Beim Barte des Philosophen

Sein Bart war mehr als nur ein Markenzeichen: Die Gesichtsbehaarung von Karl Marx lässt so manchen Mann vor Neid erblassen. Quelle: Emil Dreyer: Porträt Karl Marx, um 1900-1920, Stadtmuseum Simeonstift.Wenn 16vor-Mitarbeiter Michael Juchmes in den Spiegel blickt, sieht er vor allem eines: Haare. Zumindest in der unteren Gesichtshälfte. Er trägt seit Jahren Vollbart und liegt damit unbewusst voll im Trend – einem Trend, der im Grunde längst überholt ist. Eine hervorragende Voraussetzung also, um sich in der Kolumne „In Trier“ einmal genauer mit verschiedenen Bartträgertypen und berühmten Trierer Bartträgern zu beschäftigen.

TRIER. „Je voller, desto doller“ hieß es bei den Bart-Weltmeisterschaften, die Anfang November in Leinfelden-Echterdingen in Baden-Württemberg stattfanden. 300 Männer kämpften in 18 Disziplinen um den Sieg – mit gezwirbelten Schnäuzern und fantasievollen Backenbart-Konstruktionen. Die Teilnehmer gehörten wohl ausnahmslos zu der wohl sympathischsten Gruppe von Gesichtshaar-Fanatikern: die passionierten Bartträger, die sich mit aufwändg gestalteter Gesichtsbehaarung äußerst männlich fühlen und davon überzeugt sind, mit Fell ums Kinn weitaus attraktiver zu wirken.

Diese Haltung ist durchaus nachvollziehbar: Viele Frauen – und auch Männer – finden Bärte ansprechend. Vor allem bei einem knabenhaften Äußeren oder runden Gesichtsformen kann ein wenig Bewuchs um die Mundpartie herum nicht schaden. Ein verändertes Äußeres innerhalb weniger Wochen? Kostenlos und ohne Schmerzen? Davon können Mädels nur träumen. Doch aufgepasst! Das Ganze kann auch nach hinten losgehen. „Wer über 30 ist und Vollbart trägt, sieht oft einfach nur alt aus“, sagt Klaus-Dieter Kaiser vom Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. Hätten wir uns auch schon denken können …

Kommen wir daher zu Bartträger-Typ Nummer 2: dem Hipster-Mann. Flanellhemden im Grunge-Look oder Shirts mit Animal-Prints? Wer keinen Trend verpassen oder ihm einen Schritt voraus sein will, muss Unsummen investieren. Kostengünstig ist da doch ein Accessoire, das von alleine wächst und zur Not innerhalb von fünf Minuten spurlos beseitigt werden kann. Obwohl Trendforscher bereits seit Jahren vom Ende der Bart-Hysterie sprechen und auf den Laufstegen größtenteils glattrasierte Burschen das Sagen haben, zeigt sich der Mann von heute – nicht nur in Berlin, sondern auch in Trier – weiterhin zugewuchert. Warum sie nicht zum Elektrorasierer oder zum Dachshaarpinsel und Rasiercreme greifen? Man gewöhnt sich schließlich an alles … vor allem dann, wenn es einem Arbeit erspart.

Gleiches denken wohl auch die Vertreter der dritten Bartträger-Gruppe: die Naturmenschen. Bequemlichkeit, keine anfallenden Kosten und gleichzeitig noch ein Zeichen setzen. Noch nie war Protest so einfach – und leider auch so wirkungslos. Schließlich trägt neuerdings jeder Bart, nicht nur Menschen mit revolutionären Zukunftsvisionen. Alle weiteren Gruppen von Bart-Fans hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Nur ein Typus sollte noch Erwähnung finden: der Möchtegern-Bartträger, also ein Kerl, der schon längst volljährig ist, jedoch den Bartwuchs eines pubertierenden Jungen hat. Vernünftige Zeitgenossen greifen in diesem Fall zur Klinge, weniger sensible züchten sich ein Konstrukt heran, das beim schwachen Geschlecht meist auf wenig Gegenliebe stößt.

