Es geht um die Wurst!

Skeptisch ist der Saarländer, wenn die beste Lyoner aus Trier kommen soll. Foto: Christian JörickeLange hat man nichts vom 16vor-Kolumnisten Meyer Frank gehört. Keines der Themen, die Trier in den vergangenen Monaten bewegte, konnte ihn aus der Reserve locken. Nun aber hat sich vor wenigen Tagen etwas ereignet, wozu er nicht länger schweigen kann, nämlich zum „Lyoner-Krieg“, oder, wie es richtiger heißen müsste, zur „Lyoner-Krise“. Denn natürlich ist das eine Krise – für die Saarländer – wenn festgestellt wird: Die beste Lyoner kommt aus Trier!

„Haste schon gehört?“, fragte mich der Backes Herrmann, und in seiner Stimme war etwas beunruhigend Triumphierendes.
„Ne, was?“, antwortete ich, und versuchte, nicht neugierig zu klingen.
„Na, das mit dem Lyoner!“
„Mit welchem Lyoner?“
„Na, mit dem besten Lyoner der Welt. Die kommt nämlich nicht aus dem Saarland, sondern aus Trier, vom Metzger Martin!“
Der Herrmann machte eine Pause, um mir Gelegenheit zu geben, mich von diesem Schlag zu erholen. Aber ich machte auf unbeeindruckt.
„Was sagst du dazu?“ drängte der Herrmann.
„Dazu sage ich nur: Dann bin ich hier in Trier ja richtig!“
Und das war nicht einmal gelogen. Denn, wie so oft wird der Saarländer schon wieder völlig missverstanden: Der freut sich nämlich grundsätzlich darüber, wenn er auch fern der Heimat einen hochwertigen Lyoner kriegt. Wer die wo hergestellt hat, ist ihm eigentlich … genau: Wurscht!

Wenn ausgerechnet in Trier-Nord ein ausgezeichneter Lyoner (und ja, es heißt der Lyoner!) produziert wird, wäre ich doch der Letzte, der sich nicht darüber freut. Aber Moment: Was schert mich die Fleischerinnung Nordrhein-Westfalen? Die hat nämlich den Preis vergeben, also diesen Fleischwurst-Pokal. Na und? Das sagt noch gar nichts. Was hat ein NRW-Fleischwurstpokal mit „unserer“ Nationalwurst zu tun. Bei Lyoner akzeptiere ich als Maß aller Dinge nur: MICH! Ich also ab in die Paulinstraße zur Fleischerei Martin.

„Tach, ich hätt gern ‚en Schdrubbe Lyoner!“, so geht nämlich der echte Lyoner-Stresstest! Man muss selbst eine ausreichende Menge probieren. Und da kommt’s nicht nur auf Speckanteile und Ingwerbeimischungen an. Da geht’s um Emotion!

Die Leute in der Metzgerei merken zwar, dass ich Saarländer bin, scheinen aber nicht zu wittern, dass sie sich in einer Art Testsituation befinden. Immerhin reagiert man gelassen auf meinen unverhohlen saarländischen Akzent, und die Fachverkäuferin weiß spontan mit der Mengenangabe „Schdrubbe“ umzugehen. Sie nimmt einen Ring (auch „Ringel“ genannt) und setzt das Messer an.

„Es muss kään so großer Schdrubbe sinn, es kann ruhisch aach en klääner Schdrubbe sinn. Ich will jo nur mol probiere!“ Die Frau hinter der Theke verzieht keine Miene und tut wie ihr geheißen. Sie scheint an Typen wie mich gewöhnt zu sein.

Wie alle, die im Saarland aufgewachsen sind, hab ich als kleiner, kulinarisch noch unschuldiger Bub in unserer Dorfmetzgerei jedes Mal ein Stück Lyoner zum Probieren gekriegt. Jede ordentliche Metzgerei zwischen Nonnweiler und Kleinblittersdorf macht das so. Man wird sozusagen früh gezielt angefixt. Wenn man ein richtiges Saarländerkind ist, reißt man der Fleischwarenfachverkäuferin das Lyonerstück gierig aus der Hand und verschlingt es mit einem glücklichen Lächeln. Bei Kindern, die bockig den Kopf abwenden und zu heulen beginnen, oder beim Versuch der Zwangsverköstigung angewidert ausspucken, liegt der Verdacht nahe, dass irgendwas mit den Kleinen nicht stimmt. Vermutlich sind sie gar keine echten Saarländer und am Ende ist da sogar irgendwo Pfälzer im Erbgut.

Später, wenn man zu groß ist, um Lyoner über die Theke gereicht zu bekommen, dient die Nationalwurst als Mittel zur Tröstung, als Ersatzbefriedigung oder als Liebesbeweis. Ich verbinde quasi ausschließlich positive emotionale Erlebnisse mit dem Lyoner: In der D-Jugend gegen den SV Gronig-Oberthal verloren? Macht doch nix, da schmiert die Mama einem zuhause einen Lyonerweck. Oder bei der Party keine der Dorfschönheiten abgekriegt? Nicht so schlimm, da macht man sich einfach zusammen mit den anderen übriggebliebenen Jungs nachts um halb zwei noch eine Lyonerpfanne (oder Meyer Kurts berühmte „Lyoner-Muffins“). Oder nach dem Abi wochenlang in Südfrankreich abgehangen, wo es nix gab außer Bouillabaisse und roten Corbiéres? Keine Bange, es ist Besserung in Sicht: Bei der Heimkehr macht die Freundin einem erst mal ein Stubbi zum „Ringel“ Lyoner auf!

