Global denken – lokal trinken

Zeichnung: Teresa HabildDer luxemburgische Großherzog ist so etwas wie eine in jeder Hinsicht bessere Version des deutschen Bundes­präsidenten. Der „Grand Duc“ ist nicht nur eines der reichsten Staatsoberhäupter Europas und käme damit nie in die Ver­legenheit, sich wegen eines nicht selbst bezahlten Bobby-Cars rechtfertigen zu müssen, Henri ist auch immer eleganter (oder zumindest origineller) angezogen als Joachim Gauck, Christian Wulff und Horst Köhler zusammen. Er ist zudem ent­schieden attraktiver und könnte bei einem Lex-Barker-Ähnlichkeitswettbewerb lo­cker einen guten zweiten Platz einfahren. Joachim Gauck dagegen sieht ein bisschen aus wie eine leicht derangierte Version von Carl Fredricksen, Horst Köhler versprüht den Charme eines Sparkassendirektors und Christian Wulff sieht aus wie, nun ja, Christian Wulff.

Der größte Vorteil Henris gegenüber dem aktuellen deutschen Bun­despräsidenten ist aber, dass er sich aus der Politik einfach raushält. Der evange­lische Pastor Gauck dagegen hat zu allem und jedem eine Meinung und diese einfach mal für sich zu behalten, ist seine größte Stärke sicher nicht. Luxemburgs Groß­herzog dient als Staatsoberhaupt rein de­korativen Zwecken, Politik gemacht wird woanders. Im Parlament, der „Chamber“, natürlich, in der sich Parteien gegenüber­stehen, die auf den ersten Blick mit ihren deutschen Geschwistern und Cousinen verwechselt werden könnten. Aber eben nur auf den ersten Blick.

So könnte man die CSV beispielsweise als luxemburgische CSU missverstehen. Sie stellt (fast) immer den Premier und lässt netterweise gelegentlich die Liberalen oder sogar die Sozialisten mitregieren. Sie ist aber gesellschaftspolitisch entschieden liberaler als die Bayernpartei und tief im linksrheinischen Katholizismus verwur­zelt. Mehr „levve un levve losse“ als „mia san mia“ sozusagen, eher FC Köln als Bay­ern München. Geführt wurde sie jahrzehn­telang von Jean-Claude Juncker, den man sich ein bisschen wie den jungen Helmut Kohl vorstellen kann – nur in kleiner, wit­ziger und sprachbegabter. Also vielleicht doch eher wie Helmut Schmidt, allerdings mit einem höheren Zigarettenverbrauch.

Zu seinen besten Zeiten hat Juncker so ziemlich jeden politischen Job in Luxem­burg zur „Chefsache“ erklärt und einfach selbst erledigt, jetzt ist er als Präsident der europäischen Kommission für viele Lu­xemburger so etwas wie ein Großherzog der Herzen. Die CSV steckt nach seinem Abgang und dem Verlust der Regierungs­macht in einer tiefen Krise, aus der seit 2014 Marc Spautz den Weg weisen soll. Dessen phänotypischer Zwillingsbruder Claude Haagen leitet ebenfalls erst seit die­sem Jahr die LSAP, die sozialistische Par­tei Luxemburgs. Die ist eher links von der deutschen Sozialdemokratie zu verorten, ihr sind Austern näher als Austerität und sie hat sich von der Idee des „guten Lebens für alle“ noch nicht verabschiedet. Sie ist – ebenfalls im Gegensatz zu ihrer deutschen Schwester – auch bemerkenswert kirchen­kritisch. Während viele deutsche Sozialde­mokraten verkappte Herz-Jesu-Sozialisten sind, lösen ihre luxemburgischen Kollegen gerade die enge Verbindung von Staat und Kirche in Luxemburg und säkularisieren das Ländchen in einem Tempo, das den deutschen Sozis den Angstschweiß auf die Stirn treiben würde.

