Kennen Sie… das Fetzenreich?

Das Fetzenreich ist mehr als ein Haus. Genau genommen ist es eine zusammenhängende Häuserzeile entlang der Sichel- und der Rindertanzstraße. Einst auch innerlich verbunden, dehnte sich der mittelalterliche Stadthof mit mehreren Gebäuden, Höfen und Gärten bis zum Mergener Hof im Norden aus. Im Laufe der Jahrhunderte erhielten die einzelnen Bauteile unterschiedliche Funktionen, die am besten separat betrachtet werden. Wenn man heute den Treffpunkt „Fetzenreich“ ausmacht, geht man in die Sichelstraße 36.

TRIER. Das klassizistische Gebäude steht auf römischen und vor allem auf mittelalterlichen Grundmauern und ist in seinen Ursprüngen Teil eines ausladenden Gebäudekomplexes im dicht und eng bebauten Flanderviertel in unmittelbarer Nähe zum Dom. Bereits 1268 wird das Haus in Urkunden zum ersten Mal erwähnt, als Besitz des Schöffen Bonifacius des Älteren. Die wohlhabende Familie besetzte über mehrere Generationen Schöffen- und Schultheißämter in der Stadt Trier und lebte in dem steinernen Haus mit der damaligen Bezeichnung „Zur goldenen Krone“. Erst in einer Urkunde aus dem Jahr 1592 wird der noch heute gebräuchliche Name erwähnt: „ut domum nostrum in cictate trevirensi Fetzenreich dictam ampliaret“, wie Eberhard Zahn in seiner detaillierten Monografie aus dem Jahr 1980 zum Stadthof ausführt. Der Name kommt aus einer Kombination der Kurzform „Fetz“ von Bonifatius mit dem Beinamen „der Reiche“. Dieses Haus stand wohl am nördlichen Ende des Fetzenhofes, wo heute das ehemalige Hotel Central der Verwahrlosung ausgesetzt ist.

Zahlreiche Besitzerwechsel im 13. und 14. Jahrhundert künden von einer lebhaften Zeit mit Verpachtungen, Vererbungen und Verpfändungen. Im Jahr 1408 kaufte die Klostergemeinschaft Maximin den gesamten Hof. Hierhin zog sich der Orden in Kriegszeiten zurück, denn die eigentlichen Abteigebäude lagen ungeschützt außerhalb der Stadtmauer und wurden mehrfach zerstört. Ein imposanter Einstützenraum diente als Refektorium und die fein herausgearbeiteten Fenster und bemalten Holzdecken sind später repräsentative Räume des Hotels. Allein dieses Gebäude bietet ausreichend Stoff für eine eigene Geschichte. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts zog der Orden in sein neu erbautes Kloster St. Maximin im Norden der Stadt.

Im Jahr 1803 wurde der Fetzenhof von den französischen Besatzern verkauft, an den Trierer Vikar Peter Müller. Dieser ließ die Fassade des Vorderhauses 1820 in die noch heute bestehende klassizistische Form mit fünf Achsen und einem Mansarddach umbauen. 1833 wurden das Vorder- und das Mittelhaus komplett von dem nördlichen Gebäudeteil, dem späteren Gesellenhaus und Hotel, abgetrennt. An der Seite der Gebäude Sichelstraße 36 und 34 sind am Rindertanzplatz wenige mittelalterliche Details zu entdecken, aber im Inneren zeugen der großräumige Keller mit Kreuzgratgewölbe, die steinernen Fensterstürze und die dicken Wände mit den tiefen Fensternischen von der mehr als 600 Jahre alten Geschichte des Hauses.

Geschichte wird wohl bald auch die Fetzenkneipe sein, die seit mehr als 40 Jahren in genau diesem Gebäude existiert. In der ehemaligen Großküche des Schöffenhauses mit dem imposanten offenen Kamin verbrachten schon Generationen von Studenten ihre Freizeit. Zusammen mit weiteren Institutionen des Trierer Bistums hat hier die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) ihren innerstädtischen Standort und betreibt die Fetzenkneipe im Team.

Anfang der siebziger Jahre investierte das Bistum in das Haus und auch in die Ausstattung der Begegnungsstätte: Architekturpläne von 1971 zeigen, wie die Souterrainräume genutzt werden sollten: Eine Leseecke mit Bücherregalen und Arbeitstischen im kleineren Raum sollten zum Arbeiten und Lernen einladen. Eher Clubatmosphäre versprachen die Planungen für den großen Raum mit dem offenen Kamin. Hier bestimmten halbrunde Sofalandschaften mit trapezförmigen Beistelltischen und Stehlampen die Gestaltung. In einer sich anschließenden Teeküche konnte das beliebte Heißgetränk hergestellt werde. Heute ist aus dem Leseclub eine klassische Studentenkneipe geworden, die sogar schwarze Zahlen schreibt, wie Leonie Schlegel und Sebastian Druglat aus dem Fetzenteam berichten.

Als gesellschaftlicher Treffpunkt der KHG bieten sowohl die Kneipe als auch das Haus Fetzenreich allen denen Raum, welche die ungezwungene Atmosphäre, das freundschaftliche Miteinander und die günstigen Preise schätzen. Regelmäßig treffen sich hier insgesamt 15 Stammtische, darunter der Internationale Stammtisch und die der Philosophen, Japanologen, der Lehramtsstudenten, der Doktoranden und auch der Jungliberalen. Getanzt wird Rock ’n‘ Roll und Zumba, und nicht zuletzt findet im Haus jeden Samstag ein Frühstück für Obdachlose statt, welches von der KHG organisiert wird.

Zum Ende des Wintersemesters 2012/2013 hat das Bistum die Schließung angekündigt, wogegen das siebenköpfige Fetzenteam sich wehrt. 500 Postkarten mit Argumenten für die Fetzenkneipe wurden gedruckt, aktuell entsteht ein Film und auch auf Facebook formieren sich die Freunde und Mitglieder der KHG gegen die Schließung der Fetzenkneipe. Laut Bistum könne das Angebot der Fetzenkneipe vor dem Hintergrund der knapp gewordenen seelsorgerischen Personalressourcen nicht weiter sinnvoll aufrecht erhalten werden, eine Seelsorgestelle der KHG sei bereits weggefallen. Wo sich die Mitglieder der KHG neben dem Standort an der Uni Trier zukünftig treffen können und wo zukünftig das Obdachlosencafé stattfinden werde, stehe noch nicht fest.

ERGÄNZUNG AUFGRUND EINER LESERZUSCHRIFT: Das Fetzenreich ist nicht zu verwechseln mit dem Bischof-Korum-Haus, das direkt daneben stand. An dessen Stelle befinden sich heute Parkplätze und eine Gedenktafel, die an die Geschichte des Hauses erinnert. Dort führen auch die Rundgänge der AG Frieden zur Geschichte Triers in der NS-Zeit vorbei. Das Haus wurde als Jugendhaus oder Jugendzentrum errichtet, war ab 1942 ein Gefängnis für Trierer Juden und diente ab 1950 als Stadttheater. In den 70er Jahren wurde es abgerissen.

„Kennen Sie Trier?“ – auf einen Blick:

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