„Der Schlafplatz sucht mich“

„Ist MC René tot?“, fragen die Kölner Rapper Huss und Hodn in ihrem Lied „Yo Kurt“ – und liefern die Antwort gleich mit: „Nee!“ Der gebürtige Braunschweiger gilt als eine der prägenden Kräfte des deutschen Hip-Hops der Neunziger. Danach wurde es ruhig um den Deutsch-Marokkaner, der im bürgerlichen Leben auf den Namen René El Khazraje hört. Vor zwei Jahren legte sich der Rapper eine Bahncard 100 zu, kündigte seine Wohnung, verschenkte Hab und Gut und wagte einen Neuanfang – als Comedian. Seither bereist er die Kleinbühnen Deutschlands und hat ein Buch über Erlebnisse geschrieben, die ihm zwischen Schiene und Schlafcouch widerfahren sind. Am Samstag gibt er in der „Grünen Rakete“ eine Kostprobe seines Sprachtalents. Im Interview spricht er über persönliche Beweggründe und miese Auftritte – und erklärt, wieso er der Chuck Norris der Schlafplätze ist. Wir verlosen zwei Plätze auf der Gästeliste.

16vor: Hallo René! Was hat dich dazu bewogen, komplett aus deinem alten Leben auszusteigen und als Comedynomade durch Deutschland zu reisen – mit den Zügen der Deutschen Bahn als gepolsterten Wohnsitzen?

MC René: Ich hatte nach meiner Zeit als Rapper einen Ausflug ins bürgerliche Leben gemacht und in einem Call Center gearbeitet – unter dem Alias Stefan Eckert. Das hat mich aber nicht befriedigt. Ich wollte mich neu definieren. Da hatte ich die Idee, mir eine Bahncard 100 anzuschaffen und Comedian zu werden.

16vor: Wieso ausgerechnet Comedy?

MC René: Ich war schon immer ein Künstler, der sich selbst nicht ernst genommen und viel mit Selbstironie gearbeitet hat. Im Hip Hop aber konnten die Leute Selbstironie teilweise nicht von Ernst unterscheiden. Jetzt ist das anders. Ich habe aber auch festgestellt, dass ich kein klassischer Comedian sein will, der nur lustig ist. Wenn ich eine ernste Situation wiedergebe, dann sage ich das auch. Ein wenig nerven mich die ganzen Comedians, die nur noch ihre Gag-Schiene fahren. Richtige Kunst zu machen bedeutet weit mehr als nur lustig zu sein.

16vor: Gab es denn pragmatische Gründe für deinen nomadenhaften Lebensstil? Auch mit festem Wohnsitz lässt es sich gut durch Deutschland touren…

MC René: Hätte ich eine Wohnung an der Backe gehabt, dann wäre das wesentlich unentspannter beim Reisen. Ich wollte aber frei sein von solchen Dingen und stattdessen das moderne Couchsurfing professionell betreiben. Dadurch konnte ich jede noch so kleine Bühne abgrasen und wieder ganz von vorne anfangen.

16vor: Was war die mieseste Location, zu der es dich verschlagen hat?

MC René: (Lacht) Oh, da gab es einige. Wo fange ich an? Ich bin in irgendwelchen Dorfkneipen und Fußgängerpassagen aufgetreten, da waren teilweise nur ältere Damen im Rollator im Publikum, oder die Leute sind kurz zur Toilette gegangen – und nie wiedergekommen.

16vor: Bei deinen Auftritten rappst du den Leuten nach wie vor gerne mal was vor. Nun tut sich manch einer schwer damit, darin eine würdige Kunstform zu erkennen. Wie kommen die Reime beim Publikum an?

MC René: Teilweise war ich überrascht, wie gut das ankommt. Zum Teil blickt man aber auch in leere, ausdruckslose Gesichter.

16vor: Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch über deine Reisen zu schreiben?

MC René: Eigentlich hatte ich gar nicht vor, ein Buch zu schreiben. Ich wollte nur mein Leben verändern. Aber die Geschichte war einfach so interessant und hat sich extrem schnell verbreitet. Dann kam eine Anfrage vom Rowohlt-Verlag, die hatten einen Bericht über mich in der mobil [Zeitschrift der Deutschen Bahn, Anm. d. Red.] gelesen und sich brennend für weitere Geschichten interessiert. Darüber hinaus war das Schreiben natürlich auch eine tolle Sache, um sich selbst zu reflektieren.

16vor: Wie beeinflussen sich die beiden Aspekte „Buch“ und „Auftritt“ gegenseitig? Und welche Rolle spielen dabei die Ereignisse, die dir auf deinen Reisen quer durch Deutschland widerfahren?

MC René: Im Prinzip bringe ich eine Mischung aus Comedy, Rap und Lesung auf die Bühne. Zu meinen Aufgaben als Künstler gehört es auch, Sachen zu erzählen, die nicht einfach im Buch stehen. Ich erlebe viele Dinge auf den Reisen und treffe viele Menschen, dadurch häufen sich die Anekdoten an. Diese streue ich dann zwischendurch ein. Wenn ich früher als Comedian auf die Bühne ging und erzählte, ich habe meine Wohnung gekündigt, dann hielten die Leute das für einen PR-Gag. Jetzt halte ich abendfüllende Lesungen. Da kommen die Leute zu mir und wollen hören, was ich erlebt habe. Die witzigen Sachen werden dadurch viel erfahrbarer. Und seit ich das Buch geschrieben habe, ist es viel lustiger, über den Versuch, ein Comedian zu sein, zu erzählen, als wirklich Comedy zu machen.

