Maik Zirbes, Mann ohne Nerven

Knisternde Spannung, wogende Emotionen, ein Mann ohne Nerven und zwei Menschen im Glück – all das durften die 4162 Zuschauer am Montagabend in der Arena erleben. Am Ende reichte der TBB ein Punkt für den 71:70-Erfolg über die Telekom Baskets Bonn. Es war der erste Sieg für Trier nach fünf Niederlagen in Folge. Damit hat die Mannschaft von Henrik Rödl den Anschluss an die Nichtabstiegsplätze gefunden. Triers Trainer scherzte im Überschwang der eigenen Gefühle: „Im Jahr 2012 steht es eins zu null für uns, wir sind also bei 100 Prozent.“ So verarbeitete der Hesse die Anspannung der letzten Wochen, in denen er gebetsmühlenartig den Glauben an seine Spieler proklamieren musste. „Nein, Spaß beiseite“, schob er dann noch nach. „Ich bin einfach nur glücklich, der heutige Sieg bedeutet auch für mich persönlich eine große Erleichterung.“

TRIER. Knapp 17 Sekunden sind in der Arena noch zu spielen. Ballbesitz für Bonn: Benas Veikalas steigt hoch, zielt, trifft. Drei Punkte für die Baskets: 69:70. Die Uhr bleibt bei acht Sekunden stehen. Ballbesitz Trier: Dru Joyce schnappt sich die Kugel, schaut, schaut wieder, der Arm zuckt aus. Zu schnell für Bonn saust das Spielgerät zu Maik Zirbes. Der spürt den Atem seines Gegners. Chris Ensminger hält die Hände nach vorne. Zirbes wuchtet den verlängerten Rücken heraus, dreht sich, hebt ab – und jagt den Ball mit einem Dunking durch den Ring. Ein Mann ohne Nerven.

Über die Ränge fliegt ein lang gezogenes „Jaaaaaaa!“ Keinen der über 4000 Zuschauer hält es mehr auf den Sitzen. Bonn bleiben knapp zwei Sekunden. Jared Jordan mit dem Mut der Verzweiflung. Zehn Meter Distanz bis zum Korb, der US-Amerikaner legt alle Hoffnung in seinen letzten Versuch. Der Ball küsst den Ring, mehr nicht. Aus. Vorbei. Grenzenloser Jubel hier, tiefe Niedergeschlagenheit dort. Trier feiert, Bonn trauert. Der lange Zirbes herzt den kurzen Joyce. Groß waren sie beide an diesem Tag. Triers Masseur und Maskottchen Axel „Aggy“ Mock gibt den Takt vor. Im „Humba Humba Täterä“, das die Spieler jetzt vor der Fankurve zelebrieren, liegen zugleich Anerkennung wie Genugtuung. „Gegen Trier kann man mal verlier’n“, schallt es zum Bonner Block hinüber. Dort herrscht Ruhe. Die Stille der Enttäuschung.

Als seine Spieler feiern, sitzt Rödl auf seinem alten Stuhl nahe der eigenen Bank. Die Hände seiner Tochter liegen auf den Schultern des Vaters. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Der Offenbacher schaut nicht hoch zu seinen Spielern. Er hat den Kopf gesenkt, die Mundwinkel hängen leicht, die Augen sind geschlossen. Es ist der Moment, in dem die ungeheure Anspannung der letzten Wochen vom Trierer Trainer abfällt. Während unweit davon die Worte aus Zirbes nur so heraussprudeln, sieht Rödl still in sich hinein. „Es war nicht mein Korb“, sagt Zirbes bescheiden, „es war der Korb von Dru.“ Er habe nur getan, was getan werden musste. „Ich wusste nicht, wohin mit dem Ball, also hab‘ ich ihn einfach versenkt.“ So einfach ist das, wenn es sein muss.

„Dass wir das Spiel so gewonnen haben, mit einem Dunking von Maik, ist natürlich sehr nett“, sagte Rödl später, als er wieder der nüchterne Pragmatiker ist. „Die Mannschaft ist stabil, wir sind wieder zurückgekommen, und diesmal haben wir das Spiel sogar gedreht.“ Er habe trotz der Misserfolge der letzten Wochen nie den Glauben an seine Spieler verloren. „Heute haben sie sich selbst belohnt, und dieser Sieg ist sehr wichtig für uns, für unser Selbstvertrauen, für die Mannschaft, für den ganzen Verein“, betonte Triers Trainer. Kollege Michael Koch konnte nur gratulieren: „Wir haben das Spiel am Ende ganz alleine verloren, aber Glückwunsch an Trier, das nie aufgesteckt hat“, sagte der Bonner Trainer.

Natürlich war Trier hochgradig vorgewarnt, weil Bonn am letzten Spieltag Alba Berlin in dessen eigener Halle die erste Heimniederlage der Saison beigebracht hatte. Die Rheinländer, die fulminant in die neue Saison gestartet waren und zwischenzeitlich sogar die Tabellenspitze erobern konnten, haben ihre jüngste Schwächephase spätestens mit dem Sieg in der Hauptstadt beendet. Allerdings mussten sie in Trier auf einen ihrer wichtigsten Spieler verzichten. Der Serbe Zvonko Buljan hatte sich in der Partie gegen Alba zu einer Tätlichkeit gegen Sven Schultze hinreißen lassen. Zwei Spiele Sperre muss Buljan dafür absitzen.

