„Wo sind die Leute auf der Straße?“

Softwarecodes - wie hier aus einer berühmten Science-Fiction-Filmreihe - sind die Welt des "Chaos Computer Clubs".Die Sicht in die Clubräume in der Paulinstraße 123 wird mit schwarzen Vorhängen verwehrt. Die Mitglieder des „Chaos Computer Clubs Trier“, ein vor fast 15 Jahren gegründeter, regionaler Ableger der größten Hackervereinigung Europas, benutzen Pseudonyme und möchten in Bezug auf ihr Hobby inkognito bleiben – in der Öffentlichkeit und, auch um ungehindert arbeiten zu können, vor allem im Netz. „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“ lautet einer der Grundsätze ihrer „Hackerethik“. Über die gleichgültigen Reaktionen der breiten Masse auf den von Edward Snowden enthüllten Überwachungsskandal kann sich der Trierer Hacker-Verein nur wundern.

TRIER. „Mittwoch ist Club“ – sobald das Symbol für den Club-Status auf der Homepage blau leuchtet, ist der Treff in der Paulinstraße eröffnet. Hier tüfteln die Computerfreunde bis spät in die Nacht an gemeinsamen Projekten. Im großen Club-Raum, der mit einigen Sofas ausgestattet ist, wird an Hardware gebastelt, programmiert oder über aktuelle Themen diskutiert. Immer mit dabei: der als „Hackerbrause“ bekannte Club-Mate, der palettenweise im Kühlschrank gelagert wird. Die geräumige Küche wird auch oft und gerne zum gemeinsamen Kochen genutzt. Wem der Betrieb im Club-Raum zu rege ist, der kann sich in einen weiteren kleinen Raum zurückziehen und sich dort ganz auf seine Arbeit fokussieren.

Getreu ihrem Motto „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ versuchen die CCCler, ihre Ansichten publik zu machen und ihre Ziele umzusetzen. Einige ihrer Aktivitäten richten sich gegen jegliche Formen der Überwachung. Hierzu machten sie beispielsweise sämtliche öffentliche Überwachungskameras in Trier aus. Sie untersuchten das Sichtfeld der jeweiligen Kameras, wie viel diese von einzelnen Individuen erfassen und inwiefern dies die Privatsphäre des Einzelnen einschränkt.

Das Ergebnis: Die bisherige Überwachung halte sich in Grenzen und es habe über einen längeren Zeitraum keine Zunahme an Aufnahmegeräten gegeben. Deren Missbilligung erklären sie anhand wissenschaftlicher Untersuchungen, die aufzeigten, dass öffentliche Kameras lediglich ein Gefühl von Sicherheit fingierten. Der Nutzen der Kameras stehe in keinem Verhältnis zu den Einschränkungen und Kosten, die sie mit sich brächten.

Aus diesem Grund protestierte die Trierer Gruppe gegen die Aufstellung weiterer Kameras für die „Heilig-Rock-Tage“. Ganz konnten sie dieses Vorhaben nicht stoppen. Mit Hilfe der Piratenpartei konnten sie jedoch erwirken, dass lediglich drei weitere Geräte installiert wurden. Ihre Zusammenarbeit mit den Piraten war hier eher zufällig und zu Gunsten des gemeinsamen Ziels entstanden. Zwar sind die CCCler politisch aktiv, jedoch identifizieren sie sich nicht mit einer bestimmten Partei.

Da der „Chaos Computer Club“ stets neue Hardware und Programme auf ihre Tragkraft hin untersucht, werden bundesweit Mitglieder häufig als Berater hinzugezogen. Systeme, die als sicher und unmanipulierbar gelten, stellen natürlich eine besondere Herausforderung dar. So untersuchte der Verein zum Beispiel vor einigen Jahren elektronische Wahl-PCs und zeigte in einem selbstgedrehten Kurzfilm, dass es möglich ist, innerhalb weniger Minuten die komplette Hardware auszutauschen. Der Wahl-PC wurde in ein Schachspiel umgebaut.

Eine handwerklich weniger aufwändige Methode zeigte mit Hilfe elektromagnetischer Strahlung auf, welcher Knopf gedrückt worden war. „Derartige Manipulationen sind einfach durchzuführen“, so die CCCler, „da die Wahl-PCs beispielsweise in Schulen eingeschlossen werden und in den wenigen Stunden, bis sie gebraucht werden, teilweise gar nicht bewacht werden.“ Bei Experimenten wie diesen gelte ihr Interesse nicht dem Hacken privater Daten, sondern einzig und allein dem Aufdecken von Sicherheitslücken. Denn als Programmierer und Hacker wissen sie „wo es viel Software gibt, gibt es auch Fehler“.

Die CCCler folgen bei ihren Aktionen und Projekten ihrer eigenen Ethik, der „Hackerethik“. So besagt einer ihrer Leitsätze „öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“. Dies ist der Grund dafür, dass der Club manches Vorgehen des deutschen Staates und einiger Firmen, besonders die Vorratsdatenspeicherung, bereits seit längerem kritisiert. Dabei betonen die Mitglieder, dass sie lediglich die Maßnahme kritisieren, nicht aber die Technik. Denn Technik sei „cool und macht Spaß“.

Kritik am Umgang mit Daten

So entstanden aus einer ihrer Hardwarebasteleien Drohnen, die mittels Sensoren Daten aufnehmen und diese speichern. Aus den Metadaten können verschiedene Profile erstellt werden. Dem staatlichen Sammeln von Daten und der Erstellung von Profilen entgegnen sie mehrere Kritikpunkte. Die CCCler kritisieren die Art und Weise, wie der Staat mit den Daten umgeht. Vorratsdatenspeicherung sei damit beworben worden, gegen Terrorismus, Mord und Kinderpornographie anzugehen. Tatsächlich habe sich der Kontext verändert, da die gewonnenen Daten nach Meinung der Hacker für geringere Verbrechen wie Hehlerei, Kreditkartenbetrug, illegales Glücksspiel und sogar Beleidigungen eingesetzt werden und nicht mehr dem ursprünglichen Zweck dienen.

Den Bürgern scheint dies egal zu sein, da sie die Situation nicht verstehen und unterschätzen, so die Erklärung der CCCler auf die Frage, warum die Deutschen so verhalten auf den aktuellen Abhörskandal reagierten. „Ich habe keine Geheimnisse. Soll doch jeder wissen, was ich mache!“ sei eine Aussage, die man häufig zu hören bekomme.

In einem Zeitalter, in dem jeder sein Privatleben bei Facebook und Co. offenlegt, scheint es keine Geheimnisse zu geben, der Begriff „Anonymität“ auch im übertragenden Sinn zu einem Fremdwort geworden zu sein. „Wo sind die Leute auf der Straße?“, fragt sich ein Clubmitglied. Der Skandal empöre die Bürger, sie sollten jedoch vielmehr schockiert und aufgebracht sein. Die Bedeutung des Skandals müsse den Menschen nähergebracht und bewusstgemacht werden. „Denn so extrovertiert sich viele im Internet geben, so hat jeder seine Grenzen“, sagt die Trierer Gruppe. „Fragt man diese Leute beispielsweise nach ihrem Verdienst, geben sie weniger gern Auskünfte.“ Den Menschen müsse klar gemacht werden, dass sie – sofern sie nicht dagegen angehen – nicht beeinflussen können, welche Daten über sie gesammelt werden und wer über diese Daten verfügt.

Bianca Roth

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