Ach so, ab dem Fleischtheken-Anfixen muss im Laufe der Jahre natürlich kontinuierlich die Dosis erhöht werden: Anfangs gibt’s, wie gesagt: „en Stückche“; darunter muss man sich eine etwas zu dick geratene Wurst-Scheibe vorstellen. Aber der Lyoner ist keine Scheibe, er ist (nein, keine Kugel) ein Ring(el). Und zu eben dieser Einheit arbeitet man sich im Laufe der Jahre hoch. Aufs „Stückche“ folgt der „Schdrubbe“, also ein größeres Stück, wobei ein „klääner Schdrubbe“ auch ein Endstück sein kann, während ein „großer Schdrubbe“ immer schon so lang ist, dass er eine veritable Krümmung aufweist. Die erste kritische Stufe – manche würden auch sagen: den kulinarischen Gesellenbrief – hat man als Konsument erreicht, wenn man bei einer einzigen Mahlzeit einen „halben Ring“ schafft. Und irgendwann kommt dann der saarländische Ritterschlag, nämlich wenn man derselben Metzgersfrau, die einem als Kind das „Stücksche“ hingehalten hat, sagt: „Gib mir mol en halwe Ring … oder wäschde was, mach mir gleich zwo halwe!“, und sie daraufhin antwortet: „Ei, dann hol doch gleich en ganzer Ringel!“

"Mag der Bub e Stück Wurscht?" - da werden Kindheitserinnerungen wach. Foto: Christian JörickeIch kenne wirklich Menschen, ich lüge nicht, die können einen ganzen Ring Lyoner auf einmal essen. Dass können aber nur Saarländer, weil man sich, wie eben in dem „Lyoner-Einheiten-Einmaleins“ geschildert, über Jahre hinweg hochtrainieren muss.

Und ja, ich gestehe, ich hab in meinem Leben auch schon eine Menge Lyoner gegessen – guten und schlechten übrigens – ich will gar nicht wissen, wie viele Ringe da zusammenkommen. Mehr als die olympischen sind es allemal. Und, hat es mir geschadet (Vorsicht! Das ist eine rhetorische Frage)? Ich bin doch auch so groß und stark geworden, 1,85 und 92 Kilo, um genau zu sein. Gut, wenn ich sämtliche Lyoner meines Lebens durch Grünkernbratlinge ersetzt hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich auch 1,85 groß geworden, würde aber wohl mindestens zehn Kilo weniger wiegen. Man darf so eine lyonerhaltige Kindheit im Saarland also nicht nur positiv sehen.

Aber dass das gleich klar ist – und ich weiß gar nicht, ob das Nicht-Saarländer verstehen: Ja, auch ich kriege, obwohl ich heute zum Glück deutlich zurückhaltender mit meinen Fleischkonsum bin, ja, ich kriege hin und wieder Lust auf einen Schdrubbe oder einen halben Ring Lyoner. Ja, ich bin ein trockener Lyoniker!

Und als solcher muss man wissen, bei wem man sich guten Stoff besorgen kann. Ich also mit meinem frisch erworbenen Lyoner auf eine Parkbank vor der Paulinkirche: Pur-Verkostung! Kein Stubbi dabei, kein Brötchen, schon gar keinen Senf oder Maggi. Das alles hatten wir früher beim Dorfmetzger an der Fleischtheke auch nicht. Wir hatten ja nix, damals nach dem Krieg, außer dem nackten Lyoner.

Jaaa, der Geruchstest ist durchaus vielversprechend. Der erste Biss: eine überraschend ansprechende Konsistenz, die Lyoner vom Metzger Martin lässt sich wunderbar kauen und entfaltet ein würziges Muskat-Koriander-Aroma auf der Zunge. Im Abgang schmecke ich vielleicht einen Hauch zu viel Ingwer, der aber den angenehmen leichten Räucher-Geschmack nicht stört.

Mmmmmnja, gut, kann man essen! So, Metzgerei Martin, jetzt können Sie stolz sein – jetzt haben Sie’s nicht nur von den westfälischen Fleischwurstfleischern schriftlich, sondern auch von einem echten saarländischen Endverbraucher, der sich kein bisschen darum schert, ob dieser Lyoner südlich oder nördlich der Hermeskeiler Demarkationslinie entstanden ist. Hauptsach‘ gudd gess! Gern auch vom Metzger aus Trier-Nord.

Wer sind also die eigentlichen Nutznießer des so genannten Lyoner-Krieges? Richtig: Die Trierer Exil-Saarländer!

Nachtrag: Eigentlich wollte ich zum Dank den Backes Herrmann zu ein paar selbstgemachten Lyonermuffins (nach dem Rezept vom Meier Kurt) einladen. Aber der Herrmann lebt jetzt gesund: Macht nicht nur Sport, sondern ist inzwischen auch Vegetarier geworden, aber dazu ein andermal mehr…

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