Der erste Hut ist immer der schwerste

„Der erste Hut ist immer der schwerste!“ Moment, klicken Sie nicht gleich weg, da wird noch ’ne Kolumne draus. Versprochen! Das erste Mal soll ja angeblich immer das schwerste sein. Der erste Kuss zum Beispiel ist oft so ein Fall (vor allem, wenn man so blöd ist, ihn auf der Kirmes zu riskieren, wo das halbe Dorf zusehen kann). Der erste Zahn, der einem gezogen wird, soll auch der schlimmste sein – dem stimme ich aber nicht zu. Und von „dem“ ersten Mal will ich garnicht erst anfangen. Ich weiß ja nicht, wann andere Männer sich den ersten Hut ihres Lebens kaufen. Bei mir jedenfalls war das letzte Woche. Und wahrscheinlich wäre mir der erste Hut nicht so schwer gefallen, wenn ich nicht durch eine magische Tür in der Brotstraße einen Zeitsprung gemacht hätte.

TRIER. Der Backes Herrmann ist schuld. Der meinte, zurecht übrigens: „Wenn du dauernd Sonnenbrand auf der Stirn hast, kauf dir gefälligst einen Sonnenhut. Du bist jetzt sowieso im Sonnenhutalter!“

„Ja, und wenn du dir einen Strohhut kaufst“, befahl die „Neue“ vom Backes Herrmann, die in Stilfragen sehr eigen ist, „dann gleich einen ordentlichen, einen Panamahut oder sowas, in einem Fachgeschäft.“

„Ich hab da neulich eine kostenlose Ur-Pils-Mütze dazugekriegt, als ich im Getränkemarkt zwei Stubbikästen gekauft habe. Die könnte ich doch vielleicht…“

„Nein!“, würgten Herrmann und seine Neue meinen Versuch gleichzeitig ab, „Ur-Pils-Mütze geht garnicht, schon überhaupt nicht in Trier, die kannste zuhause beim Schwenken anziehen. Hier nicht!“

Ich also in die Brotstraße zum Männerhütefachgeschäft. Fachgeschäft klingt teuer. Ich glaube, da lass ich mich einfach nur beraten und besorge mir nachher einen von indischen Kinderhänden maschinell gestanzten Ein-Euro-Hut.

Als ich dann vorm Hutladen stehe, habe ich zuerst den Eindruck: „Oha, der ist ja zu, und zwar wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten.“ Für das ausgeblichene (eher schon verblichene) Stetson-Plakat, das als Deko die Eingangstür zum Laden ziert, würde sich im Antiquitätenhandel sicher ein guter Preis herausschlagen lassen. Ich glaube nicht, dass sich das Museumsstück von Tür tatsächlich noch öffnen lässt. Mehr, um diesen Eindruck zu bestätigen, als um ernsthaft eintreten zu wollen, drücke ich die wacklige Klinke runter. Eine Türglocke bimmelt – und ich betrete das 19. Jahrhundert.

Das mit dem 19. Jahrhundert ist keine Übertreibung. Kurz nachdem eine Stimme aus dem Hinterzimmer „Komme gleich!“ gerufen hat, erscheint im Zwielicht der Durchgangstür ein zur Stimme gehörender alter Mann mit stoischem Blick. Unvorsichtigerweise lobe ich die beeindruckende Ladeneinrichtung aus dunklem Holz und werde von dem Besitzer darüber aufgeklärt, dass dieser Hutladen der älteste in Deutschland sei und bereits vor dreihundert Jahren gegründet wurde. Er selbst hüte (!) dieselben nun schon in der sechsten Generation und habe im Hinterstübchen noch Original-Hutmacherwerkzeug aus der napoleonischen Zeit.

In Konz-Roscheid, im Freilichtmuseum, kann man sich ja verschiedene nachgeahmte Läden aus vergangenen Epochen ansehen. Aber hier in der Brotstraße gibt es dazu auch noch lebendes Inventar. Auch die Raumluft stammt noch mindestens aus napoleonischer Zeit, ist seitdem aber schon unzählige Male durch Generationen von Hutkunden und durch die Atemwege des Lebendinventars zirkuliert. Als neue Geschäftsidee würde ich vorschlagen, drei Euro Eintritt allein für die Ladenbesichtigung zu nehmen. Aber während alles, wirklich alles im Laden, sogar der Spiegel an der Wand, das ein oder andere Jahrhundert auf dem Buckel zu haben scheint, ist eins doch nagelneu: das Hutsortiment. Irgendwer muss hier also noch Hüte kaufen.

An der Wand hängt ein Bild von Humphrey Bogart, mit Hut natürlich. Ich bin kurz davor zu fragen: „Wow, hat Bogart hier auch schon Hüte gekauft?“, halte aber im letzten Moment doch lieber die Klappe. Bogart war bestimmt nie in Trier. Aber wenn er jemals nach Trier gekommen wäre, hätte er hier einen Hut gekauft. Soviel ist sicher. Ich bilde mir nun doch ein, in den Partikeln der jahrhundertealten Raumluft den Atem von Bogart zu spüren und überlege, ob ich den Ladeninhaber nicht wenigstens in einer Nebenrolle eines Bogart-Schwarz-Weiß-Films gesehen haben könnte – altersmäßig käme das hin. Typmäßig auch.