Sie tun das gemeinsam mit der liberalen Partei Luxemburgs, der DP, die den Pre­mierminister stellt und die man beim bes­ten Willen nicht mit der deutschen FDP vergleichen kann. Die DP ist konstant er­folgreich bei Nationalwahlen, stellt zum zweiten Mal den Premier des Landes und ihr Präsident Xavier Bettel ist einer der beliebtesten Politiker Luxemburgs. Ihre deutsche Schwester- oder eher Cousinen­partei (dritten Grades) sehnt sich dagegen wohl gerade nach den „goldenen Zeiten“ unter ihrem großen Vorsitzenden Philipp Rösler zurück.

Luxemburg hat auch ein parteipolitisch organisiertes Sammelbecken für wütende weiße Männer: die ADR. Die hat – ähnlich wie ihr bundesdeutsches Pendant, die AfD – als Ein-Punkt-Partei angefangen und ist jetzt eine national-populistische Bewe­gung geworden, die sich trotz permanen­ter interner Auseinandersetzungen in der luxemburgischen Parteienlandschaft hal­ten kann. Ihr stramm rechter, ehemaliger Vorsitzender Fernand Kartheiser kann als Ex-Doppel- bzw. Dreifachagent (SREL, CIA, GRU) auf einen – vorsichtig formu­liert – bunten Lebenslauf verweisen und ist damit zumindest interessanter als der deutsche Ned-Flanders-Verschnitt Bernd Lucke. Kartheiser versteht sich allerdings selbst als Speerspitze des luxemburgi­schen „Antifeminismus“ (hinter der Spitze kommt dann glücklicherweise nicht mehr sehr viel Speer) und hat sich als Vorsitzen­der der mit dem Akronym „HODILUX“ eher unglücklich bezeichneten Männer­vereinigung entsprechende „Verdienste“ erworben.

In der „Chamber“ tummeln sich weiter­hin die „Gréng“, die ähnlich wie ihr deut­sches Pendant gerne von Zahnärzten mit schlechtem Gewissen gewählt werden und die „Lénk“, die von Leuten gewählt wird, die die LSAP für eine Art getarnte Escher Untergruppe der CSV halten.

Zusammengehalten wird die „Chamber“ vom Vorsitzenden des Abgeordneten­hauses Mars Di Bartolomeo. Von dem ist bislang nicht überliefert, ob er sich schon für die bemerkenswert pragmati­sche Sparidee seinen Vorgängers Laurent Mosar begeistern konnte. Mosar hatte als luxemburgische Sofort-Reaktion auf die europäische Finanzkrise vorgeschlagen, in der Bar des Abgeordnetenhauses fortan nur noch luxemburgischen Crémant statt französischen Champagner ausschenken zu lassen.

„Global denken – lokal trinken“ scheint das Motto der luxemburgischen Krisenbekämpfung gewesen zu sein. Der volkswirtschafliche Nutzen dürfte dabei zwar überschaubar bleiben, aber es kom­me ja auf das Symbolische an, so Mosar. Ernsthafte Sorgen um den Zustand Lu­xemburgs und Europas sollte man sich also machen, wenn man in nächster Zeit sogar Großherzog Henri Crémant trinken sieht. Bis dahin kann man es getrost mit dem Musiker Serge Tonnar halten, der mit seiner Band „Legotrip“ Entwarnung gibt: „Fir déi Aarm wéi fir déi Räich, t ass fini­to mam Schampëss aus Frankräich. ‘T gëtt just nach Crémant an der Chamber – mee Gott sei Dank sinn ech do net Member“¹.

Tom Lenz

¹ Für die Armen wie die Reichen ist jetzt Schluss mit dem „Schampess“ aus Frankreich. Es gibt nur noch Crémant in der „Chamber“. Aber Gott sei Dank bin ich da kein Mitglied …

Hier geht es zum vorherigen Teil der Trier-Luxemburg-Kolumne “Pendler pauschal”: “Der ‚Preiss‘ ist heiß”.

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