„Der Journalismus wird weiblicher“

Vor ihrem Posten beim Trierischen Volksfreund war Isabell Funk von 2001 bis 2009 Chefredakteurin der Ludwigsburger Kreiszeitung. Davor gehörte sie der Chefredaktion der Lausitzer Rundschau an und arbeitete als Redakteurin verschiedener Lokalressorts der Saarbru?cker Zeitung. Foto: Marco PiecuchSeit 2009 ist Isabell Funk Chefredakteurin des Trierischen Volksfreunds. Damit gehört sie in Deutschland zu den wenigen Frauen an der Spitze einer Zeitung. Warum die Zukunft des Journalismus dennoch weiblich ist, was sie an den Menschen in der Region schätzt und wie es im TV ohne den vor zwei Monaten verstorbenen Redakteur Dieter Lintz weitergehen soll, erzählt die gebürtige Saarländerin im Gespräch mit 16 VOR.

16 VOR: Sie sind seit fünf Jahren Chefredakteurin beim Trierischen Volksfreund. Hätten Sie solch einen Posten lieber im vergangenen Jahrhundert gehabt, als es den Tageszeitungen noch rosig ging?

Isabell Funk: In diesen Zeiten war es sicherlich leichter, Chefredakteur zu sein – Chefredakteurinnen gab es da gerade mal ein oder zwei. Und bis heute hat sich da nicht wirklich viel bewegt. Die Anforderungen waren damals andere. Chefredakteure waren gewöhnlich die besten Schreiber, die sich schon mal einen Tag Zeit genommen haben, um einen Leitartikel zu verfassen. Ansonsten haben sie sehr stark inhaltlich gearbeitet.

Der Aufgabenzuwachs ist inzwischen enorm geworden. Wir brauchen immer wieder und immer schneller neue Ideen und frische Konzepte für Print und Online. Crossmediale Strategien, neue Erzählformen, überhaupt neue Publikumsansprachen sind gefragt. Früher war Zeitung mehr ein Selbstläufer. Heute verstehen wir uns als Medienhaus mit einem viel umfassenderen Aufgabenspektrum. Und das nicht nur im Bereich der Redaktion.

16 VOR: Unterscheidet sich die Leserschaft in Trier von der in der Lausitz oder in Ludwigsburg, wo Sie auch schon gearbeitet haben?

Funk: Unbedingt. Die Mentalitäten sind ja jeweils andere. Oder umgekehrt: Als Medienhaus muss man sehr stark auf Mentalitäten eingehen. Beispielsweise war die Erwartungshaltung in der Lausitz eine ganz andere. Da waren die Themen geprägt von einer anderen Wirklichkeit: Wendewirren, hohe Arbeitslosigkeit etc. Außerdem sind die Brandenburger von Natur aus etwas spröder und kerniger. Ich habe den Eindruck, hier sind die Menschen freundlicher, aufgeschlossener, geschmeidiger.

16 VOR: Oft sagt man den Trierern das Gegenteil nach.

Funk: Das sagen die Trierer selber über sich. Sie sind mit sich zu kritisch. In Baden Württemberg bin ich auch sehr freundlich aufgenommen worden, aber dort sind die Leute wieder anders, viel direkter. Hier ist der Umgang miteinander eher höflich.

16 VOR: Ach!

Funk: Immer im Vergleich zu anderen selbstverständlich. Man kommt sofort ins Gespräch und die Menschen sind unglaublich hilfsbereit Fremden gegenüber. Kürzlich war ich in der Eifel wandern und habe mich gerade nicht orientieren können. Zufälligerweise stand da ein Mann und fragte: „Kann ich ihnen weiterhelfen?“ Er hatte einen Wanderführer dabei und sagte: „Den können Sie mitnehmen. Schicken Sie ihn mir einfach zurück.“ Da war ich platt.

16 VOR: Die verkaufte Auflage des TV ist in den vergangenen zwei Jahren um 5000 gesunken. Wie sieht die Entwicklung der Stadt-Ausgabe im Vergleich zu den elf übrigen Regionalausgaben aus?

Funk: Das ändert sich von Monat zu Monat. Sie haben von der Printauflage gesprochen. Zur Auflage gehören aber zum Beispiel auch der Einzelverkauf und die Digitalabos. Es gibt mittlerweile nicht übermäßig viele, aber eine wachsende Zahl von Menschen, die aufs Digitalabo umsteigen oder es zusätzlich buchen. Es ist immer so: In Städten sinkt die Auflage schneller, weil in Städten die Fluktuation höher ist und die Bindung zur Region nicht so stark wie auf dem Land. Auf dem Land sind die Auflagen meist stabiler.

