Kennen Sie… das eiserne Haus?
Heute startet eine neue Serie auf 16vor. Einmal im Monat werden wir markante, interessante oder geschichtsträchtige Trierer Bauwerke vorstellen. Bauwerke, die man zwar vom Sehen kennt, aber von deren einstiger oder heutiger Bedeutung man kaum etwas weiß. Und obwohl die meisten Trierer noch nicht auf der Porta gewesen dürften und viele nicht die ursprüngliche Funktion der Basilika kennen werden, bleiben die Welterbestätten außen vor. Darüber kann man schließlich in jedem Stadtführer lesen. Im ersten Teil unserer Serie stellt die Kunsthistorikerin Bettina Leuchtenberg das „eiserne Haus“ vor. Als eines der wenigen Wohn- und Geschäftsbauten des frühen 20. Jahrhunderts ist das Haus mit der grünen Stahlfassade in der Karl-Marx-Straße ein besonderes Beispiel damals moderner Architektur. Erbaut wurde es nach den Plänen eines Schlossermeisters, der so sein Arbeitsmaterial werbewirksam an unüblicher Stelle darstellen konnte.
TRIER. Die Häuser der Karl-Marx-Straße stehen fast allesamt auf mittelalterlichen Kellern, die zwei- und dreigeschossigen Häuser selbst sind in dem Zeitfenster vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert gebaut worden. Klassizistische Fassaden wechseln sich mit denen des Späthistorismus ab, dazwischen ist sogar auch ein schmuckes Giebelhaus aus der Renaissance zu finden. Insgesamt ergibt sich eine Straße mit kleinstädtischem und homogenem Charakter. Als Durchgangsstraße zur Römerbrücke war sie schon immer Ort für eine gemischtes Gebiet mit Gewerbe und Wohnbauten. Aus dem beschaulichen Straßenzug ragt die Nummer 43 nicht nur wegen ihrer alle Nachbargebäude überragenden Höhe hervor, auch die grüne Stahlfassade steht in direktem Kontrast zu den verputzen Häusern mit steinsichtigen Fenstergewänden, barocken und historistischen Schmuckelementen und klassizistisch-strenger Gestaltung.
Man kann sich gut vorstellen, dass die Karl-Marx-Straße im Jahre 1887 ganz ähnlich aussah. Zehn Jahre zuvor war die Stadtmauer zusammen mit vier Stadttoren abgerissen worden. Trier wuchs über seine mittelalterlichen Grenzen hinaus und erweiterte sich vor allem nach Norden und Süden mit geplanten gründerzeitlichen Straßenzügen. Trier wuchs während des deutschen Kaiserreichs nicht ganz so explosionsartig wie die großen Städte, die neuen Gebäude und Straßenzüge sind praktisch, modern, aber nicht aufsehenerregend. In dieser Zeit beschließt der Trierer Schlosser Johannes Wehlen, sich ein Haus zu gestalten, und zwar in der gewachsenen Architektur der Karl-Marx-Straße.
Der mit dem Werkstoff Eisen arbeitende Handwerker war womöglich von den innovativen Bauten wie dem Kristallpalast von Joseph Paxton inspiriert, der 1851 für die Londoner Weltausstellung ganz aus vorgefertigten Gittern aus Gusseisen und Glassegmenten errichtet wurde. Gusseisen als neoklassizistisches Dekorations- und Verkleidungsmaterial für Fassaden wurde bereits seit Jahren in New York und vor allem in Glasgow getestet – mit wenig Erfolg. Das Material rostete und hielt aufgrund seiner Weichheit auch entfernte Brände nicht aus. Der berühmte Kristallpalast wurde 1936 Opfer des Feuers. Mit dem modernen Stahl konnten sich die Konstrukteure später viele der Innovationen für das weitaus massivere Material zu Nutze machen. Vor allem Brücken, Industriearchitektur und natürlich der Stahlskelettbau wurden entwickelt, mit dem es möglich war, in die Höhe zu bauen. Der Wolkenkratzer entstand 1885 in Chicago. Ab 1887 errichtete Gustave Eiffel den nach ihm benannten Pariser Turm, nachdem er sich als Stahlkonstrukteur für Brücken, Viadukte und Bahnhöfe international einen Namen gemacht hat.
1890 baute sich Johannes Wehlen ein bestehendes Haus so um, dass er eine gusseiserne Fassade aus vorgefertigten Teilen zur Straßenfront anbringen konnte. Das dreigeschossige Wohn- und Geschäftshaus ist durch drei Achsen gegliedert. Zwei hochrechteckige Schaufenster im recht hohen Ladenparterre wurden von dem Eingang in der rechten Achse flankiert. Heute ist das Fenster zu einem düsteren Lokal zentriert und von zwei Eingängen rechts umfasst. Der linke führt in das Lokal, der rechte in die zwei Obergeschosse.
Ursprünglich muss man sich das Haus von Wehlen wohl eher schlicht, nur durch die riesigen Fensterflächen und Oberlichter gegliedert vorstellen. Imposante Krönung war auch schon zur Entstehungszeit die Dachterrasse, die mit einem auffälligen Ziergitter abschließt. Die beiden Balkone der ersten und zweiten Etage sind laut Denkmaltopographie der Stadt Trier wahrscheinlich erst um 1900 unter der Mithilfe des Bauunternehmers August Herresthal hinzugefügt worden. Mit der mutigen Gestaltung seines Hauses ergänzte der Schlosser Wehlen die Karl-Marx-Straße um eine Architektur, bei der die Leute noch heute verwundert stehen bleiben und fasziniert an der dunkelgrünen Fassade hochblicken. Sogar bis nach Wien wurde von den Haus berichtet, nicht gerade lobend: „Es ist nach einem eisernen Cassenschrank und ganz mit dem Stoff und nach dem Geschmack eines Schlossers ausgeführt. […] Sehr nützlich aber kann solcher Eisenbau für Brauer als Darre, für Feigenkaffefabrikanten oder gar als Krematorium benutzt werden.“ Die zeitgenössische Einschätzung des Trierer Hauses in der Wiener Bauindustrie-Zeitung 8/1890 wirkt heute kaum nachvollziehbar. In den frühen 1990er Jahren wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt und umfassend renoviert.
Im Bereich hinter dem Ladenlokal hatte Wehlen seine Werkstatt eingerichtet, die nicht mehr erhalten ist. Das Haus erstreckt sich heute mit der Gaststätte bis zur Bollwerkstraße, wo im Parterre des Neubaus ein zeitgenössisches Eisentor mit den bis auf die Farbe entsprechenden Blüten- und Rankenmotiven eingebaut wurde, die auch die Dachterrasse schmücken. Einst könnte dies die Begrenzung des Hinterhofs hinter der Werkstatt gewesen sein. Die Ästhetik des Metalls als neuer Baustoff für ein Haus macht eine ganz neue Gestaltung nicht nur der Optik sondern auch des Wohnens möglich. Die immens großen Glasflächen und Oberlichter sind in der Bauzeit noch eher ungewöhnlich. Und es sind in Trier eher diejenigen, die in einem eisernen Haus leben wollen, die eng mit dem Werkstoff verbunden sind. Erst 1904 entsteht in Trier ein zweites Haus mit Stahlfassade – errichtet für einen Eisenwarenhändler in der Neustraße.
„Kennen Sie Trier?“ – auf einen Blick:
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