Marx und ich

Keine Bange: Das ist noch nicht die letzte Karl-Marx-Kolumne – immerhin stehen ja noch weitere Highlights im Rahmen seines kleinen Jubiläums bevor wie die Installation der 500 Marx-Figuren rund um Porta Nigra oder die Ausstellung „Karl Marx in der Karikatur“ (ab kommenden Montag, 19 Uhr, in der Volkshochschule am Domfreihof). Das sind ja durchaus Ereignisse, die nach kolumnistischer Berichterstattung verlangen. Aber dennoch muss ich jetzt schon eine Zwischenbilanz ziehen und erschreckt feststellen, wie vertraut mir der Marxens Kalle in den vergangenen Wochen geworden ist.

TRIER. Wer hätte das gedacht, dass ich auf den Spuren von Marx auch mich selbst finde. Nun ja, zumindest entdecke ich manche verblüffende Ähnlichkeit zum Kalle, wie zum Beispiel folgende:

Marx: Vollbarträger – Meyer: Teilzeitbartträger
Marx: Kommunist – Meyer: Kolumnist
Marx: wohnte in Porta-Nigra-Nähe – Meyer: wohnt bald wieder in Porta-Nigra-Nähe
Marx: lebte zeitweise in England – Meyer: auch
Marx: demolierte nachweislich die Inneneinrichtung einiger Londoner Spelunken – Meyer: trinkt vorwiegend im Freien (Biergärten und Weinlauben), damit er sich nicht auch in diesem Punkt Marx annähert.

Ich fürchte, ich könnte weitere Parallelen zu Marx aufdecken, wenn ich mich intensiver mit ihm vergliche, deshalb beende ich dieses Thema lieber und mache stattdessen einen Selbstversuch: Der Backes Herrmann ist Schuld, denn der sagte neulich wieder zu mir:

„Wenn ich mal an einem Ort sein will, wo ich garantiert keine Trierer treffe, gehe ich einfach ins Karl-Marx-Haus. Übrigens, mein Junge, deine Haare stehen dir in letzter Zeit so struppig vom Kopf ab. Wenn die grau werden, siehst du fast aus wie…“
„Moment mal“, unterbrach ich ihn, „vielleicht ist es gefühlt so, dass keine Trierer ins KaMaHa gehen, weil einem vor Ort dann nur die Asiaten und die anderen Touristen auffallen, aber ich denke doch, dass man dort auch ein paar Trierer findet.“
„Vergiss es! Die einzigen Trierer, die du dort antriffst“, behauptete der Herrmann, ,,gehören zum Personal. Geh doch für mal ne Stunde ins KaMaHa, und für jeden Einheimischen, der dort freiwillig drin ist, kriegste von mir ein Viertel Wein beim Kesselstatt.“
„Na, dann bestell gleich schon ein paar Flaschen vor!“ antwortete ich siegessicher.

Ich also gestern ab ins KaMaHa, Trierer suchen. Das Personal entpuppte sich als ebenso freundlich wie kompetent und aufgeschlossen. Man war nämlich durchaus einverstanden mit meiner Idee, wenn nicht sogar verhalten erregt darüber.

Ums kurz zu machen: Wer noch nie im Karl-Marx-Haus war, um dort Leute zu fragen, wo sie herkommen, hat was verpasst! Zunächst zur Statistik: Recht schnell sammle ich Touristen aus Dresden (2), Berlin (2), Holland (7, davon 4 aus Delft), Bonn (2), Koblenz (2), Kasachstan (2) und Russland (2) sowie einen kommunistischen Perser und haufenweise semi-postmarxistische Chinesen.

Absolut sympathisch sind mir die Berliner und Dresdner, vor allem weil die gleich gestehen, dass sie das ja alles schon kennen – „das mit der Nationalökonomie“ – und es sich komisch anfühle, hier jetzt alles noch mal schön zusammengefasst zu sehen, was in Schule und Studium zur Grundausbildung gehört habe. Ich finde es prima, wenn Leute Geld für etwas ausgeben, das sie sowieso schon kennen.

Ich stelle mir das so vor wie: Ohne es leid zu werden zum xten Mal „Stirb langsam“ oder „Blues Brothers“ zu gucken (oder „Schlaflos in Seattle“ bzw. „Stolz und Vorurteil“, wenn man eine Frau ist und nicht auf Bruce Willis in verschwitzem Feinripp steht). Die Dresdner versichern mir, hier durchaus einige ganz neue Perspektiven zu entdecken. So sei es zum Beispiel interessant, die jeweiligen historischen Ereignisse parallel zu Marx’ Leben auf einer Zeitschiene präsentiert zu bekommen und so zum Beispiel zu erfahren, dass Marx gerade aufs Trierer Gymnasium ging als etwas weiter westlich Belgien erfunden wurde. Ich finde die Sachsen und Berliner so anheimelnd und aufrichtig, dass ich mich nicht traue, „Marxens Karl“ zu sagen, vor allem als einer aus der Ost-Truppe gesteht: „Bei uns ist bei Marx ja immer auch noch Emotion mit drin“. Das habe ich bisher so noch von keinem Trierer gehört.