In welche Kategorien sich die Bartträger einordnen lassen, die in Trier wirken oder wirkten, ist manchmal unklar. Der wohl berühmteste Freund der Gesichtsbehaarung war Karl Marx. Sein Rauschebart, ein sogenannter Demokratenbart, ist legendär, galt zur damaligen Zeit als Zeichen des Widerstandes. Sein Wiedererkennungswert ist außerordentlich groß, kein Wunder also, dass der behaarte Philosoph zu einem der Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Ebenfalls mit Bartpracht zeigt sich bis heute der gebürtige Trierer Opernsänger Franz Grundheber. In seinem Berufsstand – und seinem Alter – ist dieser Look nichts Außergewöhnliches, revolutionäre Absichten schließe ich daher aus.

Gleiches gilt für den ersten Mann der Stadt und Gatten der ersten Frau des Landes: Klaus Jensen. Der Trierer Oberbürgermeister trägt seit Jahren Zehntagebart, wirkt damit volksnah, weitaus weniger zugeknöpft als so mancher seiner Amtskollegen. Männer in leitenden Positionen müssen also nicht – wie es so oft heißt – zum Rasierer greifen. Diese Aussage unterschreibt garantiert auch Reinhard Marx, ehemaliger Bischof von Trier und derzeitiger Erzbischof von München und Freising. Der mittlerweile 60-jährige Geistliche zeigt seinen grauen Bart mit Stolz, versteckt darunter seine weichen Gesichtszüge. Apropos weich: Zart und geschmeidig sollte die Gesichtsbehaarung schon sein, wenn möglich auch nicht allzu lang. Dabei helfen unter anderem ein Haartrimmer, Bartfluid, Bartöle oder –wachs. Das Gesamtkunstwerk muss sorgsam in Zaum gehalten, rasiert und gekämmt werden. In den Farbtopf muss man bei grauen Haaren jedoch nicht unbedingt greifen. Selbst Frisöre raten davon ab, denn das Ergebnis solcher Aktionen ist nie zufriedenstellend.

Abzuraten ist übrigens auch vom Tragen eines Schnurrbarts, den die Tumblr-Generation wohl nur unter dem Namen „Moustache“ kennt. Jungen Männern mit klassischen, schmalen Gesichtern steht er hervorragend. Alle anderen Vertreter dieser Altersklasse wirken damit lächerlich und sollten ihn eher in Form eines Accessoires ausführen. Gleiches gilt für alle Jungs mit einigen Gramm zu viel auf den Hüften (und überhalb der Schulterblätter). Ein glattes Gesicht lässt das Doppelkinn besonders gut zur Geltung kommen. Ein Moustache lenkt – im Gegensatz zum Voll- oder Dreitagebart – nur bedingt davon ab. Glücklicherweise ist der Schnäuzer in unseren Breiten kein Muss, in Trier unter jungen Männern sogar eine Seltenheit. Anders dagegen im arabischen Raum, wo der gepflegte Oberlippenbart unabdingbar ist: Mittlerweile bieten Kliniken Haartransplantationen für Geschlechtsgenossen mit vermindertem Bartwuchs an – übrigens auch in Deutschland.

In Europa und den USA setzt sich so langsam – neben dem Bart – ein weiterer haariger Trend durch: der Zopf am Männerkopf. Die Werbeindustrie hat diesen Hype schon für sich entdeckt und zeigt immer häufiger Kerle mit Zöpfen, locker zusammengebunden, ohne viel Schnickschnack. Auf diesen Zug kann ich leider nicht aufspringen, denn auf meinem Haupt wachsen die Haare nur noch an ausgesuchten Stellen mit voller Kraft. Kein Problem eigentlich – solange ich mit meinem Bart noch nicht zum alten Eisen gehöre.

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