Ein Geben und Nehmen

Vom Akkuladegerät bis zum Heizölkessel: Seit Monaten wechseln in einer Facebook-Gruppe Habseligkeiten den Besitzer. Mit „Free Your Stuff“ ist die alte Idee der Tauschwirtschaft in der virtuellen Welt angekommen. An diesem Freitag findet in den Räumen der Grünen Rakete am Domfreihof ab 15 Uhr der erste „Free Your Stuff“-Markt statt, mit dem die digitale Tauschgemeinschaft in die analoge Realität überführt wird.

TRIER. Es ist ein ärgerliches Ungleichgewicht: Was in einem Haushalt vielleicht seit Jahren ein trostloses Dasein als ungenutzter Staubfänger fristet, wird an anderer Stelle schmerzlich vermisst und ersehnt: Druckerpatronen, Babyschuhe oder auch ein Bassist für eine Death-Metal-Band. War es bislang ein seltener Glücksfall, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen, hält die Kommunikationsmaschine Internet mittlerweile die Instrumente bereit, passende Paare systematisch zusammenzuführen.

„Free Your Stuff“ ist eine Plattform für das Geben und Nehmen, eine Facebook-Gruppe, die seit ihrer Gründung vor einigen Monaten die Mitglieder in Scharen anzieht. Wohl auch, weil die Regeln des Prinzips so einfach gestrickt sind: Wer etwas loswerden will, leitet seine Meldung mit einem „GIVE:“ ein, wer dagegen etwas sucht, mit einem „NEED:“, der Rest reguliert sich von selbst. Gegründet wurde die Gruppe im sozialen Netzwerk von Luise Borek, einer Jungwissenschaftlerin, die zufällig einen Free-Your-Stuff-Markt in Luxemburg besuchte, bei dem die Gegenstände ohne finanzielle Gegenleistung die Besitzer wechselten: „Ich wusste erst nicht, was mich dort erwarten würde und hatte die leise Befürchtung, dass dort vielleicht eine aggressive Gratis-Mentalität herrschen würde“, erzählt sie. Tatsächlich habe sie den Tag dann aber ganz anders wahrgenommen: „Die Atmoshäre dort war wahnsinnig angenehm. Es hat mich beeindruckt zu sehen, wie das Geben und Nehmen ohne Geld funktioniert. Es herrschte eine entspannte und familiäre Stimmung, die alten Besitzer haben sich gefreut, zu sehen, dass ihre Altlasten ein neues Zuhause finden“.

Unter dem Eindruck dieser Erfahrung gründete Luise Borek noch am gleichen Abend eine Facebook-Gruppe für die Region Trier. Innerhalb weniger Stunden hatten bereits hunderte Nutzer auf „Gefällt mir“ geklickt und sich rege in das virtuelle Tauschgeschäft gestürzt. Bis heute tummeln sich mehr als 3000 Mitglieder in der Gruppe, die – im Gegensatz zu manch anderen unverbindlichen Zusammenschlüssen – nicht als Karteileichen geführt werden, sondern in regem Miteinander kommunizieren. „Ich dachte anfangs, dass man viel stärker moderierend eingreifen müsste, aber vieles regelt die Community unter sich“, berichtet Borek. Wenn jemand zum Beispiel eine Preisvorstellung angibt, wird er von den Nutzern sachte aber bestimmt darauf hingewiesen, dass Geld hier keinen Wert hat. Aber nicht nur mit materiellen Gegenständen, auch mit Rat und Tat helfen die Mitglieder einander aus. „Einmal hatte eine junge Frau jemanden gesucht, der einen Ofen anschließen kann. Unter diesem Post hat sich dann ein langer Dialog entwickelt, in dessen Verlauf ein anderer Nutzer ihr quasi live erklärt hat, welche Kabel in welche Anschlüsse gehörten“, erzählt sie mit einem Lächeln. „Bei solchen Geschichten hat man das Gefühl, wie durch ein Fenster in die Wohnungen und Leben anderer Menschen zu schauen“

Während in der luxemburgischen „Free Your Stuff“-Szene ein politisches Selbstverständnis gepflegt wird und die Tauschwirtschaft als antikapitalistische und konsumkritische Aktion auftritt, nehmen die Trierer Organisatoren des „Free-Your-Stuff“-Markts Abstand von einem sozialkritischen Anspruch: „Wir sehen darin einfach eine tolle Methode, Menschen aus unterschiedlichen Kreisen zusammenzubringen, die vielleicht voneinander profitieren können. Es geht uns nicht darum, nur eine bestimmte Klientel anzusprechen, sondern wir wollen gerade offen für alle sein“, erklärt Kokolores-Betreiber Olek Olchawa, der gemeinsam mit Gruppengründerin Luise Borek am Freitag den 1. Trierer Free-Your-Stuff-Market ausrichtet.

Die Entwicklung der Nutzerstatistik bestätigt diesen Anspruch: Seien es anfangs zunächst Studenten gewesen, die aktiv getauscht hätten, habe sich die Gruppe mittlerweile durchmischt. Eine Entwicklung, mit der Luise Borek vollends zufrieden ist, wäre da nicht der Wermutstropfen des Mediums, das den Rahmen bildet: „Über Facebook erreicht man zwar sehr schnell sehr viele Menschen. Aber der Idee, dass alle mitmachen können, läuft ein abgeschlossenes soziales Netzwerk eigentlich zuwider“, gibt sie zu bedenken. „Von der katastrophalen Datenschutzpolitik wollen wir gar nicht erst sprechen.“

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