„Die größte Veränderung im Kino seit 100 Jahren“

Der technische Fortschritt macht auch vor dem Kinosaal nicht Halt. Immer mehr Kinobetreiber wagen den Sprung ins digitale Zeitalter und rüsten auf moderne Projektionsanlagen um. Nicht immer geschieht dies freiwillig: Filmproduzenten bieten ihre Werke künftig nur noch als digitale Datenpakete an und verbannen die analoge 35mm-Filmrolle langsam, aber sicher auf die Dachböden nostalgischer Cineasten. Obwohl Bund und Länder die hohen Kosten der Digitalisierung mit Förderprogrammen drücken wollen, könnte die Umstellung für einige Programm- und Nischenkinos das Aus bedeuten. Auch an Triers überschaubarer Kinolandschaft zieht die Entwicklung nicht spurlos vorüber, und auch der Verein cineasta an der Universität muss sich etwas einfallen lassen.

TRIER. Angehende Filmwissenschaftler werden den Anfang vom Ende der analogen Filmära vielleicht auf das Jahr 2002 datieren. Damals starteten die sechs größten US-amerikanischen Filmstudios – darunter 20th Century Fox, Universal und Paramount – die sogenannte Digital Cinema Initiative (DCI), die sich für weltweit einheitliche Standards des zukunftsträchtigen digitalen Kinos stark machte. Mit Erfolg, so lässt sich heute sagen: Waren in Deutschland Ende 2010 lediglich 27 Prozent aller Kinoleinwände für die Wiedergabe des neuen Standards gerüstet, sind es mittlerweile bereits rund 60 Prozent. Experten sind sich einig, dass die Umstellung spätestens innerhalb des nächsten Jahres vollzogen sein wird. Im Zuschauersaal wird dies derweil kaum registriert – eine Revolution, still wie ein Stummfilm. Eine Revolution, die nach Meinung des CinemaxX-Theaterleiters Bernhard Benischek „die größte Veränderung im Kino seit 100 Jahren“ darstellt.

Die technisch anmutenden Detailfragen bergen große Chancen, aber auch Risiken, nicht zuletzt für die Programmkinos, denen sinkende Besucherzahlen besonders zu schaffen machen – so auch in Trier. Denn bislang sorgen die hohen Kosten der analogen Filmkopien – die sich auf bis zu 1000 Euro pro Exemplar belaufen – dafür, dass die Filmproduzenten nur eine begrenzte Anzahl davon auf den Markt bringen. Dadurch gehen viele Kinos beim offiziellen Filmstart leer aus. Dirk Ziesenhenne kann davon ein Lied singen: „Da die analogen Kopien dann vom Markt sind, kommen wir erst im Abstand von sechs bis acht Wochen, manchmal noch später an die Filme“, so der Betreiber des „Broadway“-Filmtheaters. Doch die Halbwertszeit neuer Filme ist kurz, genau wie die Aufmerksamkeitsspanne vieler Kinobesucher. Wenn die begehrte Filmrolle endlich in der Paulinstraße landet, kräht kaum noch ein Hahn danach.

Hier könnte die Digitalisierung Abhilfe schaffen. Kleine, kompakte Festplatten können viel schneller in Umlauf gebracht werden und die neuen Filme zeitnah an den Mann bringen. Auch kostet eine digitale Kopie lediglich den Bruchteil seines analogen Pendants, sodass künftig auch kleinere Filmstudios mehr Kopien bereitstellen können. Künftig wird es sogar möglich sein, die Filme direkt über eine Satellitenverbindung auf den Server zu laden. Zeit ist Geld, auch und gerade in der schnelllebigen Kinobranche.

Gleichzeitig droht dadurch die Arbeitsteilung zwischen dem alternativ angehauchten „Broadway“ und dem eher auf Mainstream ausgerichteten „CineMaxX“ aufgeweicht zu werden – mit unabsehbaren Folgen. Zwar begrüßen es Programmkino-Besitzer wie Ziesenhenne, dass „das digitale Format den Markt für alternativen Content außerhalb des Hollywood-Mainstreams öffnet“, aber es besteht die Gefahr, dass die großen Kinoketten in fremden Gewässern fischten und nunmehr leichter verfügbare Undergroundfilme zeigen, sobald diese mit hohen Gewinnerwartungen locken.

„Erinnert sehr an Orwell“

Umgekehrt wird es schwieriger für die kleinen Kinos, die ganz großen Fische aus Hollywood an Land zu ziehen. Schuld daran sind die hohen technischen Anforderungen, die die großen Majors aus den USA mit dem neuen Standard in Beton gegossen haben. „Die DCI-Norm stelle ich in Frage, da sie uns von Amerika aufgestülpt wurde und aus Programmkino-Sicht überdimensioniert ist“, sagt Ziesenhenne. Die Majors begründen ihre Starrköpfigkeit mit dem Verweis auf die strikten Sicherheitsanforderungen, die durch die Digitalisierung notwendig werden. Fabian Schauren, Vorstandsmitglied im Bundesverband für kommunale Filmarbeit, erklärt warum: „Alle Vorschläge, die sich unterhalb der DCI-Norm bewegen, lassen keine Verschlüsselung der Daten bis zum Schluss zu.“ Durch diese Schwachstelle wird eine illegale Verbreitung der Filme einfacher. Nach Meinung von Ziesenhenne verschiebt sich die Machtbalance dadurch eindeutig zugunsten der Verleiher, die dafür sorgen, dass der Film bei den Kinos ankommt. „Die Verleiher sind theoretisch in der Lage, zu jedem Zeitpunkt den Hahn abzudrehen, wenn es zu Differenzen im Geschäftsverhältnis kommt. Das halte ich für gefährlich.“ De facto spielt diese Konstellation letztendlich den großen US-Majors in die Hände: sechs von sieben unterhalten ein eigenes Verleihunternehmen in Deutschland.

