„Hoffentlich bleibt er uns noch eine Weile erhalten“
Seit April durfte sich der Musiker und Komponist Toots Thielemans auf den „EuroCore-JTI Jazz Award“ in der Kategorie „International“ freuen. Eine fünfköpfige Jury hatte den Belgier im Frühjahr für den mit 10.000 Euro dotierten Preis ausgewählt. Am vergangenen Freitagabend fand im Rokokosaal des Kufürstlichen Palais die Preisverleihung statt. Auch wenn der hochbetagte Altmeister des Jazz die beschwerliche Reise nach Trier nicht antreten konnte – durch eine stimmungsvolle Melange aus Festkonzert, Laudatio, Live-Mitschnitten und Interviews schien es fast so, als wäre er persönlich anwesend. Manch einen rührte das zu Tränen.
TRIER. An einem Gespür für subtile Feinheiten mangelt es den Veranstaltern des „Jazzclubs EuroCore“ sicherlich nicht. Um einer Musikrichtung zu huldigen, die im Laufe ihrer Entwicklung mit manch althergebrachten Rhythmen und Konventionen gleichermaßen gebrochen hat, wählte man das Kurfürstliche Palais als Veranstaltungsort. Die Symbolik der Kulisse greift wunderbar, denn spöttisch prangt die offensichtliche Asymmetrie der Außenfassade dem strengen Harmoniebedürfnis der Renaissance entgegen.
Mit einer kurzen Ansprache an die rund 60 Gäste eröffnet der Vorsitzende des Jazzclubs, Thomas Schmitt, die Preisverleihung. Der eingefleischte Jazzfan erinnert daran, dass sich der Vorstand aus der Programmgestaltung verabschieden werde. Gleichzeitig versichert er, dass dies keine Auswirkungen auf die Zukunft der Auszeichnung habe. Auch Triers Kulturdezernent und Schirmherr der Veranstaltung, Thomas Egger, zeigt sich optimistisch: „Wir treffen uns in einem Jahr wieder hier, um den vierten Award zu vergeben.“ Schmitt dankt den Jurymitgliedern, „ohne die es kein angemessenes und in Fachkreisen akzeptiertes Ergebnis“ gäbe. Die Akzeptanz beruht auf dem Renommee der Juroren. Ulrich Beckerhoff, Professor an der Folkwang Hochschule Essen, Musikjournalist Ralf Dombrowski, Peter Kleiß vom Saarländischen Rundfunk, Nachtkritik-Autor Rainer Nolden sowie Professor Manfred Eichel aus Berlin – sie alle zählen in Fachkreisen zu Kennern der Jazzszene.
In diesem Jahr habe man sich recht schnell auf den Kandidaten Thielemans einigen können, erzählt Jurymitglied Beckerhoff, der die Moderation übernommen hat. „Normalerweise ist es nicht so einfach, da es viele namhafte Musiker in der Region gibt.“ Schmitt saß ebenfalls in der Jury – allerdings ohne Stimmrecht. Er beschreibt seine Rolle in dem Gremium folgendermaßen: „Bei den Diskussionen habe ich zwar stets meine Meinung gesagt, dabei jedoch nie Druck ausgeübt.“ „Zum Glück!“, wird ihm manch ein Jünger Thielemans entgegenrufen wollen, denn mit entwaffnender Offenheit ergänzt er: „Ich selbst hätte Toots Thielemans einfach vergessen.“
Denjenigen, die dem künstlerischen Leiter des Festaktes, Ralf Dombrowski, bei seiner Laudatio lauschten, wird das nicht passieren. Er selbst fand Anfang der Neunziger Jahre zu Thielemans. „In einem Plattenladen bekam ich das Brazil Project von Thielemans in die Finger.“ So ziemlich jeder, der „in Brasilien gerade angesagt war“, sei auf der Platte vertreten gewesen, „vor allem aber dieser Mundharmonikaspieler.“ Gemeint ist natürlich Thielemans, von dem Dombrowski sofort fasziniert gewesen war. Es erklingt ein Lied von besagter Platte. Zu hören ist Thielemans zusammen mit dem brasilianischen Sänger Joao Bosco. Mit geradezu unverschämter Selbstverständlichkeit fügen sich die Klänge der Mundharmonika in die exotische Klangwelt Südamerikas ein. Dieser brodelnde Cocktail, so Dombrowski begeistert, habe ihn weggeblasen.