Kurz darauf verwirrt mich ein Iraner, der auf meine Frage, was ihn denn hierher verschlagen habe, mit kindlicher Freude verkündet: „Ich bin Kommunist!“, und zwar mit solcher Inbrunst, wie wenn Trierer „Pännz“ ausrufen: „Mir sinn Eintracht-Fans!“ Den passabel Deutsch sprechenden Perser schließe ich ins Herz, weil er dem Bedürfnis nicht widerstehen kann, sein Kommunistsein selbstbewusst in die Welt zu rufen. Dann begreife ich das Missverständnis: Er glaubt, in diesem Hause seien nur Gleichgesinnte unterwegs und vermutet in mir einen ebensolchen. Vermutlich macht mein grauer, struppiger Bart sowie mein Hinweis, „aus der Gegend zu kommen“, mich zur lebenden Marx-Ikone für ihn. Ich verschweige ihm, dass ich nicht in direkter Linie von seinem Idol abstamme und schlage auch das freundliche Angebot aus, ihn in Bonn auf der Mai-Demo wiederzutreffen, damit er mich ein paar kommunistischen Freunden aus dem Orient vorstellen kann. Dann verabschiedet er sich überschwänglich, um im Museumsladen noch ein paar originelle Geschenke für Parteikollegen zu besorgen. Ich erwähne hierbei lieber nicht (weil man es mir eh nicht glauben wird), dass der Iraner einen kleinen, weißhaarigen Hund an der Leine führte, dessen Fell dem Haupthaar vom Kalle nicht unähnlich sah.

Dann sorgen zwei Russen für einen kleinen Eklat, weil es an der Kasse den Audio-Guide zwar in sechs verschiedenen Sprachen gibt, Russisch aber nicht dabei ist (die Kasachen haben damit kein Problem, die nehmen den Audio-Guide auf Englisch). Für die Russen aber ist das – welthistorisch gesehen – natürlich ein herber Schlag: Ausgerechnet auf ex-sowjetische Touristen ist das KaMaHa nicht eingestellt. Die Frau an der Kasse erklärt mir, russische Besucher seien schon seit vielen Jahren eher die Ausnahme. Ungefähr hundertmal so viele ausländische Besucher kämen aus… na? richtig: Holland! Ich vermute zunächst, das käme daher, dass die holländischen Gäste nun schon zum 27. Mal in Saarburg oder Kell am See Urlaub machen und sonst wirklich alles in Trier mindestens dreimal gesehen haben, so dass nur noch das KaMaHa übrig bleibt – muss aber von den Besuchern aus Delft erfahren, dass sie zum ersten Mal in der Gegend seien, und dass das Karl-Marx-Haus für sie ein absolutes Muss sei.

Danach treffe ich auf zwei Koblenzer, Vater und Sohn, wobei der Filius frech behauptet, er sei jetzt Trierer, da er seit einem Semester hier studiere. Mir kann das ja nur Recht sein, denn bislang hatte ich zwar viel Spaß, aber noch keinen Tropfen Wein gewonnen. Ich will mich aber nicht selbst belügen: Die Selbstidentifikation als Trierer stellt vielleicht nur einen symbolischen Akt der Abnabelung dar. Der Vater ist nämlich durchaus der Meinung, der Bub sei noch Koblenzer, trotz der Studibude in Trier. Der Student, der sich ansonsten mit seinem Vater gut zu verstehen scheint, pocht darauf, den ersten Wohnsitz in Trier zu haben, also beschließe ich im Stillen, ihn einzubürgern, falls ich keinen anderen Trierer finden sollte.

Dann kommen die Chinesen! Eine Busladung voll! Und sie zwingen mich – ich schwöre es bei allen marxistischen Heiligen – die Kolumne mit Klischees abzuschließen: In rasendem Tempo schwärmen sie in alle Zimmer aus und fotografieren sich gegenseitig vor Marx-Exponaten. Gleich danach bilden sie eine Schlange vorm Gästebuch des Museums, um sich dort zu verewigen und nachzuschauen, aus welchen Städten die anderen Chinesen kommen, die in letzter Zeit hier waren. Als ich zwei Chinesen frage: „Where do you come from?“, antworten sie mir: „From Nürnberg!“ Ich versuche es bei zwei anderen mit der gleichen Frage und bekomme zur Antwort: „From Bochum!“ Fragt mich nicht! Ich weiß nicht, welches Kommunikationsmissverständnis hier vorliegt.

Meine Stunde ist um und im Café Mohr will noch ein Stück Käsekuchen gegessen werden, also mache ich mich auf dem Weg nach draußen, sehe dabei aber noch einen vergnügt dreinblickenden Chinesen durch die Eingangstür kommen und versuch’s nochmal: „Where do you come from?“ Er grinst und meint mit vertrautem Akzent: „Aus Trier!“ Na also, geht doch!

„Spendier mir ein Viertel und wir sind quitt!“, sage ich am selben Abend zum Backes Herrmann, und als der mich fragt, wo genau der eine echte Trierer im KaMaHa denn herkäme, antworte ich wahrheitsgemäß: „Aus Hangzhou – allerdings mit mehrjähriger Trier-Nord-Erfahrung!“ Und natürlich lässt der Backes Herrmann das gelten.

Nachtrag: Der Trierer aus Hangzhou bringt alle Verwandte und Freunde, die zu Besuch kommen, erst mal ins Karl-Marx-Haus, damit sie sich dort ins Gästebuch eintragen können. Ich nehme an, dadurch liegt Hangzhou im Gästebuch knapp vor Shanghai und Peking.

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