Überhaupt müssen die Verleiher viel Kritik einstecken. Obwohl sie aufgrund der wegfallenden Auslieferungskosten der digitalen Kopien viel Geld sparen, beteiligen sie sich nur sehr widerwillig an der Finanzierung der Umrüstung. Zugesagt sind 20 Millionen Euro, die über ein Treuhandmodell der Filmförderungsanstalt mit Sitz in Berlin ausgegeben werden sollen. Bislang hat sich jedoch nur wenig getan. Die Taktik scheint klar: Die Verleiher stecken den Kopf in den Sand und hoffen so, sich bei den Umrüstungskosten aus der Verantwortung stehlen zu können. Deshalb richteten Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sowie zahlreiche Kinoverbände im vergangenen Februar einen Appell an die Branche und forderten eine Auszahlung der versprochenen Summe.

Der Grund für das egoistische Gebahren der Verleiher ist im bisherigen Finanzierungsmodell zu suchen, der sogenannten Virtual-Print-Fee (VPF). Dabei übernehmen Drittunternehmen einen Teil der Kosten für die digitale Umrüstung. Langfristig holen diese sich das Geld zurück, indem sie eine Gebühr von den Verleihern einfordern, sobald ein Film erstmalig im digitalisierten Kinosaal läuft. Was mit rein kommerziell ausgerichteten Kinos gut funktioniert, droht bei kleineren Wettbewerbern zu scheitern. Die Versuchung ist groß, sich auf die großen Mainstream-Kinos zu versteifen.

3-D ist Trumpf

Die größten Gewinner der Digitalisierung sind die großen Kinoketten. Zum einen können sie leichter die hohen Kosten der Umrüstung schultern, die sich auf bis zu 70.000 Euro belaufen. Zum anderen lassen sie ihre Säle oftmals im gleichen Atemzug für das 3-D Kino fit machen. Dieses erfordert ebenfalls DCI-Norm und stellt die einzige Möglichkeit dar, die getätigte Investition mit höheren Eintrittspreisen zu amortisieren. Im CinemaXx in der Moselstraße beispielsweise sind Theaterleiter Benischek zufolge bereits drei von sieben Sälen mit modernster Technik digitalisiert, als Anreiz diente dabei der sich anbahnende 3-D-Trend. „Wir haben bislang ausschließlich vor dem Hintergrund der Einführung von 3D-Vorstellungen digitalisiert“.

Kleinere Kinos können die Digitalisierung nicht aus eigener Kraft schultern, sie sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Der Bund stellt jedoch Bedingungen. So muss eine Mindestumsatzgrenze von 40.000 Euro oder alternativ 8000 Besuchern pro Leinwand erreicht werden, um von den Fördertöpfen zu profitieren. Eine Ausnahmeregelung für Härtefälle sorgt dafür, dass Kinos in Orten mit weniger als 20.000 Einwohnern ebenfalls finanziell unter die Arme gegriffen wird. Flankiert werden diese Maßnahmen durch Förderprogramme der Länder. Das Broadway plant, in diesem Jahr auf den digitalen Datenzug aufzuspringen. Ziesenhenne ist jedoch skeptisch, dass anschließend Ruhe einkehrt. Denn während 35mm-Projektoren teilweise seit über 50 Jahren ihren Dienst verrichten, sind ihre digitalen Brüder ungleich fragiler und müssten regelmäßig ausgetauscht werden. Die Kosten dafür sind unbekannt. „Das ist eine schwerwiegende Frage, die nicht wirklich geklärt ist und die in ein paar Jahren als Bumerang auf uns zukommt.“

Studentenkino bleibt außen vor

Diejenigen, die vom staatlichen Geldsegen gerne profitieren würden, fallen durch das engmaschige Fördernetz. In diesem Jahr feiert der Trierer cineasta, der jedes Semester für ein alternatives Kinoprogramm im Hörsaal sorgt, sein 20-Jähriges Bestehen – zum Jubiläum wird er die Digitalisierung wahrscheinlich selbst finanzieren dürfen. Dies sei bei den Unikinos eher die Regel als die Ausnahme, erzählt Schauren, der sich seit acht Jahren im cineasta engagiert. Deutschlandweit seien ihm nur drei Studentenkinos bekannt, die eine Förderung erhielten. Diese würden entweder viel Mainstream spielen oder durch häufige Filmvorstellungen – auch während der Semesterferien – auf ihre 8000 Besucher im Jahr kommen. Vonseiten der Universität erhoffe man sich zumindest einen symbolischen Beitrag. „Wir sind schon dankbar, dass sie uns seit 20 Jahren einen der größten Hörsäle zur Verfügung stellt.“ Die studentischen Kinogruppen haben während der Berlinale einen gemeinsamen Brief an Staatsminister Neumann sowie Bildungs- und Forschungsministerin Schavan abgeschickt, in welchem sie auf ihre missliche Lage aufmerksam machen.

Sollte es mit der Digitalisierung dennoch nicht klappen, gibt es immer noch eine letzte Möglichkeit: So habe man von prominenter Stelle bereits den Vorschlag bekommen, doch einfach „eine Blu-ray Disc einzulegen.“ Mit Kino hätte das aber nicht mehr viel zu tun.

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