Asthmatiker mit Schuhschachtel
Mit lebendigen Worten führt er durch das Leben des Preisträgers, der „über viele Umwege zu einem der bekanntesten Europäer des Jazz avanciert war.“ Er erblickte 1922 in Brüssel als Jean Baptiste Thielemans das Licht der Welt. Den Eltern gehörte ein Café in der Stadt. Ein Akkordeonist habe dort jedes Wochenende zum Vergnügen der Gäste gespielt. Das machte Eindruck auf den dreijährigen Jean Baptiste: „Er schnappte sich eine Schuhschachtel und imitierte den Mann mit der Quetschkomode.“ Man schenkte ihm ein Akkordeon, doch schon bald zeigte er sich von dem Repertoire gelangweilt. Dann trat die Mundharmonika in sein Leben. Dombrowski führt aus: „Als 14-Jähriger hatte Thielemans Larry Adler erlebt, einen Mundharmonikavirtuosen der frühen Jahre.“ Daraufhin habe er sich ebenfalls solch ein Instrument besorgt. Das Musizieren sei für ihn, den Asthmatiker, gleichzeitig auch eine Art Atemtherapie gewesen. Doch zu der Zeit nahm man ihn noch nicht ernst, erklärt Dombrowski. „Ein Freund überließ ihm eine Gitarre, damit er sich in den Clubs sehen lassen konnte.“ Nach dem Willen seines Vaters, so der Laudator weiter, wäre Toots Mathematiklehrer geworden. Doch immer öfter „trifft man ihn auf den Bühnen der Clubs und nicht auf den Bänken der Pennäler.“ 1949 lernte er die Bebop-Ikone Charlie Parker kennen, wurde vollends vom Jazzvirus erfasst und siedelte schließlich 1951 in die USA über.
Dombrowski startet ein Video, worin Thielemans über sein Leben sinniert. Man sieht einen weise dreinblickenden älteren Herrn, dem der Schalk in den Augenwinkeln sitzt. Er redet: „Ich bin in den Fünfzigern durch die USA gereist, habe Mundharmonika gespielt und dabei gepfiffen. Alle Erfahrungen, die Empfindungen, das ist wie ein Computer, und das alles kommt dann beim Musizieren aus dir raus.“
Dazu ergänzt Dombrowski, dass das Pfeifen und Mundharmonikaspielen zu Thielemans Markenzeichen avancierte. Dadurch sei der Mann aus Belgien „zu einem Weltstar des Jazz und zu einem der großen Erzähler melancholischer Geschichten“ geworden, der die Mundharmonika vom Underdog-Image befreit habe. Auch als Komponist habe sich Thielemans einen Namen gemacht. Unweigerlich kommt Dombrowski dabei auf sein wohl bekanntestes Werk zu sprechen: Die Bluesette. Diese habe Thielemans selbst als „eine Lebensgeschichte in 12 Takten“ bezeichnet. Für den Musikkritiker verbindet sich darin „der Esprit der Musette, des Gypsy Swing mit einer Prise Amerika.“
Mehrfach wird die gelungene Ehrung durch die musikalischen Einlagen einer eigens für den Festakt zusammengestellten Formation bereichert. Mit sichtlichem Vergnügen performen Matthias Nadolny (Saxofon), Glauco Venier (Piano), Bart De Nolf (Bass) und Bruno Castellucci am Schlagzeug, letzterer dermaßen sympathisch mit dem Publikum und seinen Bandkollegen feixend, dass man seine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Danny DeVito getrost auch auf den Humor übertragen kann. Der Schlagzeuger aus Brüssel ist es dann auch, der stellvertretend für Thielemans den Preis entgegennimmt. An der Gestaltung des Awards erkennt man die Handschrift des Kulturpartners Japan Tobacco International Germany, der das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro stiftete: Zwei stilisierte Halbbögen recken sich im grünen Corporate Design des Konzerns empor und lassen sich je nach Gusto als Tabakblatt, als Firmenlogo oder als aufsteigender Rauch interpretieren.
„Ich hoffe, er bleibt noch eine Weile bei uns“
Bruno Castellucci kennt Thielemans seit 40 Jahren. Er erzählt von seiner Besessenheit zur Musik, die trotz seines hohen Alters ungebrochen sei: „Das Beste für ihn ist immer noch die Bühne. Das größte Problem dabei ist nur, da hinaufzukommen.“ Thielemanns sei zwar für seinen Humor bekannt, auf der Bühne jedoch herrsche volle Konzentration. Plötzlich steigen dem quirligen Schlagzeuger Tränen in die Augen und verleihen dem Moment etwas Erhabenes: „Er spielt einfach so himmlisch, ich hoffe, er bleibt uns noch eine Weile erhalten.“
In einer abschließenden Rede an die treibenden Kräfte hinter dem Jazzclub bedankt sich Beckerhoff für das ehrenamtliche Engagement: „Man kann nicht genug würdigen, was ihr in den letzten 35 Jahren für uns gemacht habt.“ Die Worte sind vornehmlich an Schmitt und seine Frau gerichtet, doch dieser winkt bescheiden ab. Schließlich habe man auch selbst profitiert und Künstler nach Trier geholt, die man sonst nur aus dem Lexikon kenne. „Ich habe mit Joe Zawinul Slibowitz getrunken, wer kann das sonst von sich behaupten?“ Möge die Erinnerung daran so klar sein wie der Schnaps, auf dem sie beruht.