„Nein, ich habe Helmut Kohl nicht beraten“

Es gibt viele Möglichkeiten, den Ruf eines Wissenschaftlers empirisch zu messen. Ein Indikator hat sich im Untersuchungszeitraum als besonders valide erwiesen: die Häufigkeit, mit welcher der für gewöhnlich unbesetzte Begriff „Universität Trier“ von Politikstudenten bewundernd mit dem Namen Hanns Maull verbunden wird – auf WG-Partys und in Seminarräumen von Freiburg bis Kiel. Nach mehr als 20 Jahren auf dem Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Außenpolitik der hiesigen Hochschule geht der Experte für deutsche Außenpolitik nach dem Wintersemester in den Ruhestand. Im Gespräch mit 16vor verrät der Zweitgutachter von Max Otte, weshalb Kopiergerät und Internet nicht zwangsläufig das Ende des humboldtschen Bildungsideals bedeuten, weshalb er Trier treu blieb und Angebote anderer Hochschulen ausschlug, und worin die Schwierigkeiten liegen, Politiker zu beraten.

16vor: Herr Professor Maull, Ihre Studentenzeit liegt nun mehr als 40 Jahre zurück. Wenn Sie Ihre eigene mit der heutigen Hochschulgeneration vergleichen – welche Unterschiede stechen Ihnen besonders ins Auge?

Hanns Maull: Ich habe in einer Zeit studiert, die sehr stark geprägt war durch die 68er-Generation. Für uns Studierende hat dies zunächst einmal einen Zuwachs an Freiheit bedeutet – mit positiven und negativen Folgen. Wir konnten sehr viel stärker selbst bestimmen, was uns interessiert, uns in die Materie vertiefen und unsere Neugierde befriedigen. Auf der anderen Seite war das alles richtungsloser, unbestimmter. Ich hatte bis zu einer späten Phase des Studiums keine Vorstellung davon, ob ich ein guter oder ein schlechter Student war. Mit der „Einheits-Zwei“ konnte man nicht so viel anfangen.

Daneben sehe ich erhebliche Unterschiede bei der Art und Weise, wie man als Student arbeitet. Damals mussten wir die Kopien für Hand-Outs mit der Matrize anfertigen, Kopiergeräte gab es noch keine. Die technischen Rahmenbedingungen und das Umfeld, in dem man arbeitet, bringen stets auch ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hervor.

16vor: Wie bewerten Sie dann den Umgang der heutigen Studierenden mit dem Lernstoff vor dem Hintergrund neuer Informationstechnologien?

Maull: Ich glaube, dass die damalige Form, zu studieren und wissenschaftlich zu arbeiten, begünstigt wurde durch die Sperrigkeit der Medien. Ich habe auch den Eindruck, dass der Umgang der Studierenden mit der Materie häufig oberflächlicher geworden ist – auch wenn dies natürlich nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Wenn man sich der Wirkung der Medien bewusst ist, kann man dieser auch entgegentreten.

16vor: Das Jahr 1968 steht für eine hochpolitische Zeit. Auch das Ende des Kalten Krieges wurde heiß diskutiert. Obwohl die Gegenwart ebenso ereignisreich ist – zum Beispiel die Bankenrettungskrise und politische Umbrüche in der arabischen Welt – scheint sich kaum noch jemand so intensiv für Politik zu interessieren wie früher.

Maull: Das wundert mich ebenfalls. Ich stimme zu, dass die heutige Zeit sehr politisch ist, jedoch auf eine andere Art und Weise als früher. In der Zeit nach 1968 herrschte ein völlig unhinterfragtes Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik. Die Vorstellung war: Wer sich engagiert, kann viel erreichen. Heute zeichnet sich die Politik eher durch die Abwesenheit von Entscheidungen aus – was letztlich auch eine politische Entscheidung sein kann. Dadurch kommen die Grenzen der Gestaltungsfähigkeit viel deutlicher zum Vorschein.

16vor: Wie ist es um die Chancen der heutigen Politikabsolventen auf dem Arbeitsmarkt bestellt, die in den Medien sehr düster gezeichnet werden?

Maull: Da wage ich kein Urteil. Ich wage jedoch zu behaupten, dass die Umstellung auf Bachelor und Master keine besonders gute Reform darstellt. Bei den Studierenden habe ich den Eindruck, dass der Unterschied zwischen den besten und den schlechtesten größer geworden ist.

16vor: Ist das der Grund dafür, dass sich die Trierer Politikwissenschaft Gerüchten zufolge zukünftig verstärkt der praxisorientierten Beratung widmen wird?

