Karneval an Allerseelen

Gabriel von Eisenberg (Norbert Schmittberg) übt sich beim Stubenmädchen Adele (Evelyn Czesla) im Handauflegen. Foto: Marco PiecuchAm vergangenen Samstag präsentierte das Theater Trier als Neuinszenierung Johann Strauss‘ Operette „Die Fledermaus“. Trotz des eigenwilligen Termins goutierte das Publikum die gelungene Aufführung. Dieses vielfach als „Königin der Operetten“ bezeichnete Werk ist unter anderem durch zahlreiche Aufnahmen für Tonträger, Film und Fernsehen sehr bekannt, kann aber bei spritziger Inszenierung und Überraschungen im Detail stets neu begeistern. Die empfehlenswerte Produktion läuft noch mindestens bis zum nächsten Frühjahr.

TRIER. Notar Dr. Falke möchte seinem Duzfreund Gabriel von Eisenstein eine Faschingsintrige heimzahlen. Vor einigen Jahren hat ihn dieser nach durchzechter Nacht in einem Fledermauskostüm dem öffentlichen Spott ausgesetzt. So veranstaltet Dr. Falke im Hause des gelangweilten jungen und steinreichen russischen Prinzen Orlofsky einen Ball, der in einer höchst amüsanten Überraschung gipfeln soll. Hierzu werden unter anderem Eisenstein, seine (maskiert auftretende) Gattin Rosalinde, deren Kammerzofe Adele und der Gefängnisdirektor Frank eingeladen; diese geben sich alle eine falsche Identität, zusätzlich sollte Eisenstein bereits eine kurze Gefängnisstrafe antreten.

Dieser verabschiedet sich tränenreich von seiner Gattin, hat aber zunächst den Ball mit Gelegenheit zu Eroberungen im Kopf. Rosalinde ihrerseits erwartet Besuch ihres alten Verehrers, des Tenors Alfred. Damit Adele teilnehmen kann, täuscht sie eine Erkrankung ihrer Tante vor und entlehnt heimlich von ihrer Gnädigen ein Ballkostüm. Der Gefängnisdirektor, neu am Ort, verhaftet noch am Abend den ihm nicht persönlich bekannten Eisenstein in dessen Wohnung; es ist aber in Wahrheit der Galan Alfred, der mitmacht, um Rosalinde nicht zu kompromittieren.

Auf dem Fest treten Eisenstein als angeblicher Marquis und Frank als angeblicher Chevalier auf; sie freunden sich an. Mit der Französisch-Konversation hat Eisenstein aber Probleme und sucht seinen ganzen Wortschatz bis hin zu Mayonnaise und Schloss Monaise (kommt leider nicht an) zusammen. Adele gibt sich als Künstlerin aus und weist entrüstet Eisensteins Verdacht ihrer wahren Identität zurück. Eisenstein versucht ausgerechnet die maskierte „ungarische Gräfin“ (in Wahrheit Rosalinde) zu verführen. Mit steigender Champagnerlaune verbrüdern sich alle.

Am nächsten Morgen werden im Gefängnis alle Intrigen offenbar: Eisenstein entdeckt, dass seine Frau ihren Verehrer empfangen hat. Rosalinde wiederum überführt ihren Gatten seiner Eskapaden. Die „Rache der Fledermaus“ ist gelungen. Daneben gibt der besoffene Gefängnisdiener Frosch Kommentare (in bewährter Tradition auch zu aktuellen Ereignissen) ab – es sei nur das Stichwort „Limburg“ erwähnt. Adele findet einen Mäzen für ihre Theaterausbildung. Am Schluss kann mit „Glücklich ist, wer vergisst…“ um Verzeihen menschlicher Schwächen geworben werden.

Strauss‘ Operette geht im wesentlichen auf eine französische Komödie zurück. Der Textdichter Genée soll auch Anteil an der Komposition haben. Das 1874 in Wien uraufgeführte Werk entstand während einer großen Wirtschaftskrise (Börsenkrach 1873). Die vorausgegangenen Spekulationsgeschäfte, etwa auch mit Rüstungsgütern, haben das deutsche „Regietheater“ zu kritischen „Hinterfragungen“ inspiriert. So hat die hierfür berühmt-berüchtigte Ruth Berghaus noch kurz vor ihrem Tod für Leipzig ein Konzept entworfen, nach dem Orlofskys Ball im finsteren Hinterhof mit Soldaten, aufgehäuften Leichen und mit einer Totengesellschaft stattfindet.

Regisseur Klaus-Dieter Köhler hat sich erfreulicherweise von solchen Werkbeschädigungen ferngehalten. Köhler ist mit Trier seit langem verbunden, unter anderem als früherer Oberspielleiter des Schauspiels. Mehrere Operetteninszenierungen, zuletzt „Gräfin Mariza„, hat er hier bereits herausgebracht.

