„Ich habe immer noch Dinge zu sagen“

Und plötzlich ist er wieder da. Obwohl er nie weg war. Mit „Loyalty“ hat Philllip Boa gerade sein bestes Album seit knapp 20 Jahren veröffentlicht. Am 8. November stellt er mit seinem Voodooclub das abwechslungsreiche neue Werk im Exzellenzhaus vor. hunderttausend.de sprach mit dem Indie-Musiker, der mehrere Monate im Jahr auf Malta verbringt, über die Bedeutung des Albumtitels, seinen Zweitwohnsitz im Mittelmeer und über das „totale Glücksgefühl“.

Logo von hunderttausend.dehunderttausend.de: Nach „Boaphenia“ ist auch auf dem neuen Album „Loyalty“ wieder ein Hund zu sehen. Ist das Ihrer?

Phillip Boa: Nee. Es geistern zwei Hunde durch diese Sessions. Einen kenne ich, das ist ein Bekannter von mir – der Besitzer des Hundes. Den anderen hat der Fotograf auf Malta gefunden. Er ist eine Woche lang rumgefahren und hat Sachen gesucht. Zum Beispiel komische Hunde.

Der Albumtitel in Verbindung mit dem Cover suggeriert, dass die einzige Loyalität nur zwischen Hund und Mensch besteht. Oder ist das ironisch gemeint?

Boa: Das kann jeder auffassen, wie er will. Du kannst es ironisch sehen – das ist okay. Du kannst es auch als leichten Hinweis darauf sehen, dass die Loyalität/Freundschaft heute hier und da mit steigender Tendenz geopfert wird, ohne dass die Leute es merken. Stattdessen herrscht Egoismus vor. Aber man kann es auch einfach ästhetisch oder ironisch sehen.

Es gab also keinen persönlichen Grund, sich mit dem Thema „Loyalität“ zu beschäftigen?

Boa: Nein, es gab keinen bestimmten Anlass. Aber ich bin ein neugieriger Mensch, der viel herumreist, der viel im Netz surft, der viel beobachtet und Dinge auch kritisiert. Ich kritisiere aber nie direkt und werde auch nicht direkt politisch. Ich bin vielleicht eher wie ein Schriftsteller, der Kurzgeschichten schreibt und die dann auch vertont.

Sie verbringen jedes Jahr mehrere Monate auf Malta und haben dort auch zum Teil Ihr Album aufgenommen. Von Malta heißt es bei Max Goldt, „[…] daß diese Insel dichter bebaut sei als das Ruhrgebiet, […] daß es kaum etwas anderes zu essen gebe als Pommes frites und verkohlten englischen Toast mit Butter, […] und daß man zumindest außerhalb der Strandsaison nicht wesentlich mehr anstellen könne, als mit uralten, daher allerdings immerhin legendären gelben Bussen von einer regenschauerheimgesuchten Kleinstadt in die nächste, der vorigen nicht nur in puncto Wetter sehr ähnelnden, zu fahren“. Trifft diese Beschreibung zu?

Boa: Wenn ich das als Malteser lesen würde, fühlte ich mich fast rassistisch angegriffen ob so einer Kleingeistigkeit und touristisch-oberflächlichen Beobachtung. Ich kann das nicht bestätigen.

Ich will auch nicht mein Leben lang auf Malta verbringen, weil es eine Insel ist und ich schlecht weg kann. Aber Malta ist komisch. Und wenn man dort guten Fisch essen will, findet man den auch. Es gibt viele Schriftsteller und Musiker, die dort leben, Malta spielt in wichtigen Büchern eine Rolle wie von Thomas Pynchon oder Anthony Burgess… Aber wenn man so etwas nicht sehen will, sieht man es auch nicht. So etwas pisst mich an.

Was schätzen Sie an Malta?

Boa: Ich bin auf Malta, weil dort im Januar und Februar meistens ein sehr schönes Klima ist und es direkt am Meer ein hervorragendes Studio gibt. Ich fühle dort eine Narrenfreiheit.

„Loyalty“ hat es bis auf Platz 13 in den Charts geschafft – so hoch wie noch keines Ihrer Alben zuvor. Das macht Sie auch für Mainstream-Medien interessant. Wie gehen Sie mit Anfragen um?

Boa: Dass wir auf Platz 13 der Album-Charts sind, liegt nur an dem schwachen Zustand der Charts. Ich ignoriere solche Anfragen. Das Medium Fernsehen interessiert mich überhaupt nicht. Ich habe dagegen eine absolute Abneigung.

Ihr Album wird von Kritikern sehr gelobt. Wie erklären Sie es sich, dass ein Album ein Erfolg wird und ein anderes nicht? Liegt das an ihrer eigenen Verfassung oder an der Zusammensetzung des Teams?

Boa: Puh, ich habe keine Ahnung. Ich gebe immer mein Bestes. Ich weiß nicht, ob „Loyalty“ besser ist als die letzten Alben – für mich nicht. Ich kann mir nicht erklären, warum die Leute die neuen Songs besser finden als die davor.

Vielleicht, weil sie wieder reif sind für ein Boa-Album?

Boa: Ich versuche, Gefühle auszudrücken. Vielleicht passt das in die Zeit als – trotz allem – warm und ästhetisch klingendes Gegenstück zu vielen Oberflächlichkeiten oder Kunst oder Musik, die nur gemacht wird, um damit Geld zu verdienen. Diese Platte kommt sehr aus dem Herzen. Da sind wir auch wieder bei dem Hund. „Loyalty“ ist rein und unschuldig. Vielleicht sehnen sich die Leute danach. Ich versuche, das jetzt nur zu erklären. Ich weiß nicht, ob das stimmt.

Ihr letzter Auftritt in Trier liegt knapp zehn Jahre zurück. Gibt es Städte, auf die Sie sich freuen bei einer Tour?

Boa: Du hast irgendwo eine geniales Konzert. Dann kommst du drei Jahre später wieder dorthin und es ist nur noch halb so genial. Es hängt immer von dem Abend ab und nicht unbedingt von der Venue oder von der Stadt. Entweder ist die Magie da oder nicht. Von unseren ersten fünf Gigs dieser Tour war sie dreimal da und zweimal nicht. Ich hoffe, der Zuschauer merkt das nicht zu sehr, wenn sie nicht da ist.

Weil Sie sich früher nicht scheuten, sich auch mal mit Zuschauern anzulegen, hatten Sie einen gewissen Ruf in der Szene. Gibt es heute immer noch „Arschloch“-Rufe aus dem Publikum?

Boa: Ab und zu. Dann schmunzelt man darüber. Es stört mich nicht.

Haben Sie sich vor 20 Jahren Ihr Leben 2012 so vorgestellt, wie es heute ist?

Boa: Als wir 1985 unsere erste Platte „Philister“ aufgenommen haben, war das ein reines Hobby. Wir haben studiert und gedacht, dass es cool wäre, wenn wir 500 Platten verkauften. Nach dem zweiten Album haben wir das immer noch gedacht. Wir glaubten, dass es sowieso nicht so weitergehen kann. Dann bekamen wir einen Plattenvertrag mit Polydor, wo ich langsam dachte: Oh, es geht ja immer noch weiter. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir dennoch nicht vorgestellt, dass ich das so lange mache. Andererseits gibt es für mich auch nichts Besseres. Ich entdecke immer neue Sachen und die Zeiten ändern sich extrem. Ich habe immer noch Dinge zu sagen. Und es ist immer noch ein geiler Job. Wenn man ein Konzert gibt, alles funktioniert und man hinterher total kaputt ist, ist das ein totales Glücksgefühl.

Christian Jöricke

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.