Doch auch ohne den Serben zeigte Bonn, warum es so lange in der vorderen Tabellenregion mitgemischt hatte. Ähnlich wie Rödl lässt auch Koch ein aggressives Basketball spielen – die konsequente Verteidigung als Grundlage für Erfolge. Unter dem eigenen Korb wird mit Haken und Ösen weggeräumt, was sich bewegt. Keinen Zentimeter Luft gönnen die Bonner ihren Gegenspieler. Da fällt es schwer, überhaupt in die gefährliche Zone zu kommen. Der knappe Unterschied von einem Punkt nach dem ersten Viertel (14:15) aber manifestierte sich ohnehin nicht am Brett, sondern an der Distanzlinie. Wo Bonn dreimal traf, ging Trier bei drei Versuchen leer aus.

Was dort fehlte, glich die TBB mit Einsatz und Leidenschaft aus. Kein Ball wurde verloren gegeben, in jeder Situation wurde hartnäckig gerungen. Selbst die inzwischen fünf Niederlagen in Folge mit dem Sturz auf einen Abstiegsplatz rissen nicht am Trierer Nervenkostüm. Rödl hat seinen Männern das Gen des dauerhaften Glaubens eingeimpft: Komme es, wie es wolle, Trier glaubt an sich und seine Chancen. „Und sie spielen eine erstklassige Verteidigung“, lobte Koch die Arbeit seines alten Weggefährten Rödl. „Die gehört zu den besten der gesamten Liga.“

So bearbeiteten sie Bonn, so holten sie im zweiten Viertel Punkt um Punkt. Die Rheinländer zeigten die strukturvollere Spielanlage, ohne dass in ihrem System viel zusammenlief. Trier aber fuhr dazwischen, wo sich die Gelegenheit bot. Das machte sich vor allem in der Rebound-Quote bemerkbar. Trotz der Defizite in der Verwertung bekam die TBB immer wieder ihre zweite, wenn nicht sogar dritte Möglichkeit auf den nächsten Ball. Das brachte die 34:30-Führung zur Pause. Acht Offensiv-Rebounds gegenüber vier bei Bonn machten den Unterschied.

Hinzu kam, dass Spielmacher Joyce heuer ungleich größere Freiheiten genoss, als zuletzt in Tübingen. Dort hatten ständig zwei Gegner wie die Kletten an ihm geklebt. Gegen Bonn konnte der US-Amerikaner seine Stärken wieder ausspielen, seine Mitspieler in Szene setzen und auch selbst auf Korbjagd gehen. Acht Punkte bis zum Seitenwechsel waren eine Hausnummer für Joyce. Das allein zeigte, wie wichtig er für die TBB ist. „Dru hat heute phantastisch gespielt“, sagte auch Zirbes. „Und wie wir heute gespielt und gewonnen haben, gibt uns sehr viel Motivation für die nächsten Wochen.“

Noch aber blieben die Baskets im Spiel, weil sie ihre wenigen Möglichkeiten konsequent nutzen. Trier schaffte es nicht, den Vorsprung auszubauen. Bonn aber blieb konstant bei vier bis sechs Punkten Rückstand. Selbst das technische Foul gegen Simonas Serapinas brachte der TBB nicht den erhofften Befreiungsschlag. Im Gegenteil: Der ehemalige Meister war jetzt gereizt. Veikalas knallte zwei Bälle aus der Distanz durch den Ring. So schnell kann es gehen. Aus der Sechs-Punkte-Führung der TBB wurde ein Drei-Zähler-Rückstand am Ende des dritten Viertels. Bonn hatte die Stärken des Gegners im Stil einer echten Spitzenmannschaft gekontert. Koch zürnte später mit dem Schlendrian seiner Spieler: „Wir hatten das Spiel im Griff und hätten es nur clever über die Zeit bringen müssen.“

Zur Hypothek für Trier wurde auch, dass Rödl einen seiner Besten nur noch sporadisch einsetzen konnte. Nate Linhart war schon früh mit vier Fouls belastet, sein Fehlen aber machte sich eklatant bemerkbar, weil Trier schlicht die Tiefe auf der Bank fehlt. Wie wichtig der US-Amerikaner inzwischen für das Spiel der TBB ist, wurde Mitte des Schlussabschnitts deutlich. Linhart holte seine Mannschaft bei sechs Punkten Rückstand (56:62) mit einem Dreier zurück ins Spiel.

Rödl ging jetzt volles Risiko. Er ließ Linhart auf dem Feld. Der Mut des Offenbachers wurde belohnt. Mit dem Amerikaner eroberte Trier sich die Führung zurück – zum 68:67. James Washington holte einen weiteren Punkt. Das große Zittern auf den Rängen begann, als Linhart eine Minute vor Schluss mit seinem fünften Foul gehen musste.

Bis Joyce und Zirbes im Duett kamen. Der Lange mit dem Kleinen – und beide ganz groß an diesem Tag…

TBB Trier: Linhart (5), Joyce (16), Saibou, Zwiener (8), Dojcin (9), Faßler, Seiferth (2), Washington (9), Picard, Zirbes (16), Bynum (6).

BBO Telekom Baskets Bonn: Serapinas (10), Ensminger (12), Veikalas (18), Mangold (3), Thülig, Jordan (9), Hain, Gaffney (4), Battle (14), Wohlfarth-Bottermann.

Viertelstände: 14:15; 34:30; 47:50; 71:70

Zuschauer: 4162

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