Die Inszenierung folgt dem Original. Das ist bei diesem starken Stück zu begrüßen. Die Handlung spielt in einem Kur- und Badeort (wohl Baden bei Wien) zur Entstehungszeit des Stücks. Einige Aktualitäten bringen vor allem Froschs (Peter Singer) beschwipste Sprüche. Das Bühnenbild (Wolf Wanninger) zeigt zunächst das geräumige großbürgerliche Wohnzimmer Eisensteins und kann – jeweils gering verändert – in den folgenden Akten als Orlofskys Ballsaal und als Gefängnis dienen. In sinniger Anspielung an den Text spielt sich dabei alles in einem großen Vogelkäfig ab. Die farbenfrohen Kostüme (Carola Vollath) passen zur Entstehungszeit und ermöglichen Solisten, Chor, Extrachor und Statisten speziell im mit viel Liebe zum Detail inszenierten zweiten Akt bunten Trubel.

Musikalisch kommt die Aufführung nicht ganz an das Niveau der letzten Trierer Musiktheaterproduktionen heran, obwohl auch ganz exzellente Leistungen zu vermerken sind.

Rosalinde (Joana Caspar) mit ihrem Liebhaber Alfred (Svetislav Stojanovic). Foto: Marco PiecuchWie immer vorzüglich studiert sind Chor und Extrachor (Angela Händel). Die anspruchsvolle Ouverture hätte aber zusätzliche Proben vertragen; die (zu) kleine Zahl der Streicher hat es allerdings besonders schwer. Die temporeiche Inszenierung verführte teilweise auch den Dirigenten (GMD Viktor Puhl) zu Hektik. Der Wiener Walzer gewinnt seine größte Spannung, wenn er aus ruhigem Beginn mit behutsamem accelerando erst spät das volle Tempo erreicht.

Zu den Solosängern vorweg: Alle Rollen sind so schwierig, dass sie gestandene Opernsänger erfordern; zusätzlich müssen sie textdeutlich und darstellerisch locker sein. Das gesamte Ensemble entspricht dem.

Die gelungene Engagementpolitik der letzten Zeit bewährt sich wiederum. Trotz eines sehr überzeugenden Gasts in der Hauptpartie des Eisensteins gebührt die sängerische Krone dem jungen Ensemblemitglied Kristina Stanek. Nach mehreren vorzüglichen Leistungen in vorherigen Produktionen ist ihrem Prinz Orlofsky nun geradezu Weltklasse zu bescheinigen. Mit sattem, ebenmäßig und beweglich geführtem Mezzo verkörpert sie auch von der Optik her und darstellerisch den jungen Mann perfekt; da können auch die besten Kontratenöre, mit denen neuerdings zunehmend besetzt wird, nicht mithalten.

Der Tenor Norbert Schmittberg wurde für den Eisenstein als Gast engagiert. Er verbindet kräftigen und wortdeutlichen Gesang mit geradezu komödiantischer Darstellung. Die Rolle wird öfters auch mit einem Bariton besetzt. Die Tenorbesetzung ermöglichte dem Regisseur einen besonderen Gag. Da Rosalinde eine Schwäche für Tenöre hat, präsentiert sich Eisenstein im Gefängnis als „erster Tenor“ und schmettert ebenso wie Gesangslehrer Alfred Zitate aus berühmten Tenorpartien.

Joana Caspar meistert die gesanglichen und darstellerischen Anforderungen der Rosalinde erstklassig; vor allem der gefürchtete Czardas der „ungarischen Gräfin“, teilweise in sehr tiefer Lage, kann als schwierige Opernarie gelten.

Evelyn Czesla als Zofe Adele spielt sehr spritzig. Beim Auftritt hat sie aber ebenso wie Svetislav Stojanovic als Alfred zunächst Höhenprobleme; beide legen im Laufe des Abends aber deutlich zu. Führten die vielen Proben vor der Premiere vielleicht zu Ermüdung? László Lukács sang den hochliegenden Dr.Falke etwas angestrengt; darstellerische Präsenz glich das weitgehend aus. Sängerisch und darstellerisch erstklassig sind Pavel Czekala als kräftiger Gefängnisdirektor Frank und Luis Lay als Advokat Dr. Blind; bei letzterem gefällt, dass er diese oft vertrottelt gegebene Figur zwar komisch, aber nicht lächerlich spielt und zudem das schnelle Parlando noch schön singt.

Die Soiree bei Prinz Orlofsky wird gerne für Einlagen von Überraschungsgästen genutzt. Das leisteten diesmal zu einer mitreißend musizierten Polka „Unter Donner und Blitz“ fulminant drei Solopaare des Trierer Tanztheaters, die Herren zum Teil auch mit verblüffender Akrobatik. Schade, dass die Tänzer nicht namentlich genannt wurden. Mag das der Überraschung geschuldet sein, so kann das nicht für die Alternativbesetzung bei den Sängern gelten. In den verkauften Programmen ist bei drei Alternativbesetzungen nicht angegeben, wer tatsächlich auftritt; Achtung der Künstler wie des Publikums sollten die kleine Mühe wert sein, ein Einlageblatt zu drucken und in das Programmheft einzulegen.

Die „Fledermaus“ wird zunächst noch am 9. und 30. November gespielt, dann vermehrt im Dezember (u.a. Silvester) sowie von Ende Januar bis Anfang März.

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