16vor: Schläfst du eigentlich auch im Zug?

MC René: Bei Nachtfahrten manchmal, aber das ist eher selten. Die meiste Zeit bin ich bei guten Freunden, die nehmen mich für ein paar Tage auf. Ich revanchiere mich dann immer, indem ich zum Beispiel den Kühlschrank vollmache oder Konzertkarten kaufe. Böse Zungen behaupten, ich würde wie ein Schmarotzer leben. Das stimmt nicht. Ich habe ein großes Netzwerk von Leuten, die teilweise früher bei mir waren. Meine Tür stand für bestimmte Leute und Freunde natürlich auch immer offen.

16vor: Du profitierst bestimmt von den Bekanntschaften, die du während deiner Zeit als Rapper geschlossen hast.

MC René: Teilweise schon, aber ich war schon immer ein umtriebiger Typ und viel unterwegs. Ich übernachte fast nur bei Freunden und Menschen, die ich zu meiner Familie zähle. Es kommt aber natürlich auch vor, dass man spontan bei jemand anderem nächtigt. Doch unabhängig davon: In meinem Postfach habe ich 200 Angebote von Leuten aus ganz Deutschland gesammelt, die mir Schlafplätze anbieten. Es handelt sich dabei entweder um alte Hip-Hop Fans oder um Leute, die sympathisch finden, was ich mache. Ich muss mir also keinen Schlafplatz mehr suchen – der Schlafplatz sucht mich! So Chuck-Norris-mäßig (lacht).

16vor: Für deinen Auftritt am Samstag hast du aber schon einen Schlafplatz?

MC René: Ich denke, die machen mir ein Hotel klar. Ich habe aber auch ein paar Kollegen in Trier, da ich schon ein paarmal dort war. Früher war ich auch im Exhaus – aber das ist schon sehr lange her.

16vor: Falls es dir jemand gleichtun möchte: Welche praktischen Tipps hast du für angehende Zugnomaden?

MC René: Nehmt vor allem nicht zu viel Gepäck mit! Am Anfang hatte ich den Sechs-Wochen-Tour-Koffer dabei: das Herumschleppen hat sehr genervt. Reduziert euch auf das Wesentliche. Klamotten für eineinhalb Wochen und ein Ebook-Reader anstelle von Büchern – der Platz fehlt sonst für Socken. Socken sind wichtig, die verliert man häufig. Socken und Shorts. Ein Handtuch ist auch immer gut – wie bei „Per Anhalter durch die Galaxis“ (lacht).

16vor: Mit dem Handtuch kann man auf der Bühne auch gut Stimmung machen… Was ist das skurrilste Erlebnis, das dir auf deinen Reisen widerfahren ist?

MC René: Einmal stand ich alleine am Gleis und hatte den Zug zur nächsten größeren Stadt verpasst. Ich kannte keinen, Handy war aus, kaum Kohle, und ich wusste nicht wohin. Ich ging also in diese Ministadt. Dort hatte noch eine Kneipe offen. Ich ging hinein. Drinnen saßen einige Mädchen; ich versuchte sie mit meiner Story zu beeindrucken, aber sie waren eher abgeneigt und hielten mich für einen Obdachlosen. Plötzlich umringten mich drei Typen und schauten mich finster an. Einer fragte: „Bist du nicht MC René?“ Ich überlegte schon, ob ich mich nicht lieber als Sido ohne Maske ausgeben sollte  – doch dann bejahte ich. Da erhellten sich ihre Gesichter: „Ey, voll cool, wir haben gehört, du fährst mit der Bahncard herum! Ey, du kannst bei uns pennen!“ Die haben mich dann bei sich aufgenommen.

16vor: Eine schöne Geschichte. Wie lange willst du diese Reiseschiene noch fahren?

MC René: Mittlerweile sind es ja schon fast drei Jahre – aufgrund der Versäumnis, die Bahncard 100 sechs Wochen vor Ablauf der Frist zu kündigen… Hin und wieder denke ich daran, mir wieder eine Wohnung zu nehmen. In absehbarer Zeit ist auch angedacht, Köln als festen Wohnsitz zu etablieren. Das nächste Dreivierteljahr ziehe ich das aber noch durch.

GEWINNSPIEL: Das Buch „Alles auf eine Karte“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen. 16vor verlost zwei Plätze auf der Gästeliste für die Lesung und den Auftritt von MC René in der „Grünen Rakete“ am Samstag. Wer teilnehmen möchte, sollte folgende Frage richtig beantworten können: 1993 trat MC René zum ersten Mal mit einem Freestylerap in ein breiteres Licht der Öffentlichkeit – damals noch mithilfe eines bekannten öffentlich-rechtlichen Senders. Wie heißen die anderen drei Rapper, die auf dieser historischen Aufnahme zu sehen sind? Bitte alle Namen an: gewinnspiel[at]16vor.de. Einsendeschluss ist Freitag, 14 Uhr. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.

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