Ich vergöttere Humphrey Bogart, weil er nur zwei Feinde kannte: 1. die Welt, die bekanntlich schlecht ist, und 2. sich selbst. Gegen das Böse der Welt konnte Bogart immerhin Teilerfolge erzielen. Der Kampf gegen sich selbst und seine zahlreichen Laster war von vorneherein verloren. Und all das spiegelte sich in der Art wider, wie Bogart seinen Hut trug. Verdammt nochmal, das muss doch hinzukriegen sein! Ich werd’s der Neuen vom Backes Herrmann schon zeigen! „Ich will aussehen wie der da!“, versuche ich selbstbewusst zu klingen und zeige auf das Bogart-Plakat. Der Ladeninhaber sieht mich unendlich mitleidig an und sein Blick sagt: „Ich und mein Freund Humphrey, der beinah hier in diesem Laden einen Hut gekauft hätte, wenn das Leben, dessen Wege verschlungen sind, ihn – also Humphrey – nicht daran gehindert hätte, seinen Fuß nach Trier und in die Brotstraße zu setzen, also, wir beide sagen dir: ‚Du wirst niemals auch nur annähernd so aussehen, als ob du den männlichsten aller Kämpfe, nämlich den gegen dich selbst, verlieren könntest.‘ Zack, das – also der Blick – saß. Und als ich dann auch noch damit herausrücke, dass ich einen Sonnen- oder Strohhut suche, wird der Blick des Zeitsprungladenhüters noch trauriger und er meint unwirsch: „Dann nehmen Sie wenigstens einen Panamahut.“

Nanu, ist da etwa eine Verschwörung zwischen dem Ladeninhaber und der Neuen vom Backes Herrmann im Gange? Er erklärt mir, der Panamahut sei handgeflochten und Tests hätten bewiesen, dass selbst nach einer zweistündigen Dauersonnenbestrahlung die Temperatur unter einem Panamahut nicht ansteige. Dann nennt er mir den Preis: Diese Kopfbedeckung kostet fast so viel wie die Ausrüstung eines pfälzischen Kampfwanderers; und das ist noch der billigste Panamahut im Laden. Die teuren Hüte kriegen solche schnöden Anfänger wie ich garnicht erst gezeigt. Zum Glück ist der Panamahut nicht in meiner Größe da, aber der Hüter des napoleonischen Ladens meint: „Dann müssen Sie eben nächstes Jahr wieder kommen, da kriegen wir wieder Panamahüte in Ihrer Größe rein.“

In einem Jahr?!? Zeit spielt hier in diesem Raum offensichtlich keine Rolle. Oder haben Sie diesen Satz schon mal in sonst irgendeinem Laden gehört? Der Ladenbesitzer sieht mich mit Augen, die Generationen von Hutträgern haben kommen und gehen sehen, an und sagt: nichts. Schweigt länger, als nach Regeln der Alltagskommunikation des 21. Jahrhunderts zulässig ist.

„Äh, ich muss mir das nochmal überlegen“, stottere ich.

„Tun Sie das“, sagt der Hutladenbesitzer ernst. „Und behüte Dich Gott!“

Ich drehe mich um, und habe einen Moment das sonderbare Gefühl, die Tür könnte verschwunden sein, so dass man nie wieder aus diesem Geschäft rauskommt, wie beim „Hotel California“, und dass man sich als Äthergestalt langsam in der Jahrhundertraumluft auflöst. Aber die Türklinke ist noch da und lässt sich von innen genauso wackelig runterdrücken wie von außen. Bimmelimm!

Ich bin natürlich sauer, weil der Hutladenhüter gleich kapiert hat, ähm, also dass er angenommen hat, kein Hut der Welt könne mich auch nur annähernd so aussehen lassen wie Humphrey Bogart. Trotzig renne ich zum nächsten Ein-Euro-Laden, schnappe mir einen Ein-Euro-Hut und setze ihn auf. Passt! Wenn ich schon nicht wie Bogart aussehe, dann darf‘s auch nur ’nen Euro kosten. Aber irgendwie fühlt sich der Billig-Strohhut falsch an auf meinem Kopf – macht mich nicht glücklich. Das merke ich gleich. Genauso wie man gleich merkt, dass dem Herrmann seine Neue ihn nicht… aber das muss er selber herausfinden.

Ich drehe mich um, renne los und kurz drauf drückt meine zitternde Hand wieder die wacklige Türklinke runter. Bimmelimm. „Komme gleich“!

„Haben Sie auch kurzkrempige Strohhüte? Vielleicht wäre das eher was für mich?“

Der Alte erkennt mich trotz des äußerst schummrigen Lichteinfalls sofort wieder und sagt, milde lächelnd: „Ja, ja, der erste Hut ist immer der schwerste, mein Junge! Lassen wir uns also Zeit!“
Mein Junge? Ich werde bald 50! Nun gut, alles eine Frage der Perspektive. Und schon hat der Ladenhüter einen Stapel kurzkrempiger Hüte auf die Ladentheke gezaubert und reicht mir mit ruhiger Hand den ersten davon zum Aufsetzen…

Nachbemerkung: Falls Sie mich in den nächsten Tagen mit einem Strohhut in der Stadt antreffen sollten, gebe ich Ihnen einen guten Rat: Fragen Sie mich besser nicht, was er gekostet hat!

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