Die neueste Masche

Ein Trend geht um und macht auch vor Trier nicht Halt: „Urban Knitting“, „Yarn Bombing“ oder auch „Guerilla Knitting“ heißt die softe Straßenkunst, die seit wenigen Jahren den öffentlichen Raum erobert. Mithilfe gestrickter, bunter Überzüge werden Bäume, Straßenlaternen und Verkehrsschilder verschönert. Seit einigen Wochen treffen sich willige Urban Knitter im Café Momo in Trier-Ost zum gemeinsamen Stricken, gemütlichen Plaudern und Pläneschmieden. Dabei geht es den überwiegend weiblichen Teilnehmern weniger um politische Kunst als um glückliche Gesichter. Doch was nicht ist, kann noch werden.

TRIER. Ein Nachmittag im Ostteil der Stadt. Eine junge Frau blickt durch die große Fensterfront des Café Momo in den früh dämmernden Wintertag hinaus. Einzig ein gusseiserner Ofen fehlt, vor dem sich kleine Kätzchen zusammenrollen können, so gemütlich ist es. Vor der Frau liegt eine große Tüte mit Wollknäueln auf dem Tisch. Sie freut sich sichtlich darüber. Der Grund: Wolle ist ihr Werkstoff, und die vorliegende Tüte beherbergt eine mütterliche Wollspende. Die junge Frau mit der lustigen Stupsnase heißt Linda und ist eine Anhängerin des Urban Knitting in Trier.

Urban Knitting lässt sich biederdeutsch als „Stricken im städtischen Raum“ übersetzen und stellt eine recht junge Form der Straßenkunst dar, bei der Gegenstände des (halb)öffentlichen Raumes durch gestrickte – und möglichst bunte – Überzüge eine optische Aufwertung erfahren. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt: Bäume, Laternen, Brückengeländer, selbst verwahrloste Fahrräder sind vor der wolligen Zwangsverschönerung nicht sicher. Erfunden wurde die Aktionsform 2005 in Texas. Dort formierte sich unter dem Namen „KnittaPlease“ die erste Urban Knitting-Gruppe. Ihr Spezialgebiet: Türklinken und Telefonbuden.

Andreas Schmidt hat das Urban Knitting zwar nicht nach Trier gebracht. Das haben diejenigen, die einige Statuen im Palastgarten eingestrickt haben. Oder die Mitglieder des Wollkreises der hiesigen Waldorfschule, die die Bäume auf dem Schulgelände verschönerten. Er ist aber der erste, der den Strickkünstlern über die wöchentlichen Treffen im Café Momo ein Forum für gemeinschaftliches Stricken und geselligen Austausch bietet. Der Freiraumplaner reist oft in die Staaten. Berufsbedingt sei er ein visuell veranlagter Mensch, und so fielen ihm auf seinen Reisen „viele schöne Dinge“ auf. An der sonnigen Westküste der USA hat er die gestrickten Kunstwerke zum ersten Mal entdeckt. Er findet, dass seine Heimatstadt von diesen Eindrucken profitieren solle – und sagt sich: „Jetzt warst du schon in der halben Welt unterwegs, dann kannst du auch etwas davon nach Trier tragen.“

„Jeder kann machen, was er will“

Halb im Scherz bemerkt Linda, dass Schmidt sich selbst dabei wohl eine eher passive Rolle zugedacht hat: „Andreas will immer mitmachen, letztendlich sitzt er aber nur mit seinem Laptop dabei.“ An diesem Nachmittag sollte er beweisen, dass er auch stricken kann. Doch sein Platz bleibt leer, ausgerechnet heute.

Linda ist von Anfang an dabei. Ihre Strickkünste hat sie in einem Crashkurs bei der Mutter aufgefrischt. „Im Prinzip“, erklärt sie, sei Stricken nichts weiter als „eine sehr stupide Handbewegung. Man muss einfach den Dreh raus haben.“ Was ihr an Urban Knitting so gefällt: „Es gibt kein Konzept. Jeder kann machen, was er will.“ Mit ihrem jüngsten Werk tritt sie den Beweis an: Ein rechteckiger, etwa DIN A4 großer Fetzen, bei dem nahezu jede Masche eine andere Farbe aufweist. Eine der Wollreihen besteht aus golden glitzernden Fransen, die gleichermaßen Assoziationen an Indianerkleidung und Musikvideos der Neunziger wecken. Ein besonderer Hingucker, der zweifellos die Blicke der Passanten auf sich ziehen wird.

