel schon immer selbstverständlich – schließlich kenne man sich ja. Wie kürzlich. In der Mittagspause, sagt Biertz, habe der Lieferdienst einem Kollegen drei sperrige Pakete bringen wollen, der sei aber zum Zeitpunkt der Lieferung nicht im Laden gewesen. Also habe sie die Post kurzerhand angenommen: „Hier wird nichts zurückgeschickt.“ Wie zum Beweis sind Zusteller und Pakete fotografiert und ins Internet gestellt worden. Das Karl-Marx-Viertel hat seit fast zwei Wochen nämlich eine eigene Facebook-Seite. 60 Leuten gefällt das bisher.
von Gianna Niewel