Maull: Da ist noch nichts geklärt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist folgender: Wie wollen wir das Fach Politikwissenschaft in Zukunft gestalten? Unsere bisherige Vorstellung der Masterausbildung hat sich als nicht besonders erfolgreich erwiesen. Parallel dazu läuft ein zweiter Reformprozess. Dabei geht es um die Frage, welche Konsequenzen die erzwungenen Einsparungen an der Universität für das Fach Politikwissenschaft haben können.

16vor: Es wird also gerade darüber diskutiert, bei welchen Teilbereichen man den Rotstift ansetzen kann?

Maull: Die jeweiligen Dekanate und die Universitätsleitung überlegen, wie die Einsparvorgaben erreicht werden können.

16vor: Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie leitende beratende Positionen innerhalb der größten beiden Denkfabriken in Deutschland innegehabt. Bisweilen wird gemunkelt, Sie hätten Helmut Kohl beraten?

Maull: (Lacht) Was es nicht alles gibt. Nein, ich habe Helmut Kohl nicht beraten.

16vor: Vielleicht nimmt sich eine gewisse Frau Höhler an ihrer Freimütigkeit ein Beispiel… Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Beratung und politischen Entscheidungsträgern? Ist die Politik beratungsresistent?

Maull: Zunächst muss man sich klarmachen, dass Politikberatung nicht so funktioniert, wie man sich das gemeinhin vorstellt. Da gibt es nicht den ratsuchenden Politiker, der sich an den klugen Wissenschaftler wendet und dann gesagt bekommt, was er tun soll. Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Interaktionsprozess zwischen zwei Logiken: der politischen Logik, die stets auch den Machtaspekt – also die Wiederwahl – beinhaltet, und der Sachlogik der Berater. Die Berater agieren vor allem im Umfeld derjenigen, die die Entscheidungen der Politiker vorbereiten – meist sind dies die Ministerien. Diese sind in den letzten Jahren sehr viel offener geworden. Gleichzeitig ist die Offenheit der eigentlichen Entscheidungsträger zurückgegangen, nicht zuletzt aufgrund der Flut an Informationen, mit denen sie täglich konfrontiert werden.

16vor: Problematisch wird es dann, wenn vorgeblich unabhängige Institute unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit politische Tätigkeiten entfalten. Seit Anfang des Jahres treffen sich Dutzende syrische Oppositionelle in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, um mögliche Szenarien nach dem Sturz des Regimes von Assad zu besprechen – oder wie die Kritiker behaupten: damit sich Deutschland möglichst großen Einfluss sichern kann.

Maull: Grundsätzlich halte ich das für einen wichtigen Einwand, der mir in diesem Fall jedoch unberechtigt scheint. Die SWP hat auf Wunsch des Auswärtigen Amtes lediglich als Forum für ein möglichst repräsentatives Treffen syrischer Oppositioneller gedient. Dabei war es sicherlich leichter, bestimmte Regimegegner nach Berlin zu bekommen als nach Washington. Hintergrund des Treffens war die Einschätzung – und ich würde das explizit als Einschätzung und nicht als politisches Ziel ansehen -, dass die Tage des syrischen Regimes gezählt sind. Dies können jedoch noch viele Tage sein. Es liegt kein politisches Agieren der SWP vor, nur weil man den Syrern ein Podium für gemeinsame Gespräche anbietet. Es gibt jedoch auch in Deutschland Thinktanks, die die Sachlogik mit der politischen Logik verbinden. Das gibt es bei den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten schon sehr lange, eines steht mehr auf der Seite der Arbeitgeber, ein anderes ist eher der Arbeitnehmerseite verpflichtet. Das geht so lange in Ordnung, wie es auf dem Grundsatz der Transparenz beruht…

16vor: …wie das perfide Beispiel „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ belegt. Sie sind nun seit 21 Jahren Professor in Trier und genießen einen exzellenten Ruf. Was hat sie so lange in der Stadt gehalten?

Maull: Ich bin immer gerne hier gewesen und habe auch gerne unterrichtet, insbesondere in den alten Studienformen, denen ich altersbedingt ein wenig nachtrauere. Die Politikwissenschaft in Trier zählte in den 90er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends zu den wirklich guten Adressen in Deutschland. Ich habe es nie bereut, andere Angebote ausgeschlagen zu haben. Es wäre schön, wenn die Universität ein wenig von mir profitiert hätte – ich habe es auf jeden Fall.

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