So wie die etwa ein Meter lange Wollhülle, die einen dicken Ast des gegenüber des Cafés stehenden Baumes ziert. Rund zehn Stunden habe man daran gestrickt, erzählt Linda. Sie räumt ein, dass die Strickerei natürlich auch Übungssache sei: „Meine Mutter schafft es bestimmt schneller, die macht das seit zwanzig Jahren.“ Doch um Schnelligkeit geht es nicht; hätte man sonst das Café Momo als Treffpunkt gewählt, das schon mit seinem Namen für Entschleunigung steht? Und folgt das Stricken nicht auch demselben Muster wie die Arbeitsweise des geduldigen Straßenkehrers Beppo? Die Antwort ist eher pragmatisch: „Das Café Momo ist einfach das schönste Café der Stadt.“

Wunderschöner Blödsinn

Derweil läuft eine Mutter mit ihrem Kind an dem verzierten Baum vorbei. Sie hält kurz inne und beäugt die wärmende Astbekleidung. Das Kind zeigt mit dem Finger darauf und freut sich. Die Nähe dieses Erstlingswerkes zu seinem Entstehungsort ist ein großer Vorteil, denn so lässt sich die Resonanz der Fußgänger direkt beobachten. Und die fällt meist positiv aus, auch wenn Schmidt von anderen Reaktionen zu berichten weiß: Von „Wunderschön!“ bis „was für ein Blödsinn, strickt doch was Sinnvolles für arme Kinder!“ – alles ist dabei.

„Meine Oma fände das auch total blöd“, ist Linda überzeugt. „In ihren Augen wäre es nur Verschwendung von Wolle.“ Mittlerweile ist die Psychologiestudentin Lea hinzugekommen. Sie argumentiert dagegen an: „Die haben früher einen Haufen Teddys gestrickt, die nachher nur herumlagen. So gesehen hatten die auch keinen Nutzen.“

Durchschnittlich nehmen fünf bis sieben Personen an den Treffen teil. Das Sozialprofil ist homogen: Studentin, Mitte zwanzig. Doch auch zwei Jungs seien schon dabei gewesen und hätten sich wacker geschlagen, erzählt Linda. Lachend fügt sie hinzu: „Stricken ist ja auch so einfach – das können sogar Männer.“ Doch beide haben sich durch eine eher männlich konnotierte Handlung eingebracht: Während Linda das Strickerzeugnis an besagtem Baum drapiert hat, hielten sie den Stuhl fest, auf dem sie stand. Sie mutmaßt: „Vermutlich ist Stricken eher ein Frauending.“

Es sind vor allem feministische Aktivistinnen, die die Strickguerilla als politische Aktionsform verstanden wissen wollen, als weibliches Gegenstück zu Graffiti und Tags, die aggressiv konnotiert sind und das männliche Dominanzverhalten widerspiegeln. Der Gruppe in Trier sind politische Ambitionen bislang fremd: „Das Stricken soll die Stadt einfach schöner machen“, klärt Linda auf. Doch Lea findet, dass es noch politisch werden könne. Zuvor müsse man sich jedoch „erst auf eine gemeinsame politische Message einigen“. Auf die Strickerei als Ausdrucksmittel will man sich aber nicht beschränken. Leas Vorschlag: „Barbiepuppen. Denen könnte man Protestschilder in die Hände drücken.“

„Die Porta bleibt erstmal Nigra, oder?“

Auch Schmidt will das Urban Knitting als solches nicht als politisch ansehen – auch wenn die Strickereien im öffentlichem Raum auftauchen, der sich stets auch als Arena politischer Auseinandersetzungen deuten lässt. Dem Landschaftsarchitekten komme es eher darauf an, „städtische Nischen zu aktivieren und zu verschönern“. Er glaubt, dass es gerade in nichtgestalteten Räumen oftmals Aufenthaltsqualitäten gebe. Bei zukünftigen Projekten sei es auch durchaus denkbar, dass man die Stadt mit ins Boot nehme: „Die sind schon offen für so was.“ Mögliches Konfliktpotenzial mit den Stadthäuptern sieht er keines: „Keine Angst, wir wollen nicht die ganze Stadt einstricken. Die Porta bleibt erstmal Nigra, oder?“ Letztlich gehe es ihm bei all seinen Projekten „um die Menschen und um strahlende Gesichter“.

Diese sind den Urban Knittern gewiss, sollte das Wunschprojekt von Lea realisiert werden. Breit grinsend erzählt sie von dem Vorhaben. Die Details sind geheim, doch sollte sich niemand wundern, wenn der frech entblößte Hintern der Skulptur „Torso vor Raster“ des Künstlers Waldemar Otto an der Universität Trier demnächst von einer gestrickten Unterhose bedeckt wird. Wer weiß, vielleicht wird man schon von Weitem ein goldenes Glitzern erahnen können.

Weiterer Artikel zum Thema: „Strickmantel für Verkehrsschild„.

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