Wir haben aber kürzlich – ich sage jetzt nicht in welcher Region – im Bereich einer Lokalausgabe eine Nichtleser-Befragung gemacht. Dabei stellten wir fest: Das sind gar keine Nichtleser. 90 Prozent lesen jeden Tag Zeitung. Es entstehen also Lesegemeinschaften. Das ist für uns ärgerlich und kann im größeren Rahmen auch bedrohlich für uns werden. Das ist den meisten aber gar nicht bewusst.

„Eine neue Druckmaschine als Investition in die Zukunft“.

Als Investition in die Zukunft haben wir uns eine neue Druckmaschine angeschafft. – See more at: http://archiv.16vor.de/der-journalismus-wird-weiblicher-2014-10-06/?preview=true&preview_id=76801&preview_nonce=a8a868c52a#sthash.fEIFmGU6.dpuf
Als Investition in die Zukunft haben wir uns eine neue Druckmaschine angeschafft. – See more at: http://archiv.16vor.de/der-journalismus-wird-weiblicher-2014-10-06/?preview=true&preview_id=76801&preview_nonce=a8a868c52a#sthash.fEIFmGU6.dpuf

16 VOR: Kürzlich kam auf Arte die Sendung „Journalismus von morgen“. Darin wurde ein australischer Wissenschaftler zitiert, der behauptet, dass es 2030 in Deutschland keine Tageszeitungen mehr gebe. Wie sehen Sie die Zukunft der Tageszeitung?

Funk: Ich kenne diese Auguren, aber ich lese nicht Glaskugel. Ich bin Journalistin und es ist wichtig, dass die Inhalte verbreitet werden. Ob das auf Papier oder einer anderen Plattform geschieht, kann uns im Grunde egal sein. Hauptsache, die Leute lesen noch Zeitung. Wenn ich „Zeitung“ sage, ist das jeder mögliche Kanal. Als Investition in die Zukunft haben wir uns eine neue Druckmaschine angeschafft. Denn natürlich verdienen wir unser Geld überwiegend mit Print. Da spielt uns der demografische Wandel übrigens durchaus in die Hände. Die Menschen werden älter, beziehen also auch länger Zeitung. Aber es gibt eben seit Jahren Kreise, die Print totreden wollen. Nur, wenn wir keinen professionellen Journalismus mehr haben – jetzt werde ich mal ganz pathetisch – dann stirbt die Demokratie.

Digital und Print sind nebeneinander gleich­berechtigt. Print hat genauso seine Daseinsbe­rechtigung. Wir machen uns viele Gedanken, was wir da noch machen können. Gleichzeitig betreiben wir aber auch das größte Webportal im Verbreitungsgebiet. Wir bieten ganz viele Möglichkeiten im Web an – auch Mischfor­men zwischen Print und Online. Wir tun das eine, lassen aber das andere nicht.

16 VOR: Sie klingen recht zuversichtlich. Der neue Besitzer macht keinen Druck, was die Printauflage angeht?

Funk: Die Rheinische Post ist ein großer Gewinn für uns. Wir können viele Synergi­en schöpfen. Der Verlag ist gut ausgestat­tet mit besten Reportern, die aus aller Welt berichten. Wir haben natürlich auch unsere Korrespondenten, aber dadurch können wir zusätzlich Content generieren – sowohl fürs Web, als auch die Zeitung.

Die Printauflagen in Deutschland sinken. Aber sie sinken nicht so signifikant. In Trier schon gar nicht. Man sollte das Eine nicht immer gegen das Andere ausspielen. Ich glaube an Komplementärmedien. Wir stei­gern auch in den Sozialen Netzwerken unse­ren Traffic. Wir sind auf allen Kanälen dabei. Was wird denn in den Sozialen Netzwerken diskutiert?! Entweder Privates oder das, was aus den Zeitungen oder Nachrichtensendern kommt. Und wer generiert diese Inhalte?! Journalisten – professionelle Journalisten.

16 VOR: Nun ist es eine Sache, die verschie­denen Kanäle zu nutzen, um Informationen zu verbreiten. Die andere ist, das auch fi­nanziert zu bekommen. Kann man von den Einnahmen auf volksfreund.de die drei On­line-Redakteure bezahlen?

Funk: So rechnen wir nicht. In vielen Häusern gibt es eine Trennung zwischen Print- und Online-Redaktion. Das war bei uns schon immer anders. Bei uns sind die Online-Redakteure den Printredakteuren gleichgestellt. Wir produzieren Inhalte und Möglichkeiten des Sich-informierens. Wir sind dabei, neue Formen des Storytellings zu entwickeln und volksfreund.de für das semantische Web zu optimieren, das heißt, dass man mit einem Klick alle gesammelten Themen zu einer Person oder einem Ort ab­rufen kann. Wir optimieren an vielen Stellen, um möglichst alle Leute zu erreichen.

Foto: Marco Piecuch16 VOR: Wie gefällt Ihnen volksfreund.de als Nutzerin?

Funk: (lacht) Ich finde mich zurecht. Doch alle Dinge, die man mal geschaffen hat, müs­sen immer wieder überprüft und überarbei­tet werden. Mir geht es in erster Linie nicht ums Gefallen. Wichtig sind Auffindbarkeit und Übersichtlichkeit.

16 VOR: Wenn man die Seite öffnet, wird man jedoch von Werbung erschlagen.

Funk: Aber die Zugriffe sind in den vergan­genen zwölf Monaten deutlich höher gewor­den. In Schönheit sterben, kann nicht das Rezept sein. Wenn wir keine Werbung ha­ben, verteuert sich das Produkt.

16 VOR: Vor zwei Jahren hat der TV eine Paywall eingeführt. Warum muss es immer noch so viel Werbung sein?

Funk: Sind wir mal ehrlich, die Paywall ist es nicht, mit der wir Geld verdienen. Wir wollen damit vor allem zeigen: „Pass mal auf, wenn du in die Bäckerei gehst, kriegst du das Brötchen auch nicht umsonst. Und wenn du journalistische Leistung haben möchtest, be­zahl bitte auch dafür.“ Das ist auch gerecht gegenüber den Printlesern, weil die auch ihr Abo oder ihre einzelne Ausgabe bezahlen. Die Kostenlos-Mentalität wurde leider auch durch die Verlage gefördert. Inzwischen richten immer mehr Medien Paywalls ein.

16 VOR: Wir merken, dass es immer schwie­riger wird, Mitarbeiter und vor allem gute Mitarbeiter zu finden. Wie ist Ihr Eindruck?

Funk: Mein Eindruck ist: Der Journalismus wird weiblicher. Wenn wir Volontärsstellen ausschreiben, melden sich 80 bis 90 Prozent Frauen.

16 VOR: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Funk: Der Journalismus war lange Zeit eine typische Männerdomäne. Dann ist das auf­gebrochen. Ich war eine von ganz wenigen Frauen, als ich angefangen habe. Doch im klassischen Journalismus gibt es nicht mehr so viele leitende Stellen. Die Hie­rarchien sind flacher geworden. Es existieren also nicht mehr so viele Aufstiegschancen in diesem Beruf. Will heißen: Menschen mit Karriereabsichten findet man nicht mehr so leicht wie früher. Da kommen die Frauen ins Spiel. Frauen sind noch immer nicht so kar­riereinteressiert wie Männer.

16 VOR: Wie sehr ein Medium von guten Mit­arbeitern abhängt, merkt man jetzt durch den Tod von Dieter Lintz. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon erfahren haben?

Funk: Ich habe es nicht begriffen. Ich habe es nicht geglaubt und nicht begriffen. Das blieb auch eine ganze Weile so. Ich bin sofort ins Büro gefahren und zu meinem Stellver­treter gegangen, der mich informiert hatte, und habe gesagt: „Das stimmt doch nicht.“ Das war ein Schock. Dieter Lintz war ein so liebenswerter Mensch und ein toller Kol­lege. Da habe ich nicht daran gedacht, was jetzt mit dem Volksfreund wird. Es ist der menschliche Verlust, der so schwer wiegt.

16 VOR: Nichtsdestoweniger müssen Sie an seine Funktion beim Trierischen Volksfreund denken. Wie kann seine Lücke gefüllt werden?

Funk: Gar nicht. Dieter Lintz ist nicht er­setzbar. Aber das gilt für alle Menschen. Ich halte es für einen blöden Spruch, dass alle Menschen ersetzbar seien. Weil Dieter Lintz so engagiert war, hat er sich in viele Dinge mehr reingehängt, als eigentlich gefordert war. Was seine Arbeit betrifft, bin ich gerade dabei, Themen, die er betreut hat, neu zu ver­teilen. Wir werden die Stelle des Leitenden Redakteurs nicht mehr besetzen. Unter den Chefreportern und anderen Kollegen werden wir seine Aufgaben verteilen und an anderer Stelle einen neuen Arbeitsplatz schaffen. Üb­rigens aus der Reihe unserer Volontäre.

16 VOR: Können andere Redakteure das auffangen, was journalistisch durch ihn weggefallen ist? Er war schließlich prägend für die Zeitung.

Funk: Er war prägend. Aber wir sollten ande­ren Mitarbeitern auch die Chance geben, neue Aufgaben zu wuppen. Sie werden es anders tun als Dieter Lintz. Das muss auch so sein.

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